1. Home
  2. People
  3. Swiss Stars
  4. Matthias Hüppi über seinen Job beim FC St. Gallen «Wir sind kein Jammeri-Verein»

«Es darf nicht sein, dass ich ausraste»

Ex-SRF-Star Hüppi über seinen Job beim FC St. Gallen

Er hat aus dem Aussenseiter einen Titelkandidaten gemacht. FC-St.-Gallen-Präsident Matthias Hüppi ist der Mann der Stunde im Schweizer Fussball. Sogar in Bern wird er mit «Hopp St. Galle» empfangen.

Artikel teilen

Interview mit Matthias Hüppi FC St. Gallen Präsident

Fast wie Weihnachten im Kybunpark: «Wir wollen unsere Fans weiter begeistern. Aber wir bleiben der Underdog», sagt Matthias Hüppi.

David Biedert

Kybunpark, St. Gallen. Die Wolken hängen tief, der Schnee legt sich wie ein riesiges Leintuch über den Rasen. Matthias Hüppi, 61, sitzt am Schreibtisch in seinem Büro im fünften Stock der Tribüne und blickt aufs Spielfeld: «Das ist der schönste Arbeitsplatz der Welt.» Vor fünf Tagen lieferte sein Klub ein episches Spiel gegen die Young Boys. Erst in der letzten Sekunde platzte der Traum vom Sieg. Doch Hüppi mag nicht lamentieren: «Wir akzeptieren das Verdikt und werden weiterhin mutig und dynamisch nach vorne spielen.» Gleichzeitig sagt er: «Erfolg lässt sich nicht planen. Aber der sichere Weg zum Misserfolg ist, wenn man es allen recht machen will.»

Matthias Hüppi, Ihr ganzes Büro ist grün-weiss – und auch Ihre Träume?
Ich träume oft von Geschichten um den FC St. Gallen – von Begebenheiten aus dem Sport und dem Geschäftsbereich: von schönen, aber auch von problematischen. Der Alltag in einem Fussballklub ist wie das echte Leben.

Nach dem Spiel gegen YB schliefen Sie vermutlich nicht gut?
Ich war so aufgewühlt wie wohl die meisten Zuschauer. Das Stadion war voll, unsere Mannschaft spielte begeisternd und forderte den Meister bis zur letzten Minute. Diese Geschichte hätte man sich so nicht ausdenken können.

Ihre Mannschaft hatte das Spiel faktisch zweimal gewonnen – und am Schluss entschied ein Videoschiedsrichter, als er beim Stand von 3:2 für Ihr Team einen gehaltenen Penalty zugunsten von YB wiederholen liess. Wie gross war Ihr Frust?
Als Klubpräsident muss ich in solchen Situationen möglichst sachlich und rational bleiben. Es darf nicht sein, dass ich dann wie ein begossener Pudel rumlaufe oder gar ausraste. Auch wenn es mir im ersten Moment schwerfiel, wollte ich sofort eine ausgleichende Position einnehmen und probieren, Mannschaft und Staff wieder aufzurichten. Schliesslich lieferten wir ein grandioses Spiel und begeisterten unser Publikum.

Als früherer TV-Mann können Sie den Videobeweis ohnehin nicht infrage stellen …
Fakt ist: Die Klubs haben sich für den VAR entschieden. Wir wollten diese technische Hilfe. Entscheidet sie nun für den eigenen Klub, findet man dies gut. Macht sie einem einen Strich durch die Rechnung, ist man verärgert. Der VAR sollte aber zwingend zur Unterstützung und nie zur Verunsicherung des Schiedsrichters auf dem Platz beitragen. Der Schiedsrichter muss Chef bleiben. Würde man in Zukunft streng nach der Regel vorgehen, müssten mutmasslich 70 Prozent aller verschossenen Penaltys wiederholt werden. Aber diese Geschichte ist abgehakt. Wir wollen keine Energie mit Dingen verschwenden, die wir nicht ändern können. Wir sind kein Jammeri-Verein.

Nach dem Schlusspfiff gegen YB solidarisierte sich wohl die halbe Schweiz mit St. Gallen. Spürten Sie dies persönlich?
Ich spüre grundsätzlich grossen Respekt für unsere Arbeit – egal, ob in Basel, Thun oder Zürich. Am Montag erlebte ich aber etwas ganz Spezielles. Ich war für eine Sitzung der Swiss Football League in Bern und kaufte am Bahnhof ein Getränk. Da rief mir der Verkäufer im breitesten Berndeutsch zu: «Hopp Sanggaue!»

2020 Interview mit Matthias Hüppi FC St. Gallen Präsident

Auf dem Weg nach oben: Der frühere TV-Reporter Hüppi hat aus dem maroden FC St. Gallen einen Spitzenklub gemacht.

