1. Home
  2. People
  3. Swiss Stars
  4. Nach ESAF 2025: Schwingerkönig Armon Orlik im Interview
Schwingerkönig Armon Orlik

«Ganz ehrlich: Ich habe auf einen Gestellten gehofft»

16 Minuten Spannung, 110 Kilo Herzklopfen und ein Novum: Armon Orlik wird Schwingerkönig – obwohl er nicht im Schlussgang stand. So erlebte er den grössten Triumph seiner Karriere.

Artikel teilen

<p>Orlik in der Schwinghalle in Untervaz GR mit der gewonnenen Treichel. In der alten Halle von Untervaz machte <br />er seine ersten Schwünge.</p>

Orlik in der Schwinghalle in Untervaz GR mit der gewonnenen Treichel. In der alten Halle von Untervaz machte er seine ersten Schwünge.

Fabienne Bühler

Gut Ding will Weile haben. Armon Orliks (30) «gutes Ding» dauert exakt 16 Minuten. Minuten, in denen Hoffen und Bangen, Enttäuschung und Euphorie enger beieinanderlagen als die Holzflocken im Sägemehl. «In meinem Kopf dauerte es viel länger. Es hätte sich sicher kürzer angefühlt, hätte ich selbst geschwungen.»

Einige Tage sind seit seinem grössten Triumph vergangen. Der Jubel ebbt nicht ab, die Emotionen hallen nach. Und doch wirkt der 1,90 Meter grosse Bündner erstaunlich gelassen, als er in der Schwinghalle in Untervaz GR steht – an jenem Ort, wo seine Karriere begann. «Es geht mir super. Ich bin sehr glücklich. Und zufrieden. Diese Nacht konnte ich auch endlich gut schlafen.» Er lächelt.

<p>Eichenlaub auf dem Kopf, Freude im Herzen: «Meine ganze Karriere habe ich auf diesen Sieg hingearbeitet. Es ist eine Riesensache.»</p>

Eichenlaub auf dem Kopf, Freude im Herzen: «Meine ganze Karriere habe ich auf diesen Sieg hingearbeitet. Es ist eine Riesensache.»

Fabienne Bühler

Es war eine Achterbahnfahrt der Gefühle für den 110-Kilo-Mann. Erst der Schock: Er wird nicht für den Schlussgang nominiert. Eine Welt bricht zusammen. «Ich bin zusammengesackt und wollte das Ende des Turniers nicht mehr miterleben.» Doch Orlik rafft sich auf. Er weiss: Wenn er Pirmin Reichmuth mit der Note 10 bezwingt – und wenn gleichzeitig seine Freunde Samuel Giger und Werner Schlegel stellen –, lebt die Chance auf den Königstitel. Paradox: Die engsten Weggefährten müssen straucheln, damit er triumphieren kann. Orlik lacht. «Ich hätte es ihnen beiden von Herzen gegönnt. Und doch muss ich ehrlich zugeben: Ich habe auf einen Gestellten gehofft.»

16 Minuten später ist es Gewissheit: Armon Orlik ist Schwingerkönig. Der erste in der 131-jährigen Geschichte des Eidgenössischen, der den Titel holt, ohne im Schlussgang gestanden zu haben. Ein Krimi. Ein Novum.

Das ESAF war für den Maienfelder Triumph und Ausnahmezustand zugleich. Im TV sagte er nach dem Sieg: «Heute will ich steil gehen.» Ist er? «Nicht so, wie ich es gedacht habe», gibt er zu. «Ich habe jeglichen Alkohol sofort wieder verbrannt – weil ich ständig in Bewegung war.» Bis fünf Uhr morgens feierte er mit der Familie und Kollegen. «Da konnte ich es erst richtig realisieren. Wir haben viel geredet und zurückgeschaut. Das war wunderschön.» Danach gings mit dem Taxi zurück nach Rapperswil-Jona, wo er alleine in einer Wohnung lebt. In einer Beziehung ist der Schwingerkönig nicht.

Familiensache

Dafür pflegt er mit seiner Familie einen sehr engen Zusammenhalt. Die Eltern Helena (59) und Paul Orlik (62) sind mächtig stolz auf den jüngsten von vier Söhnen. «Wir freuen uns wahnsinnig, dass Armon dieses Ziel in seiner Karriere erreichen durfte. Es ist sehr emotional für uns», sagen die beiden. Vater Paul war selbst Kranzschwinger, hat wie der ältere Sohn Curdin (32) und Armon einen Ehrenplatz in der Hall of Fame im Schwingclub in Untervaz. «Als ehemaliger Schwinger weiss ich aus erster Hand, was da alles dahintersteckt. Aber was für ein Krimi das war mit diesem Schlussgang!», ruft Papa Paul.

<p>Stolze Eltern: Papa Paul Orlik mit Armon und Mama Helena. «Wir haben alle geweint, als wir uns nach dem Sieg gesehen haben.»</p>

Stolze Eltern: Papa Paul Orlik mit Armon und Mama Helena. «Wir haben alle geweint, als wir uns nach dem Sieg gesehen haben.»

