Vier Stunden ist es her, dass Eva Herzog (60) erfahren hat: Sie ist auf dem Ticket für die Nachfolge von SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Mit dem Blumenstrauss im Velokörbli radelt die Ständerätin vom Bahnhof Basel – mit einem Abstecher an den Rhein – nach Hause ins Neubadquartier.
Dort lebt sie zusammen mit ihrem Partner, dem Wissenschaftsjournalisten Thomas Müller, und dem Jüngeren ihrer beiden Söhne. «Wir werden auf die erste Etappe im Bundesratsrennen anstossen», sagt Herzog. Und wie es sich bereits über die Grenzen von Basel rumgesprochen hat, macht die Politikerin das mit Bier, für sie der «Inbegriff der Entspannung».
Eine Stunde zuvor steigt Herzog in Bern in den Zug. «Schau mal diese Skyline», sagt sie zu ihrem persönlichen Mitarbeiter und zeigt auf Bundeshaus und Berner Berggipfel, die in der Abenddämmerung golden erstrahlen. Anders als bei der Pressekonferenz wirkt Herzog gelöst.
Lachend erzählt sie von ihrem Malheur nach der Bekanntgabe des Tickets, als sie den Kübel mit dem Blumenwasser über den Boden im Bundeshaus leerte. «Eine schöne Sauerei.» Klar sei sie erleichtert über das Ergebnis, die Favoritenrolle bringe auch ihre Tücken mit sich. «Je höher man raufgeschrieben wird, desto weiter runter kann man fallen.»
Auf der Zugfahrt nach Basel sagt Herzog, wie stark sie dort den Wunsch wahrnimmt, nach 1973 endlich wieder in der Landesregierung vertreten zu sein. «Ich bekomme täglich Zuschriften, auf der Strasse rufen mich die Leute und halten den Daumen hoch.» Selbst im Theater, wo man die frühere Geschäftsführerin der Kulturwerkstatt Kaserne öfters antrifft, kamen kürzlich zwei Buben und wollten eine Unterschrift aufs Programmheft. «Das war süss.»
Über Konkurrentin Elisabeth Baume-Schneider (58) aus dem Jura sagt Herzog: «Unser Erfahrungshintergrund ist verschieden. Elisabeth kommt aus einem ländlichen, ich aus einem Stadtkanton. In den Wertehaltungen sind wir uns sehr ähnlich.»
In Basel angekommen, sucht Herzog ihr rotes Velo. Ein zweites, leichteres Fahrrad steht bei ihr zu Hause. «Wir haben eine Frauen-Radgruppe», erzählt Herzog. Sie hoffe sehr, dass sie die Ausfahrten als Bundesrätin beibehalten könne. Ansonsten habe sie keine aufwendigen Hobbys, auf die sie verzichten müsse. «Ich suche mein Glück nicht in der Freizeit.»
Sie habe immer etwas bewegen wollen, sich für etwas einsetzen. Auch deshalb reize sie das Amt der Bundesrätin. «Wir leben in einer Zeit der Krisen, nach Corona jetzt dieser schreckliche Krieg in der Ukraine. Wir spüren die Folgen bei der Energieversorgung mit steigender Inflation, das ungeklärte Verhältnis zu Europa ist ein grosses Problem. Bei der Bewältigung dieser Herausforderungen würde ich gern eine aktive Rolle spielen.
Herzog wächst in Pratteln BL auf. Ihr Vater arbeitet in der chemischen Industrie, ist Atomkraftgegner. «Bei uns liefen über Mittag die Nachrichten im Radio, mein älterer Bruder und ich mussten still sein.» In der Mittelschule ist sie Teil der Hippiebewegung, näht sich Spickel in die Hosen, trägt Plateausohlen und tanzt zur Musik von Uriah Heep.
Später studiert Herzog Geschichte, Wirtschaft und Spanisch, eine Sprache, die sie bis heute liebt. In dieser Zeit wird sie zum ersten Mal politisch aktiv – sie arbeitet im Drittweltladen.
Die prägendste Zeit beginnt für Herzog 2004, als sie die Basler nach vier Jahren im Grossen Rat in die Regierung wählen. Als erste Frau übernimmt sie das zuvor von freisinnigen Männern dominierte Finanzdepartement. «Linke, Frau, Historikerin und dann noch mit kleinen Kindern – das gab einen Aufschrei», erinnert sich Herzog.
Auf die Frage, ob sie sich mehr habe beweisen müssen, überlegt sie kurz, bevor sie antwortet: «Ich denke schon. Und ich wollte auch einen guten Job machen.»
Und wie sie das tut: Jahr für Jahr präsentiert Herzog schwarze Zahlen und kämpft entgegen dem Widerstand ihrer Partei für die Unternehmenssteuerreform III. 2019 zieht sie in den Ständerat ein.
Hört man sich dort um, ist der Respekt gross: «Ich erlebe Eva Herzog als kompetente, zielstrebige und hartnäckige Kollegin», sagt Mitte-Ständerätin Andrea Gmür. SVP-Kollege Jakob Stark streicht ihre Bereitschaft zur «direkten und offenen Konfrontation mit einer gewissen Debattierlust» heraus. Und FDPler Ruedi Noser mag ihren Humor – obwohl dieser ihr von den Medien schon komplett abgeschrieben wurde.
Dass sie zuweilen forsch auftritt, streitet Herzog nicht ab. «Ich bin manchmal zu direkt, daran arbeite ich.» Vor allem im Umgang mit der Presse. «Was ich nicht mag, sind Unterstellungen. Dann wehre ich mich.»
Ihre beiden Söhne sind heute 22 und 25. Als Regierungsrätin habe sie versucht, sich ihre Mutterrolle nicht anmerken zu lassen. Sie hätte sich etwa nicht getraut, den Sitzungsrhythmus den Kindern anzupassen. Junge Männer würden dies heute einfordern. Da habe sie zuerst leer geschluckt. «Dann dachte ich: Gut, nun sind wir einen Schritt weiter.»
Ihre Kinder wurden in der Kita und von den Grosseltern betreut. «Obwohl jetzt keine junge Mutter auf unserem Ticket steht, kann ich aufgrund meiner Erfahrung Gleichstellungsthemen vorantreiben», sagt Herzog, deren politisches Profil trotz ihrem Engagement in Steuerfragen ein linkes ist.
Ihre Söhne studieren Wirtschaft und Geschichte – ähnlich also wie die Mutter. Dazu passt, dass wir mit Herzog zum Schluss noch zur Helvetiaskulptur fahren, die am Brückenpfeiler am unteren Rheinufer sitzt. «Helvetia auf Reisen» wird hier nachdenklich dargestellt.
Die starke, selbstbewusste Frauenfigur passt ganz gut zu Herzog. Gut möglich, dass auch sie in die Geschichtsbücher eingeht.