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  4. Chris von Rohr gedenkt Freund und Gotthard-Musiker Steve Lee zum Todestag

Chris von Rohr zu Lees 10. Todestag

«Es war schon fast schmerzhaft, wie bescheiden Steve war»

Am 5. Oktober 2010 endet die Traumreise des begeisterten Töfffahrers Steve Lee nahe von Las Vegas mit einer Tragödie. Zum zehnten Todestag erinnert sein Weggefährte Chris von Rohr an den Hardrock-Star von Gotthard.

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Gotthard performing live on stage at Eissporthalle in Wetzikon, Switzerland on 29 May 2010 Steve Lee - vocals Leo Leoni - guitar Freddy Scherer - guitar Marc Lynn - bass Hena Habegger - drums Nicolo Fragile - keyboards Foto: Hans-Martin Issler Verwendung nur gegen Honorar und Belegexemplar Bankverbindung: Sparkasse Erlangen Konto-Nr. 5 124 125 BLZ 763 500 00 IBAN-Nummer DE59 7635 0000 0005 1241 25 Ust.-ID: DE229280827

Göttliche Stimme: Mit Alben wie «Defrosted 1» und «Homerun» sorgt Steve Lee bei seinen Fans heute noch für Hühnerhaut.

Hans-Martin Issler

Steve Lee haben nicht Krankheit oder Drogen, sondern ein unglaublich grotesker Verkehrsunfall hat ihn aus dem Leben gerissen. Seine Schutz-Angels waren nicht bei ihm, als er am Rande des Highways Interstate 15 ausserhalb von Las Vegas anhielt, um seinen Regenschutz anzuziehen. Und er wusste wohl zu wenig, wie gefährlich es ist, auf dem Pannenstreifen dieser Höllenstrasse zu verweilen.

So geschah, was leider immer wieder passiert: ein Crash. Ein junger Lastwagenfahrer hatte das Tonnengefährt nicht im Griff und fuhr seinen Anhänger in die stehenden Motorräder, und eines von ihnen erschlug Steve, der unvorsichtigerweise zu nahe am Strassenrand gestanden hatte. Ein schlechter Witz! Was wollten uns die Götter der Totenwelt damit sagen? Es fällt mir auch heute mehr als schwer, hier an einen tieferen Sinn zu glauben.

Steve Lee tot Unfall Gedenken Brigitte Balzarini-Voss

Lees grosse Liebe Brigitte Voss an der Unglücksstelle an der Interstate 15 nahe von Las Vegas. Die Inschrift «Steve» erinnert drei Tage nach dem Unfall an den Gotthard-Sänger. 

Thomas Buchwalder

Obwohl, warnende, schlechte Vorzeichen hat es gegeben – im selben Jahr hatten Steve und seine Partnerin Brigitte Voss einen Autounfall in Italien. Und Zweifel kamen auf, ob man nicht besser woanders Ferien machen sollte als in den Staaten. Sein US-Reisevisum war wie meines jahrelang gesperrt, weil wir beide einen «Overstay» hatten, das heisst länger dablieben als erlaubt. Es wurde schliesslich extrem kurzfristig, einen Tag vor seinem Abflug, doch noch ausgestellt. Irgendwie unheimlich im Nachhinein! Aber das alles ist Kaffeesatzleserei. Wir können den Tod weder deuten noch steuern, er steht in keinem Organizer und kommt, wann und wo er will. Steve ist sicher erlöst. Aus dem Kokon zum Schmetterling. Und wir lernen, mit dem Tod und seinen Folgen zu leben, hier auf Erden.

Wir haben den besten Rocksänger verloren

Ohne zu übertreiben und ohne von seinem enormen Bühnencharisma zu sprechen, haben wir damals den stärksten und besten Rocksänger, den unser Land je hatte, verloren. Bei all den Komponier-Sessions, die wir über elf Jahre gemeinsam am Klavier oder an den Gitarren machten, hätte Steve auch das Telefonbuch vorsingen können, es tönte immer noch Weltklasse. Da war Kraft, Spirit und dieses unglaubliche Timbre, das einfach in allen Stimmlagen fett, warm und nicht forciert tönte. Der legendäre, leider ebenfalls verstorbene Tastenmann von Deep Purple, Jon Lord, sagte nach einem gemeinsamen Live-Auftritt, er habe eine solch fehlerlose, auf den Punkt gesungene Stimme noch nie gehört. Und er hatte recht. Steve war ein Ausnahmesänger.

