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Künstlerin Barbara Kiener

«Es gibt kein Kleidungsstück ohne Farbe in meinem Schrank»

Für ihre illegalen Kunstaktionen nimmt Barbara Kiener auch mal eine saftige Busse in Kauf. Dabei geht es der Berner Oberländerin gar nicht um Provokation, sondern darum, Widersprüche in unserem Brauchtum aufzuzeigen.

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Barbara Kiener, Kuenstlerin, Performance Kuenstlerin, in ihrem Atelier, Kulturgarage, mit ihrer Schwester Simona Kiener, Mitarbeiterin Kulturgarage, Pink, Fahnenschwingen, Handoergeli spielen, Interlaken, 2023, Fotos: Geri Born

Barbara Kiener beim Schwingen ihrer eigenen Fahne in ihrem Atelier in Interlaken.

Geri Born

Barbara Kiener (44) schaut auf ihre farbigen Fingerspitzen. Sie sind so rosa wie ihre Farbpalette, auf der sie die verschiedenen Töne zusammengemischt hat. In ihrem Atelier in Interlaken BE riecht es nach Farbe, gerade hat sie ein Gemälde fertiggestellt. Unter ihrem groben Malerkittel trägt sie eine feine weisse Bluse mit Kragen. Noch ist diese blütenweiss, ob das so bleiben wird? Sie lacht: «Es gibt wohl kein Kleidungsstück ohne Farbe in meinem Schrank.»

Barbara Kiener, Kuenstlerin, Performance Kuenstlerin, in ihrem Atelier, Kulturgarage, mit ihrer Schwester Simona Kiener, Mitarbeiterin Kulturgarage, Pink, Fahnenschwingen, Handoergeli spielen, Interlaken, 2023, Fotos: Geri Born

«Rosa ist spannend, kann unschuldig und leuchtend sein», sagt die Künstlerin über ihr Markenzeichen.

Geri Born

Aufgewachsen in einem kleinen Dorf zwischen Interlaken und Grindelwald, einem Ort, wo «Traditionen starr sind und klein halten», nutzt und verarbeitet Barbara Kiener diese Wurzeln in ihrer Kunst. «Heute frage ich mich: Wie haben mich diese Traditionen geprägt? Unser Brauchtum fasziniert mich, es ist unsere Kultur. Doch das Starre darin will ich bewegen und zugänglicher machen.» Sieht sie diese Möglichkeit, legt sie los: So lernt sie das Fahnenschwingen – traditionell den Männern vorbehalten – und lässt sich nicht davon abhalten, dass viele Klubs sie nicht aufnehmen wollen. Heute ist das Fahnenschwingen ein wichtiger Teil ihrer Aktionskunst. Natürlich schwingt sie mit eigens eingefärbten Fahnen. Und: Diese sind an einem Besenstil befestigt. Denn sie sieht nie nur die Tradition, sondern immer auch, wer dabei ausgeschlossen ist.

Kunst für den Dialog

Rosa ist die Farbe von Barbara Kieners illegalen Aktionen. Seit 2016 färbt sie immer wieder öffentliche Infrastruktur ein, stets in Rosa, immer über Nacht, immer mit Lebensmittelfarbe, die beim nächsten Regen verschwindet. 2019 bemalt sie das Kioskhäuschen und die Treppen zum Zugang am oberen Grindelwaldgletscher – Rosa als Signalfarbe, die auf die Klimaerwärmung aufmerksam machen soll. 2021 taucht sie eine Panzersperre in Wimmis BE in Rosa – hier nutzt sie die Farbe als Gemisch zwischen dem unschuldigen Weiss und dem blutigen Rot und thematisiert die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg. 2022 wird dann die 108 Meter lange Merjenbrücke in Stalden VS bemalt. Hier soll die Farbe die gegenüberliegenden Gemeinden ins Gespräch bringen.

Barbara Kiener, Kuenstlerin, Performance Kuenstlerin, in ihrem Atelier, Kulturgarage, mit ihrer Schwester Simona Kiener, Mitarbeiterin Kulturgarage, Pink, Fahnenschwingen, Handoergeli spielen, Interlaken, 2023, Fotos: Geri Born

Im Atelier stehen Farben und Leinwand bereit. Hat die Künstlerin eine Idee, kann sie gleich beginnen.

Geri Born

Die Künstlerin nutzt die Farbe, um zu überraschen, aufzuwecken. «Mein Antrieb ist nicht die Provokation. Ich will etwas thematisieren, einen Dialog entstehen lassen.» Deshalb informiert sie nach jeder illegalen Aktion Polizei und Gemeinde. Die Merjenbrücke-Kunstaktion kommt sie teuer zu stehen. Feuerwehr und Polizei rücken aus, Kiener wird wegen Sachbeschädigung verurteilt. Das juristische Nachspiel kostet sie mehrere tausend Franken. Wenn sie dann in einem Interview sagt, die Busse sei Teil der Aktion, meint sie das nicht überheblich. «Die Grenze zur Illegalität interessiert mich nicht. Ich will nichts kaputtmachen und bin stets bereit, die Reinigung zu übernehmen.»

