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Zum Tod des Umweltschützers

Franz Webers Tochter nimmt rührend Abschied

Im Alter von 91 Jahren ist Umwelt- und Tierschützer Franz Weber gestorben. Seine Rettungsaktionen sind legendär. Tochter Vera Weber schreibt in ihrem Nachruf, weshalb sie ihn bewundert und warum sie unter ihm gelitten hat.

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Vera und Franz Weber

«Er hat die Ruhe gefunden, die er früher nie hatte»: Im Juli 2017, zu seinem 90. Geburtstag, besuchte die «Schweizer Illustrierte» Franz Weber zum letzten Mal. Er war an Demenz erkrankt. «Das Kämpferische ist weg. Mein Vater ist nur noch lieb», sagte Vera Weber damals.

Fabienne Bühler

Du nimmst nur das mit, was du gegeben hast.» Das ist der einzige Rat, den mir mein Vater Franz Weber auf meinen Lebensweg mitgegeben hat. Seinen Rat – so einfach er auch klingen mag oder vielleicht gerade deswegen – habe ich verinnerlicht. Nun ist der leuchtende Rebell für Natur und Tier, der grosse Löwe, mein Übervater, von uns gegangen. Und er nimmt mit, was er hinterlässt auf dieser Welt. Und das ist viel.

Unerschrocken, kompromisslos und stark hat sich mein Vater für eine lebenswerte Welt eingesetzt und Naturschönheiten vor dem Beton sowie Kulturdenkmäler vor dem Untergang bewahrt. Von der Rettung von Surlej am Silvaplanersee im Engadin, wo Franz Webers Schicksalsstunde als Umweltschützer schlug, über die Verhinderung eines geplanten Autobahnzubringers durch die Ufergärten in Lausanne-Ouchy bis hin zum Erhalt vom Grandhotel Giessbach am Brienzersee hat er seine Spuren hinterlassen.

Mit seiner Beharrlichkeit hat er Denkmuster aufgebrochen, die zu einem Wertewandel führten. Er schaffte es, selbst wenn alles verloren schien, neue Wege aufzuzeigen und damit Tiere, Landschaften und Kulturgüter zu retten. Mit seiner gewinnenden Art konnte er viele Menschen begeistern. Sein Kampfgeist, beseelt von Zorn, aber auch von Zuversicht, wirkte ansteckend auf alle, die ihn um Hilfe riefen, mit ihm zusammenarbeiteten und ihn unterstützten. Auch auf seine Tochter.

Mein Vater lebte viele Jahre in Paris. Vielleicht wurde deswegen das beflügelnde napoleonische Sprichwort «impossible n’est pas français» (unmöglich ist nicht französisch) zu seinem Lebensmotto, welches mir als Kind die absolute Gewissheit vermittelte: dass mein Vater immer alles richten würde, dass nichts unmöglich war, dass er buchstäblich Berge versetzen konnte. So bin ich aufgewachsen. Mein Vater war mein absoluter Held, und mein Leben als seine geliebte Tochter, als sein einziges Kind war wohlbehütet und eigentlich sorgenfrei. Ich wusste, nichts konnte ihm, meiner Mutter oder mir passieren.

 

Franz und Vera Weber

Ein Leben für die gute Sache Judith und Franz Weber mit Tochter Vera 2012 daheim in Clarens bei Montreux VD.

Kurt Reichenbach
Es war nicht einfach, seine Tochter zusein

Doch mein Leben ausserhalb meines harmonischen Zuhauses gestaltete sich schwieriger. In der Schule in Montreux waren meine Klassenkameraden oft distanziert, ja manchmal auch gemein zu mir. Viele Eltern von Mitschülern wollten nicht, dass sich ihre Kinder mit einem Mädchen anfreundeten, dessen Vater derart polarisierte, der sich mit Bauriesen heftige Auseinandersetzungen lieferte und sich mit deutlichen Worten gegen Tierversuche, Robbenmassaker und andere Grausamkeiten aussprach. So waren Geburtstagsfeste oder Silvesterabende oft eine einsame Angelegenheit. Überhaupt war ich oft sehr einsam, alleine daheim, während meine Eltern von frühmorgens bis spätabends schufteten, sieben Tage die Woche, immer.