«Ein Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt, wenn er vergessen ist»

Chris von Rohr

Doch manchmal gabs auch Schreckensmomente. Wir waren wieder mal zu Album-Aufnahmen in L. A., im altehrwürdigen A&M-Studio, als plötzlich Steves Stimme ausfiel. Einfach so. Er regte sich unsäglich auf. Alles Zureden half nichts. Nach drei Tagen brachten wir ihn zu Dr. Joseph Sugerman, der in Beverly Hills seit Jahrzehnten alle Starsänger behandelte. Nach kurzer Untersuchung diagnostizierte er Austrocknung, ein Aircondition-Problem, das auf die Stimme schlug: «Gehen Sie eine Woche nach Hawaii, Mr. Lee.»

Obwohl diese Insel seit Langem Steves Traumdestination war, mussten wir ihn tagelang überreden, dahin zu fliegen, während wir weiter arbeiteten. Es war ihm total peinlich.

Immer zuerst die anderen

So war er: immer zuerst die anderen, der Job, dann er. Es war für uns unfassbar, ja phasenweise schon fast schmerzhaft, wie bescheiden, zurückhaltend und stets skeptisch er war. Natürlich hatte diese permanente Unsicherheit auch etwas mit seiner Herkunft und seinem früheren eher konservativen Umfeld zu tun. Nur wenige ermutigten ihn, dem grossen Traum vom Rockmusiker zu folgen und seinen Weg kompromisslos zu gehen. Man machte und hielt ihn klein, trimmte ihn typisch schweizerisch auf Sicherheit und Vorsicht, also das pure Gegenteil vom wilden, abenteuerlustigen und freiheitsliebenden Rock ’n’ Roll.

Er konnte es vor allem seinem Vater selten recht machen in den wichtigen, kritischen Anfangszeiten. Sie waren sich da fremd. Das drückte bei ihm immer wieder durch. Wir sprachen oft darüber, und ich schlug vor, gemeinsam einen Song zu diesem ewigen Vater-Sohn-Konflikt zu machen. Titel: «Father, Is That Enough?» – Vater, ist das genug? Daraus entstand ein wunderschönes Lied, das auch heute noch aktuell und berührend ist mit der Botschaft: Vater, deine Vergangenheit ist nicht mein Leben und auch kein Glücksspiel mit meiner Seele. Ich habe meinen Weg gefunden.

Chris von Rohr mit Steve Lee

SI-Autor Chris von Rohr (l.) begleitete elf Jahre lang Gotthard-Sänger Steve Lee ganz nah. 

Lionel Flusin

Später einmal lud er mich zum Nachtessen in sein Haus ein. Er gab mir meinen von ihm bearbeiteten Totenkopf-Ring zurück und sagte: «Weisst du, ich glaube, es hätte auch alles ganz anders kommen können, und ich wäre Goldschmied geblieben.» Wir lachten und wussten beide, dass das Leben oft unergründliche Wendungen nimmt und der Ruf des Rock ’n’ Roll für jene, die ihn spüren, einfach zu gross ist.

Steves Nachlass wird bleiben

Steve hatte ein grosses Herz. Zu einem meiner Geburtstage schenkte er mir eine Druse, diese riesige, violettfarbene Kristallgruppe in Form einer kleinen Höhle. Man kann die ganze Hand hineinhalten und die verschiedenen Steine ertasten. Ein wunderbares Geschenk. Ich habe es auf meinem alten schwarzen Steinway-Flügel, wo auch der Song «Heaven» entstand, platziert. Dort ist es heute noch.

Steve ist zwar von uns gegangen, aber ein Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt, wenn er vergessen ist. Auch wenn bei jedem von uns letztlich nur ein Häuflein Sternenstaub übrig bleibt und das Erdenleben oft voller Strapazen war, hinterlassen wir hoffentlich etwas für kommende Generationen. Steves Nachlass wird noch lange nachklingen. So mögen Songs wie «One Life, One Soul», «Let It Rain» und «Heaven», getragen durch seine einmalige Stimme, weiterhin die Gehörgänge und die Herzen vieler Menschen erfreuen. Long live Steve Lee.

Chris von Rohr

Chris von Rohr, 68, Musiker, SI-Kolumnist. Von 1991 bis 2002 war er Produzent und Songwriter von Gotthard.

Von Chris von Rohr am 5. Oktober 2020 - 06:09 Uhr