Wer sich von Hannes Schmid über den 150 Hektaren grossen Smiling Gecko Campus ausserhalb der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh führen lässt, kennt danach einige amüsante Details aus dem Leben des 77-Jährigen. Denn zu fast jedem Anblick fällt dem Toggenburger eine Anekdote ein. Von dem Tag, als alle Buben des Dörfchens Stein SG – Hannes eingeschlossen – mit Tuberkulose im Sanatorium landeten, weil sie Milch direkt von Geisseneutern getrunken hatten, bis zu demjenigen, als er mit einem Koffer voller Bargeld nach Singapur flog, um der chinesischen Grossmutter seiner Frau Hillary seine Solvenz zu beweisen.
Begegnungen mit Menschen prägen Hannes Schmids Leben. Vor allem eine vor etwas über zehn Jahren. Schmid, erfolgreicher Fotograf, dessen Werke für sechsstellige Summen verkauft werden, sticht in Thailand ein etwa neun Jahre altes Mädchen ins Auge. Es stammt aus Kambodscha. Sein Gesicht ist entstellt – mit einem Gasbrenner, von seiner eigenen Familie. So kommt mehr Geld zusammen beim Betteln. «Ich kann bis heute nicht genau sagen, warum mich gerade dieses Schicksal nicht losgelassen hat», sagt Hannes Schmid. «Vielleicht auch, weil ich an einem Punkt im Leben war, an dem ich vieles hinterfragte, Sinn in dem suchte, was ich tat.»
Lehre als Elektriker, Leidenschaft als Fotograf
Nach einer Lehre als Elektriker verlässt Hannes Schmid sein Heimatdorf und geht nach Südafrika. Dort packt ihn die Leidenschaft fürs Fotografieren. Über die Reisefotografie – Begegnung mit einem kannibalischen Stamm im Dschungel von Papua inklusive – gelangt er ins Musikbusiness. Er dokumentiert Leben und Karriere von Hunderten von Stars, von Status Quo bis Abba. Dann schlittert er in die Mode und schliesslich in die Werbung, wo seine wohl berühmtesten Werke entstehen: die der rauchenden Marlboro-Cowboys. Für die Sache an und für sich, sagt Schmid, habe er sich gar nie gross interessiert. «Weder für Musik noch für Mode noch für Werbung. Was mich faszinierte, waren die Menschen und die Inszenierung.»
Mit 55 wird Hannes Schmid erstmals Vater. Von Zürich aus, wo sich die Familie niedergelassen hat, bereist er für Fotoaufträge die ganze Welt. Die Kinder Ana und Max sind im Primarschulalter, als er aus Thailand seine Frau Hillary anruft und sagt: «Es wird alles anders!» Schmid geht nach Kambodscha, gründet das Hilfswerk Smiling Gecko, kauft mit einem kambodschanischen Gründungspartner neun Hektaren Land und baut eine Schule. Denn Bildung, sagt Hannes Schmid, ist der einzige Weg, längerfristig der Armut zu entkommen. Sodass Eltern ihre Kinder nicht mehr entstellen und zum Betteln schicken müssen. Der Schule folgen erste Schritte in der Landwirtschaft. Die verlaufen «relativ erfolglos. Ich hatte keine Ahnung von der Materie, alles ging zugrunde.» Schmid lässt sich nicht entmutigen, holt Hilfe von Schweizer Agronomen.
«Da hat uns Corona einen fetten Strich durch die Rechnung gemacht»
Inzwischen gedeiht in dem Betrieb alles, von Salat über Früchte bis zu Vanille. Dazu kommen Vieh- und Fischzuchten. Im Laufe der Jahre wächst die Anlage um eine Schreinerei, eine Schlosserei, eine Bäckerei und eine Metzgerei – alles Lehrbetriebe, die nach Schweizer Vorbild Berufsleute ausbilden –, sowie die Vier-Sterne-Ferienanlage Farmhouse Resort & Spa. Knapp 30'000 Menschen leben direkt oder indirekt von den Arbeitsplätzen bei Smiling Gecko. Das Ziel: Irgendwann soll sich der Campus selbst finanzieren, aus dem Erlös des Hotels und der Betriebe. «Da hat uns Corona einen fetten Strich durch die Rechnung gemacht. Über drei Jahre lang lag alles brach, wir haben nichts verdient. Deshalb sind wir immer noch auf Spenden angewiesen.»
Angekommen beim neusten Gebäude auf dem Grundstück, dem Kulturzentrum The Gong, wartet Hannes Schmid erneut mit einer Anekdote auf: «Könnt ihr euch vorstellen, wie es ist, wenn dich Dutzende von Eltern von Schülerinnen böse anschauen, weil ihre Töchter sich weigern, sich verheiraten zu lassen?» Den Vorwurf, er untergrabe die lokale Kultur, lässt Schmid nicht gelten: «Menschenhandel hat nichts mit Kultur zu tun.» In The Gong soll das echte kulturelle Erbe des Landes, welches durch jahrelange Diktatur fast ausgerottet wurde, wiederbelebt und erhalten werden. Hier sollen aber auch internationale Künstlerinnen und Künstler auftreten – Beziehungen hat Hannes Schmid ja genug –, um zahlende Gäste anzulocken.
Regelmässiger Kulturschock
Die Tour in der sengenden Hitze zehrt an Hannes Schmids Kräften. Er lässt sich zu seinem Haus auf dem Campus fahren. Gut die Hälfte des Jahres lebt er hier, während seine Frau und die beiden Kinder, inzwischen junge Erwachsene, in Zürich wohnen. Schmids Frau kuratiert sein fotografisches Werk, schaut, dass die Bilder ausgestellt und verkauft werden. «Sie verdient das Geld, damit ich es hier ausgeben kann», flachst er. «Als Familie zahlen wir einen hohen Preis für mein Engagement», gesteht Hannes Schmid. «Ein Familienleben, wie andere es kennen, gibts bei uns nicht. Ich bin Hillary und den Kindern unendlich dankbar, dass sie mich immer unterstützen.» Die Rückkehr in die Schweiz sei jedes Mal ein kleiner Kulturschock für ihn. «Mit dem ganzen Überfluss, der mir die Ungleichheit so direkt vor Augen führt, kann ich fast nicht umgehen.»
Trotzdem ist Hannes Schmid froh, einen Fuss im Schweizer Alltag behalten zu haben. Gerade was die medizinische Versorgung angeht. «Die ist in Kambodscha nach wie vor sozusagen inexistent. Und ich bin in einem Alter, in dem sie immer wichtiger wird, auch wenn ich Energie für drei habe!» Was sein Lebenswerk Smiling Gecko angeht, ist für den Fall der Fälle vorgesorgt und alles geregelt. «Aber es gibt noch viel zu tun für mich.» Das nächste Projekt ist bereits im Baustellen-Stadium: Auf dem Gelände entsteht eine Mittelschule. «Ich weiss, dass ich nicht die Welt retten kann», sagt Hannes Schmid. «Aber wenn alle von uns, denen es gut geht, nur ein bisschen etwas für diejenigen tun würden, denen es weniger gut geht, können wir sie zu einem besseren Ort machen.»