Ich war zwar ein einsames Kind, aber nicht unglücklich, denn ich fühlte mich von meinen Eltern ernst genommen. Meine Mutter erklärte mir stets im Detail, um welche Problematik es 
bei den jeweiligen Kampagnen und Initiativen ging. Deshalb war ich unglaublich stolz darauf, die Tochter von Franz Weber zu sein, und habe nie aufgehört, es zu sein.

Mein Vater war furchtlos, was ihm ein starkes Durchsetzungsvermögen verlieh. Er hatte Charme und Charisma, was ihm eine aussergewöhnliche Überzeugungskraft vermittelte. Er konnte in Wort und Schrift einfache leidenschaftliche Botschaften verkünden, die so perfekt formuliert und einleuchtend waren, dass sie direkt ins Herz der Menschen drangen.

 

Franz Weber

Im Element: Franz Weber kämpft 2010 am Saimaasee in Finnland für die Rettung der Saimaa-Robbe und deren Lebensraum.

L'Illustré

Und er hatte geniale Ideen! Als das historische Hotel Giessbach am Brienzersee in Abbruchgefahr war und er vom Berner Rudolf von Fischer zu Hilfe gerufen wurde, erfand er quasi über Nacht die Kampagne und den Slogan, die den Giessbach fulminant rettete: «Giessbach dem Schweizervolk»! 

Das Schweizervolk sollte sich selbst ein Grandhotel schenken. Welch eine packende, begeisternde Idee! Heute steht das Grandhotel Giessbach prachtvoll inmitten einer unberührten Landschaft und ist zum Symbol geworden für den Schutz und die Bewahrung anderer historischen Häuser.

Für mich war Giessbach eine Offenbarung – und auch eine Rettung. Denn plötzlich war das Einzelkind Teil eines Teams, ich konnte mithelfen und anpacken, im Service, in der Küche, in der Wäscherei. Zudem war es mir möglich, in den schwierigen Teenager-Jahren Abstand zu nehmen von meinem Übervater, von den allgegenwärtigen Kampagnen und Kämpfen.

 

Philippe Roch, Vera Weber, links, Judith Weber und Franz Weber

Überraschender Abstimmungserfolg: Im März 2012 nimmt die Schweizer Bevölkerung Franz Webers Zweitwohnungsinitiative an. Tochter Vera leitet die Kampagne. Es ist sein politisch grösster Erfolg.

Keystone

Giessbach beeinflusste auch meine Berufswahl, ich absolvierte die Schweizerische Hotelfachschule in Luzern. Doch im Mai 1999, also vor 20 Jahren, als ich voller Stolz mein Diplom in Empfang nehmen durfte, spürte ich plötzlich, dass mein Leben als Hotelière zu Ende war. Zu stark war der Ruf der Natur und der Tiere – oder besser gesagt: der Ruf zu ihrem Schutz.

So kehrte ich zurück nach Montreux und stürzte mich mit Leib und Seele in die Arbeit bei der Fondation Franz Weber. Meine Mutter Judith war überglücklich, ihr einziges Kind wieder in ihrer Nähe und gleichzeitig eine dynamische junge Mitstreiterin an ihrer Seite zu haben. Mein Vater jedoch wusste nicht genau, was er davon halten sollte. Einerseits war er besorgt, dass ich damit ein aufregendes, aber auch schwieriges Leben wählte, andererseits schien ihn ein Unbehagen zu quälen, dass ich ihm damit ein wenig im Licht stehen könnte …

 

Vera Weber

Vera Weber führt das Erbe ihres Vaters weiter.

sedrik nemeth
Franz Weber war ein Getriebener

Wie dem auch sei, die Kampagnen folgten Schlag auf Schlag. Franz Weber kämpfte für den Schutz der Klöster von Kosovo, die durch den Krieg der Zerstörung ausgesetzt wurden. Frieden wäre die Lösung gewesen. Die Geschichte hat es anders gewollt.