David Biedert

Wie schafft es St. Gallen, mit einem Budget von 7,6 Millionen Franken für die erste Mannschaft mit Klubs wie Basel und YB mitzuhalten?
Mit einem Aktionariat, das Vertrauen schenkt, mit einem Sportchef, der mitzieht, einem Trainer, der mitzieht – einem Staff und einer Mannschaft, 
die bedingungslos zusammenarbeiten. Der aktuelle Erfolg darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir auch schwierige Momente zu überstehen hatten. Wir sind nicht gestartet und waren sofort im Himmel. Es brauchte in den vergangenen zwei Jahren viel Mut und eine grosse Risikobereitschaft. Entscheidend ist wohl: Wenn ein Sturm aufzieht, muss man standhaft bleiben. Der Fussball ist ein Geschäft, das zu Hysterie neigt. Als Präsident muss ich da quasi die Rolle des Leuchtturms spielen.

Aber schon als TV-Reporter galten Sie als personifizierte Emotionalität. Wie schaffen Sie diesen Spagat?
Was ich tue, mache ich immer mit Leib und Seele. Etwas anderes gibt es für mich nicht. Und ich freue mich unbändig für die Spieler und Trainer, wenn wir Erfolg haben. Aber im richtigen Moment muss ich auch Distanz wahren. In die Garderobe gehe ich höchst selten und nur, wenn es der Trainer ausdrücklich wünscht. Und Sie werden mich auch nie laut ausrufen hören, wenn so etwas passiert wie am vergangenen Sonntag.

Wurden Sie als Quereinsteiger von den anderen Klubbossen von Anfang an ernst genommen?
Ja – definitiv. Sonst wäre ich heute kaum Mitglied des Komitees der Swiss Football League. Ich kenne ja die meisten Präsidenten aus meiner Zeit als Reporter. Mit anderen Exponenten, wie zum Beispiel YB-Sportchef Spycher, habe ich sogar zusammengearbeitet. Ich denke, meine Aussensicht wird als wertvoller Beitrag angesehen.

Sie sprachen Ihren Sportchef Alain Sutter an. Wie lässt sich dessen feingeistiges Wesen mit der hemdsärmligen St. Galler Fussballkultur verbinden?
Ich würde uns eher als rebellisch bezeichnen. Wir wollen die Aufmüpfigen sein, unseren eigenen Weg gehen und die Grossen ärgern. So gesehen passt Alain doch sehr gut hierher. Bei ihm war es anfänglich wie bei der ganzen Führung: Wir spürten eine wohlwollende Skepsis uns gegenüber. Aber mittlerweile ist diese einem grossen Grundvertrauen gewichen.

Unter Ihrem Vorgänger lag der Klub wirtschaftlich am Boden, wie gelang der Turnaround?
Indem wir sehr vieles sehr schnell änderten – und auch unpopuläre Entscheide trafen. Vor allem mussten wir alle Ausgabenposten durchleuchten. Entscheidend ist: Aktionäre und Verwaltungsrat haben ein hochgradiges Vertrauensverhältnis. Jeder bringt seine Erfahrung und seine Kompetenzen ein – legt sie quasi in einen Korb und steuert so seinen Anteil zum Gelingen bei. Und niemand in der Klubführung verfolgt seine eigenen Interessen, wenn es um Spielertransfers und Ablösesummen geht. Abgesehen von zwei Leihgaben gehören alle Spieler dem Klub. Diese Konstellation ermöglicht uns, absolut unabhängig zu arbeiten.

«Wir wissen, woher wir kommen. Gerade in der jetzigen Euphorie muss man umsichtig und respektvoll bleiben und nicht alles hinausposaunen»

Erfolg weckt auch Begehrlichkeiten bei anderen Klubs. Droht im Sommer der grosse Exodus?
Es wird sehr viel geschrieben und spekuliert. Was ich sagen kann: Gegen die Young Boys waren Scouts von 30 Klubs auf der Tribüne – beispielsweise von Manchester United, Mainz, Bordeaux und Eintracht Frankfurt. Dieses Interesse werte ich als grosse Wertschätzung für unsere Arbeit.

St. Gallen ist 13 Runden vor Saisonende noch immer Leader. Wie sieht die aktuelle Zielsetzung aus?
(Lacht.) Was heisst hier «noch immer»? Ich formuliere keine Ziele. Denn wir wissen genau, woher wir kommen. Klar ist, dass wir die Menschen in unserer Region begeistern und die Grossen weiter ärgern wollen. Was dann Ende Saison herauskommt, wird sich weisen.

Wenn man davon ausgeht, dass sich Glück und Pech ausgleichen, stehen die Fussballgötter in Ihrer Schuld …
Die eine oder andere Rechnung wäre da schon noch offen. Aber wie gesagt: Wir jammern nicht.

Wie viel Geld wetten Sie auf den Titel des FC St. Gallen?
Ich wette aus Prinzip nicht. Sie werden von mir auch nie einen Resultattipp erhalten. Gerade in der jetzigen Euphorie muss man umsichtig und respektvoll bleiben und nicht alles in die Welt hinausposaunen. Das schliesst Ambitionen aber nicht aus. Als Sportkommentator ärgerte ich mich immer darüber, wenn in einem Interview gesagt wurde, dass das nächste Spiel das wichtigste sei. Heute aber weiss ich: Es ist genau so.

Von Thomas Renggli am 29. Februar 2020 - 17:00 Uhr