Kunstaktion Barbara Kiener. Pressebilder

Für ihre Kunstaktion an der historischen Brücke in Stalden wird Barbara Kiener angezeigt und gebüsst.

ZVG

Rosa ist in der Zwischenzeit Kieners Markenzeichen geworden. So sieht man die Farbe nicht nur bei ihren illegalen Aktionen und in ihren Gemälden, auch ihr Lippenstift ist pink, genau wie die Wollmütze. Doch nicht überall dominiert die Farbe. Das Atelier: farbig, chaotisch, voller Trouvaillen. Ganz anders Barbara Kieners Wohnung nebenan. Die Wände weiss, die Einrichtung klassisch, fast minimalistisch. Farbe ist nur zurückhaltend vorhanden. «Das überrascht viele, dass ich so ganz in Weiss lebe», sagt sie lachend. «Ich brauche wohl den Ausgleich.»

Verwurzelt im Berner Oberland

Barbara Kiener wischt die Hände mit einem Lappen ab, vergebens, die Farbe bleibt. Sie wird bei ihrer Sitzung nicht stören. Ihre Schwester Simona Kiener (41) sitzt nämlich draussen vor dem Atelier, vor ihr auf dem alten Holztisch liegen Laptop und Notizbuch bereit. Die beiden wollen den nächsten Event in der Kulturgarage besprechen. Sie nutzen das Atelier in der 1946 gebauten Autogarage als Veranstaltungsort für kulturelle Anlässe und wohnen zusammen nebenan in dem über 100-jährigen Wohnhaus, das einst eine Schmiede war.

Barbara Kiener, Kuenstlerin, Performance Kuenstlerin, in ihrem Atelier, Kulturgarage, mit ihrer Schwester Simona Kiener, Mitarbeiterin Kulturgarage, Pink, Fahnenschwingen, Handoergeli spielen, Interlaken, 2023, Fotos: Geri Born

Barbara Kiener arbeitet in den Räumen einer ehemaligen Autogarage.

Geri Born

Die Events sehen die Kiener-Schwestern als Möglichkeit, mit den Menschen in einen Dialog zu treten, die ihrer Kunst mit einer Mischung aus Argwohn und Unverständnis begegnen. Ohne Simona, sagt Barbara, würde die Kulturgarage nicht funktionieren. Nicht nur, weil ihre Schwester ihr den Rücken freihält und das Haus managt – von den Vermietungen bis zu den Events – auch «weil ich schon ein rechter Charakterkopf bin». Simona wiederum beschreibt Barbara als «unglaublich mutig, zielstrebig und leidenschaftlich» und sagt: «Sie war immer schon die grosse Schwester mit den grossen Ideen, auch als wir noch Kinder waren.»

Barbara Kiener, Kuenstlerin, Performance Kuenstlerin, in ihrem Atelier, Kulturgarage, mit ihrer Schwester Simona Kiener, Mitarbeiterin Kulturgarage, Pink, Fahnenschwingen, Handoergeli spielen, Interlaken, 2023, Fotos: Geri Born

Simona Kiener (r.) managt die Kulturgarage und hält ihrer grossen Schwester den Rücken frei.

Geri Born

Es ist klar: Barbara Kiener fällt auf und eckt an. Längst hat sich die Autodidaktin ein Renommee erarbeitet, sie wird in ihrer Heimat vielleicht nicht immer verstanden, aber zumindest akzeptiert. «Meine Bekanntheit hat dem Verständnis sicher geholfen», sagt sie. «Aber mich kümmerte es schon früh nicht, was meine Nachbarn über mich denken. Das kam mir bei meiner Kunst immer zugute.»

Barbara Kiener, Kuenstlerin, Performance Kuenstlerin, in ihrem Atelier, Kulturgarage, mit ihrer Schwester Simona Kiener, Mitarbeiterin Kulturgarage, Pink, Fahnenschwingen, Handoergeli spielen, Interlaken, 2023, Fotos: Geri Born

Barbara Kiener ist fasziniert vom Schweizer Brauchtum, dazu gehört auch die Musik.

Geri Born

Trotzdem: Ihre Wurzeln sind hier tief verankert – und wichtig für die künstlerische Auseinandersetzung. Weggehen kommt nicht infrage. Schliesslich kann das Berner Oberland auch hin und wieder einen Klacks Rosa vertragen. 

Barbara Kiener, Kuenstlerin, Performance Kuenstlerin, in ihrem Atelier, Kulturgarage, mit ihrer Schwester Simona Kiener, Mitarbeiterin Kulturgarage, Pink, Fahnenschwingen, Handoergeli spielen, Interlaken, 2023, Fotos: Geri Born

Jeder Winkel im Atelier ist geprägt von Kieners Handschrift – und wird regelmässig umgestaltet.

Geri Born
Von SI online am 30. Juni 2024 - 18:00 Uhr