In Australien waren tausend Wildpferde im Reservat der Stiftung in Sicherheit. Die Initiative «Tiere sind keine Sachen» wurde lanciert, die nötigen Unterschriften gesammelt, und nachdem 
das Tierschutzgesetz in dem Sinne geändert worden war, dass Tiere eine bessere Rechtsstellung erhielten – leider ohne Tieranwalt –, wurde sie zurückgezogen.

Franz Weber lancierte zwei weitere eidgenössische Volksinitiativen: zum Schutz des Waldes und gegen Kampfjetlärm in Tourismusgebieten. Und eine zweite kantonale Initiative zum ausdrücklichen Schutz der Weinberge von Lavaux, welche die Waadtländer Bevölkerung haushoch angenommen hat. Und er lancierte zwei Initiativen zum Schutz des Schweizer Bodens – eine davon war die Zweitwohnungsinitiative.

 

Franz Weber

Nachhaltige Wirkung: Ohne Franz Weber – hier im Jahr 2003 – würde das wunderbare Weinbaugebiet Lavaux am Genfersee nicht mehr in dieser Form existieren.

© KEYSTONE / OLIVIER MAIRE

Mein Vater konnte beinahe rund um die Uhr auf meine Mutter, auf mich sowie auf ein effizientes kleines Team von leidenschaftlichen Mitstreitern zählen.

Franz Weber war ein Getriebener. Getrieben von seiner Liebe für sein Land. Für die Schönheit der Schweizer Landschaften und Kulturdenkmäler. Für ihn, er sagte es oft, wäre es Fahnenflucht gewesen, nicht alles in seiner Macht Stehende zu tun, um diese Schönheit zu bewahren. Zu dieser Schönheit gehören die Tiere, unsere Umwelt, unsere Mitwelt. Und er hatte in meiner Mutter die absolute Ergänzung gefunden. Der Erfolg des Tandems Franz und Judith Weber beweist einmal mehr, dass hinter einem starken Mann eine starke Frau steht, ja stehen muss. Ohne sie wäre manches nicht möglich gewesen. Und ohne sie wäre ich nicht Mitarbeiterin bei Franz Weber geblieben.

 

Vera und Franz Weber

«Es war nicht einfach, Franz Webers Tochter zu sein»: Vera Weber mit ihrem Vater 2014.

L'Illustré

Denn es war nicht einfach, Franz Webers Tochter zu sein. In der Sache waren wir uns zwar immer einig, nur in der Umsetzung gingen unsere Meinungen manchmal auseinander. Dies führte oft 
zu heftigen Auseinandersetzungen. Der Höhepunkt des Vater-Tochter-Konflikts war nach der Annahme der Zweitwohnungsinitiative am 11. März 2012: Mein Va-ter kränkte mich mit der Behauptung, dass das Resultat besser ausgefallen wäre, hätte er die Abstimmungskampagne selber konzipiert und geleitet. Das war zu viel, ich wollte gehen – und blieb trotzdem.

Trotz meinem Vater, denn geblieben bin ich nicht wegen ihm, sondern wegen der Sache, für die er kämpfte, und wegen meiner Mutter. Drei Jahre später übergab er mir vollumfänglich die Verantwortung für die Sache, für die er sich fünf Jahrzehnte eingesetzt hatte. Es war der Anfang unserer Vater-Tochter-Freundschaft.

Am 2. April sagte ich meinem «Papili» zum letzten Mal, dass ich ihn liebe und bewundere. Und wenn ich heute, mit meinen 44 Jahren, zurückblicke, weiss ich, dass die Franz-Weber-Schule, so hart wie sie auch war, mir das nötige Rüstzeug gab. Ich bin gewappnet für viele weitere Kämpfe für Tier und Natur.

Merci, Papili!

Von Vera Weber am 12. April 2019 - 18:30 Uhr