Rachel Rinast steht eine lange Reise bevor: 24 Flugstunden nach Neuseeland zur Fussballweltmeisterschaft der Frauen. Dort wird die 32-Jährige als Co-Moderatorin von Sportjournalist Calvin Stettler die WM für SRF kommentieren. Es ist eine neue Rolle für Rachel Rinast. Und doch eine vertraute. Bis vor zwei Monaten spielt Rinast selbst in der Nati. Acht Jahre lang trägt sie das rot-weisse Trikot, spielt bei der WM 2015 in Kanada und bei den Europameisterschaften 2017 und 2022 mit. Rinast kämpft sich im vergangenen Jahr mit der Nati durch die WM-Qualifikation – und verkündet im April dieses Jahres ihren Rücktritt aus dem Profifussball. Damit verzichtet sie auf eine Nominierung für die WM. Ein überraschender Rücktritt, läuft ihr Vertrag bei den Grasshoppers zu diesem Zeitpunkt doch noch bis 2024.
Länger gehegter Rücktrittswunsch
Doch der Fussball allein kann Rachel Rinast nicht mehr erfüllen. Sie sagt: «Ich liebe Fussball. Aber Profisport hat mir gegen Ende meiner Laufbahn nicht mehr so viel Freude bereitet.» Der ständige Leistungsdruck, die vielen Arbeitsstunden, kein Wochenende zu haben und der monotone Arbeitsalltag sind irgendwann zu viel für sie. Seit mehreren Jahren spielt sie mit dem Gedanken zurückzutreten. Da sie aber nie wirklich verletzt ist, empfindet sie es als unpassend. Dann aber ein Wink des Schicksals, wie sie es nennt: Das Schweizer Fernsehen fragt sie an, als Fussballexpertin zu arbeiten. «Das war der nötige Schubs, den ich noch brauchte, um aus dem Profifussball auszusteigen.» Die deutsch-schweizerische Doppelbürgerin spielte unter anderem beim FC Köln, beim SC Freiburg und beim FC Basel.
Anpfiff für Rinast ist beim Auftaktspiel Neuseeland gegen Norwegen am 20. Juli. Tags drauf kommentiert sie ihr erstes Schweizer Spiel mit den Gegnerinnen Philippinen. Sie sagt: «Es ist schön für mich zu wissen, dass ich mein altes Team auf diese Weise begleiten kann.» Mit Freude schaut sie ihrer neuen Arbeit entgegen. Sie fühlt sich leicht und euphorisch, aufgeregt und gespannt. Endlich könne sie eine WM mit dem ganzen Drumherum geniessen und das Land kennenlernen. Sie freut sich auf eine andere Perspektive – und auf die Kälte. Denn in Neuseeland ist es Winter. «Mir ist es zu heiss hier!», sagt sie lachend an diesem strahlenden Samstagmorgen in Zürich. Die warme Daunenjacke ist also eingepackt. Was auch in Rinasts Koffer nie fehlen darf: ihr Kalender, in den sie zeichnet und Tagebuch schreibt. Und ihre geräuschunterdrückenden Kopfhörer: «Mit Musik komme ich vor der Sendung in den richtigen Fokus.» Rinast kommentierte dieses Jahr bereits die U21-EM der Männer.
«Immer wenn ich auf die Schweiz tippe, verliert sie»
Rachel Rinast
Die Schweizer Nati muss «zünden»
Um sich vorzubereiten, erhielt sie in den vergangenen Wochen Coachings bei SRF und setzte sich mit den Spielerinnen des Turniers auseinander. Die Schweizer Mädels kenne sie ja zum Glück schon ein bisschen, sagt sie augenzwinkernd. Ihre Hoffnungen auf die Nati sind gross. Schlüsselspielerinnen des Teams seien Captain Lia Wälti und Stürmerin Ramona Bachmann. «Die Spielerinnen müssen das Feuer entfachen, müssen die ganze Mannschaft entzünden. Dann kann etwas ganz Grosses entstehen.» Bei Tippspielen wettet sie jedoch jeweils auf die anderen Mannschaften. Dies aus einem bestimmten Grund: «Immer wenn ich auf die Schweiz tippe, verliert sie. Also habe ich es anders herum gemacht, in der Hoffnung, das Schicksal auszutricksen!» In der Favoritenrolle sieht sie die USA. Die Amerikanerinnen hätten eine tolle Attitüde und seien immer parat. Das wünscht sie sich auch von den Schweizerinnen: «Ich will mehr Foulspiele sehen. Keine bösen. Aber einfach etwas mehr ‹Drecksau›!»
Angst davor, in ein Loch zu fallen wie schon viele andere Sportler nach ihrem Rücktritt, hat Rinast keine. «Eher das Gegenteil. Die letzten Jahre waren nicht immer einfach. Jetzt kann ich mir endlich wieder auch Zeit für andere Sachen nehmen.» Mehr Zeit will sie besonders für ihre Familie; für ihren Vater, der an der Lungenkrankheit COPD leidet. Nach ihrem Rücktritt kündigte sie ihre Wohnungen in Zürich und Köln und wird im August nach Hamburg ziehen, wo ihre Liebsten zu Hause sind.
Zukunft im Fussball
Vom Fussball will sie sich aber nicht verabschieden: In Hamburg spielt sie weiterhin bei den Amateuren des FC St. Pauli, der ihr am Herzen liegt. Zwei- bis dreimal in der Woche hat sie Training. Auch beruflich würde sie gern in den Fussballmedien bleiben. Rinast hätte wohl noch zig andere Möglichkeiten – sie ist ein Multitalent. Abseits ihrer Fussballkarriere studierte sie Lehramt, macht Stand-up-Comedy und singt leidenschaftlich. 2017 durfte sie den EM-Song für die Schweizer Nati «United in Red» singen. Wenn sie daran zurückdenkt, verdreht sie ihre Augen und lacht: «Es war voll die Ehre – aber es gibt einfach nichts Schlimmeres als Fussballsongs!» Gern würde sie mal ein eigenes Album rausbringen. Ohne Fussballsong, versteht sich. Die vielen Fähigkeiten möchte sie jetzt als Expertin ausschöpfen: ihre komödiantische Ader, ihre stimmliche Ausdruckskraft, die deutsche Sprache und vor allem die Liebe zum Fussball – all dies kann sie als Kommentatorin weiterhin voll ausleben. Nur eben von der anderen Seite aus.