Fabienne Bühler

Ähnlich erlebt hat es Mama Helena: «Ich bin normalerweise extrem nervös, kann bei den Schwingfesten unserer Söhne kaum etwas essen, und mir ist ständig übel. Dieses Mal war ich das ganze Fest über die Ruhe selbst. Ich habe es einfach gespürt», erzählt sie. «Zugeben: Beim Schlussgang wars dann doch schlimm! Ich habe meine Schwester festgehalten und jede Minute gefragt: Ist es bald vorbei?» Sie lacht herzlich.

Auch für den ältesten Sohn Lucas (35) ist der Triumph seines Bruders – besser gesagt seiner Brüder, denn Curdin holte sich als Neunter ebenfalls einen Kranz – sehr emotional. «Ich habe immer an ihn geglaubt. Als grosser Bruder freut man sich wie verrückt!» Auch er war einst Schwinger, konzentrierte sich dann aber lieber auf seine Karriere als Polizist. Die Orlik-Eltern richteten früh einen Judo-Schwingkeller bei sich zu Hause ein, denn: Papa Paul war früher auch Judoka, der zweitälteste Sohn Flavio (34) wurde in diesem Sport Schweizer Meister. Die vier Brüder tobten sich gern auf den Matten im Keller aus. «Früher habe ich natürlich immer auf die Kappe bekommen», erzählt Armon schmunzelnd. «Ich war ja auch der Kleinste.»

<p>Der Älteste mit dem Jüngsten: Lucas (oben) ist stolz auf seinen kleinen Bruder. Wir haben eine schöne Beziehung, sehen uns nebst der Saison wöchentlich.</p>

Der Älteste mit dem Jüngsten: Lucas (oben) ist stolz auf seinen kleinen Bruder. Wir haben eine schöne Beziehung, sehen uns nebst der Saison wöchentlich.

Fabienne Bühler

Gerade jetzt ist Armon wahrscheinlich aber zum ersten Mal der Grösste zu Hause. Für Armon Orlik war der Schwingerkönigstitel bereits 2016 zum Greifen nah – im Schlussgang unterlag er Matthias Glarner. Überhaupt war 2016 sein Jahr: Er stieg damals zum absoluten Spitzenschwinger auf, überraschte die Szene mit sechs Kranzfestsiegen. Fast zehn Jahre später folgt nun der Höhepunkt. Mittlerweile hat er 26 Kranzfestsiege in seinem Palmarès, darf sich König der Schweiz nennen. Was für ein König er sein möchte? Ein lieber. Er lächelt. Befehlen möchte er nicht. Er will weiterhin seinen Job machen und hart an sich arbeiten.

Gestohlenes Erinnerungsstück

Und fürs Team da sein. Den Muni Zibu – sein Gewinn – nahm er nicht nach Hause, er entschied sich für den Gegenwert von 30'000 Franken. Davon möchte er sich eine schöne Uhr gönnen. Nebst dem Sieg und dem Eichenlaub hat Orlik noch etwas ganz Besonderes vom ESAF mitgenommen. «Ich habe die Zwilchhose von meinem achten Gang gestohlen!», gibt er lachend zu. «Das darf man eigentlich nicht, aber ich möchte sie unbedingt bei mir zu Hause aufhängen.» Das Schwingerkönig-Eichenlaub wird in seine Vitrine kommen, in der alle seine Kränze sind. Und der «Plümpe», wie der König die traditionelle Treichel nennt, schenkt er der untervazischen Schwinghalle. Der gelernte Bauingenieur half vor drei Jahren, diese aufzubauen.

Fette Grillade

Dass Orlik Schwinger, geschweige denn Schwingerkönig wird, war nicht abzusehen. Als Kind probierte der Wirbelwind auch Tennis und Judo. Nach seinem ersten Schwingfest sagte er: Dieses Sägemehl brauche er nicht. Ruhiger wurde Orlik im Teenageralter. Mit 13 Jahren hatte er eine Wachstumsstörung im Arm, musste ein Jahr mit jeglichem Sport pausieren. Mit 16 kehrte er ins Sägemehl zurück – und blieb. Heute ist vor allem beim Essen keiner in der Schwingszene so diszipliniert wie Orlik. Während der Saison verzichtet er auf Fast Food und Süssgetränke. Was er sich jetzt wohl gönnen wird? «Ich freue mich auf eine fette Grillade. Mit Würsten, Steaks und Saucen.» Ein Genuss nach einem Moment für die Ewigkeit. Armon Orlik weiss nun, dass 16 Minuten ein Leben verändern können. Als König hat er sich aus der Zeit gelöst. Und sich im Sägemehl unsterblich gemacht.

Yara Vettiger, Redaktorin Schweizer Illustrierte
Yara VettigerMehr erfahren
Von Yara Vettiger vor 4 Stunden