Fussballerinnen simulieren nicht und bleiben nicht unnötig liegen.» – «Fussballerinnen spielen nicht auf Zeit.» – «Fussballerinnen machen keine Schwalben.» – «Anders als Fussballer brauchen Fussballerinnen auch keinen choreografierten Torjubel, keine versteckten Fouls, keine Reklamationen bei der Schiedsrichterin und keine verbalen Provokationen.»
Ein Land in Ekstase: Die Schweiz feiert ihre Nationalmannschaft auf und neben dem Platz.
keystone-sda.chUngefähr so war bis vor Kurzem der Grundtenor jener Leute, die uns alten Fussballmachos den Frauenfussball schmackhaft machen wollten. Dennoch, oder gerade deswegen, haben wir unsere Vorurteile nicht ablegen können. Wenn die Frauen im Fussball Heilige sind und der Frauenfussball ohne die bekannten Schlaumeiereien auskommt, dann muss Frauenfussball etwas anderes sein als Fussball, dachten wir und gaben uns gar nicht mehr die Mühe, genauer hinzuschauen.
Zum ersten Mal in der Geschichte steht die Schweizer Frauen-Nati in einem Viertelfinal. Die Freude ist riesig, die Umarmungen sind lang.
Sébastien Ross / SFVAber jetzt ist die Fussball-Europameisterschaft der Frauen in der Schweiz. Alle Spiele werden am Fernsehen live übertragen, das ganze Land schaut zu, und auf einmal wird mir klar, dass alles gar nicht stimmte, was man mir über Fussball der Frauen in den letzten Jahren und Jahrzehnten weismachen wollte.
Fussballerinnen sind keine edleren Wesen der Fussballstadien. Sie treten, sie spucken, sie spielen auf Zeit, wenn es Sinn macht, und sie hauen eine Gegnerin auch einmal einfach um.
Da bleibt kein Auge trocken: Schlagersängerin Beatrice Egli begeistert Fans und Spielerinnen mit der Schweizer Hymne.
SFVAber vor allem spielen sie schnellen, spannenden, torreichen und sehr attraktiven Fussball. Wir sehen Weitschüsse, die haargenau ins Lattenkreuz passen. Wir sehen gekonnte Ballannahmen, kunstvolle Dribblings, Doppelpässe, Direktzuspiele, zentimetergenaue Pässe hinter die Abwehrkette, beinharte Tacklings, einfach alles, was jedes Fussballfan-Herz schneller schlagen lässt.
Man muss den Fussball der Frauen nicht mit den eingangs zitierten Gefälligkeitsfloskeln schönreden oder gegen den Fussball der Männer abgrenzen. Der Fussball, den die Frauen aus 16 Ländern an dieser Euro 25 spielen, ist grosse Klasse. Man muss ihn nur sehen und geniessen.
Assist und Tor: Leila Wandeler und Alayah Pilgrim (r.) gehen nach dem 2:0 gegen Island mit ihrem Torjubel-Tanz viral.
Sébastien Ross / SFVTempo, Technik, Taktik und Instinkt
Fussball kann uns für einen Augenblick zusammenschweissen, weil wir für einmal die gleichen Emotionen und die gleichen Geschichten teilen. Fussball ist ein einfaches Spiel, das von Tempo, Technik, Taktik und Instinkt lebt. Das beweist jedes Duell an dieser Europameisterschaft in der Schweiz. Und es sind wahrhaft fantastische Matches, die wir zu sehen bekommen. Die Stadien sind voll. Die Austragungsorte zelebrieren ihre Spiele. Die Fans aus dem In- und Ausland sind hervorragend aufgelegt. Die Medien ziehen mit, und die ganze Schweiz geniesst den Moment.
Dass das Schweizer Nationalteam in seinen Gruppenspielen mit sehr engagiertem Spiel und grossem Teamgeist aufgefallen ist und dass die Schweizerinnen sich nach aufopferndem Kampf in der Nachspielzeit des dritten Spiels noch den Einzug in den Viertelfinal sicherten, setzt der ohnehin schon tollen Atmosphäre die Krone auf. Die Geschichte dieses letzten Gruppenspiels hat nicht nur mich zu Tränen gerührt.
Aus ganz Europa sind die Fans zahlreich angereist, um anzufeuern, zu applaudieren und auch mal zu protestieren.
Getty ImagesDie Nationalspielerinnen, welche die Schweiz in diesem Sommer vertreten, treten auf und neben dem Fussballplatz professionell, locker, liebenswert und smart auf. Aber wenn es nötig wird, können sie auch mal hart zur Sache gehen. Solchen Fussball mögen alle, gebt uns bitte mehr davon!