1. Home
  2. People
  3. Swiss Stars
  4. Ex-Eishockeyprofi Philippe Seydoux: Vom Eis zur Leinwand
Ein Herz für Farbe und Eis

Ex-Eishockeyprofi Philippe Seydoux findet in der Kunst neu zu sich

Vom Eishockey zur Kunst: Philippe Seydoux tauschte Hockeyschläger gegen Spraydosen und folgte so seinem grossen Traum. Seine Reise führt von Bern bis in die Strassen von New York – und ist noch lange nicht zu Ende.

Artikel teilen

<p>Auf seinem Balkon in Bern tobt sich Philippe Seydoux künstlerisch aus. Bei seinen Werken setzt er auf knallige Farben – vor allem Pink hat es ihm angetan.</p>

Auf seinem Balkon in Bern tobt sich Philippe Seydoux künstlerisch aus. Bei seinen Werken setzt er auf knallige Farben – vor allem Pink hat es ihm angetan.

Geri Born

«Soll ich meine Zähne für die Fotos rausnehmen?», fragt Philippe Seydoux (40) mit einem schelmischen Grinsen und spielt damit auf die Folgen seiner Karriere als Eishockeyprofi an. Diese Zeit liegt längst hinter ihm – und auch sein Lachen ist mittlerweile wieder makellos.

Entspannt bittet der 40-Jährige in seine Dachwohnung in Bern. Bilder lehnen an den Wänden. Eine beige Tonkanese-Katze, die er liebevoll «Sisoux» nennt, saust durch die Räume. Sein Zuhause ist auch sein Atelier, in dem er sich als Künstler auslebt.

Wer Seydoux’ Malutensilien genauer betrachtet, erkennt: Die Sportkarriere hallt nach. Als Pinsel dienen ihm nämlich umfunktionierte Eishockeyschläger mit Borsten an der Spitze. Die Hockeybegeisterung sitzt von jeher tief in ihm. «Meine Mutter konnte mich im Kinderwagen vor ein Hockeyfeld stellen, und plötzlich gab ich Ruhe.» Bereits im zarten Alter von 18 Monaten stand er auf dem Eisfeld.

«Der wohl schönste Moment war, als ich meine ersten Trainingshosen bekam. Ich weiss noch genau, wie ich hochsprang und auf dem Füdli landete», erinnert sich Philippe. Früh verfolgte er ein Ziel: Nordamerikas Profiliga NHL. Als Kind schrieb er den grossen Traum auf einen Spiegel und verfolgte ihn dann eisern.

<p>Im kreativen Chaos behält Philippe Seydoux mit Büsi Sisoux auf der Schulter stets den Überblick.</p>

Im kreativen Chaos behält Philippe Seydoux mit Büsi Sisoux auf der Schulter stets den Überblick.

Geri Born

Mit 17 Jahren spielte Philippe Seydoux für die Kloten Flyers mit Einsätzen im U20- und im Profi-Team. 2006 wechselte er zum finnischen Hämeenlinnan Pallokerho, kehrte aber im gleichen Jahr zurück. «Es war eine wilde Zeit. Kreischende Teeniemädchen, die vor dem Küchenfenster standen und mich anhimmelten», sagt er und lächelt verschmitzt.

Zurück in der Heimat folgten Engagements in diversen Klubs. Doch ganz rund lief es nicht. «Ich habe in meiner Karriere mehr Spiele versäumt als gespielt», meint er nachdenklich. Der Grund dafür waren Verletzungen und körperliche Erschöpfung. «Ich erinnere mich, dass ich plötzlich Schwindelanfälle hatte. Die Sportärzte meinten nur, das sei typisch für eine Gehirnerschütterung.»

Trotz Behandlungen blieb eine Besserung aus. «Ich fragte mich, ob ich auf dem Eisfeld sterben muss. Niemand nahm meine Symptome ernst.» Schliesslich lernte er eine Ärztin kennen, die sich seines Leids annahm. «Es war das erste Mal, dass ich mich gesehen fühlte.» Es folgten unzählige Untersuchungen und Abklärungen. Die Erkenntnisse waren krass. Borreliose, eine Erkrankung, die durch einen Zeckenstich übertragen werden kann. Hinzu kam ein Darmleiden, das operativ behandelt werden musste. Zu viel für Philippe Seydoux, er zog sich aus dem Spitzensport zurück. «Es dauerte lange, mich zu erholen.»

Der Weg in den Big Apple

Dann der Wendepunkt: Ein guter Freund schenkt ihm Spraydosen, mit dem Gedanken, dass er sich künstlerisch austoben soll. Zunächst hadert Philippe Seydoux mit der Idee. «Ich wusste nicht, ob ich das kann. Irgendwann merkte ich aber, dass ich etwas tun und mich auf dieser Welt verewigen musste», sagt er den Tränen nahe.

Die Stille wird von lautem Klingeln an der Haustür durchbrochen. Seydoux streicht sich rasch über die Augen und eilt zum Eingang. Sein Vater steht da, die beiden begrüssen sich mit einer herzlichen Umarmung.

«Philippe ist in der Kunst derselbe, der er auf dem Eis war. Er hat diese unverwechselbare Zielstrebigkeit», sagt Yves Seydoux (72) merklich stolz. «Was er schafft, hat Tiefe und ist berührend. Bei uns daheim hängt eines seiner Werke.»

Philippes Bilder sind schwelgerisch, erinnern oft an einen rosaroten Himmel. Darauf schreibt er englische Gedichte, die er laufend in einem Büchlein sammelt. «Manchmal sehe ich ein Wort auf der Leinwand, das ich ergänzen muss, manchmal eines, das ich wegstreiche oder falsch schreibe. Ich mag es, verschiedene Perspektiven darzustellen, den Prozess und die Lehren, die ich aus meinen Bildern ziehe.» Sein Markenzeichen ist eine Herzwolke. Jedes Bild hat eine. Sie steht für ein grösseres Ziel – unter anderem für den Traum, nach New York zu gehen.

In den vergangenen Jahren reist Seydoux Dutzende Male in die Metropole, bis er beim letzten Mal auf der Strasse landet. «Ich lebte bei einer Freundin, als mich die Kreativität überkam und ich ihre Wohnung mit unzähligen Leinwänden vollstellte – bis sie mich rausschmiss.» Nach einer Zeit im Hostel in Chinatown kann er die Rechnungen nicht mehr bezahlen und versucht sich als Strassenkünstler. «Ich habe vor einem Café in der Lower East Side einige Bilder verkauft, meine Schulden beglichen und vom Hoteldirektor dann meinen Pass zurückbekommen, sodass ich wieder nach Hause fliegen konnte. Irgendwann werde ich nach New York zurückkehren und richtig gross ausstellen, das habe ich mir versprochen!»

Von Jovana Nikic vor 10 Minuten