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Archäologie und Abenteuer

Gino Caspari ist der Jäger der verborgenen Schätze

Dieser Schweizer Archäologe ist auf der ganzen Welt Geheimnissen der Vergangenheit auf der Spur. Unter Wasser, an Land und im Eis sucht Gino Caspari nach historischen Artefakten, begeistert damit Hunderttausende im Netz und legt sich mit Grabräubern an.

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<p>Aufgetaucht: Der Berner untersucht im Hafen von Ciutadella auf Menorca versunkene Schiffwracks, die bis zu 700 Jahre alt sind. «Hier unten schlummert Geschichte.»</p>

Aufgetaucht: Der Berner untersucht im Hafen von Ciutadella auf Menorca versunkene Schiffwracks, die bis zu 700 Jahre alt sind. «Hier unten schlummert Geschichte.»

Remy Steiner

Von oben ist kaum etwas zu sehen, nur ein paar Luftblasen, die zur Oberfläche steigen und verraten: Da unter dem Meeresspiegel atmet jemand. Dieser jemand ist der Archäologe Gino Caspari (38). Seit über einer Stunde taucht er im Hafen von Ciutadella auf Menorca. Mit einem Taschenmesser schneidet er Seegrass von einem mittelalterlichen Schiffswrack. Zwischen den Hafenmauern liegen unzählige von ihnen verborgen – und mit ihnen Amphoren, Anker, Holzreste, verschluckt von den Jahrhunderten.

<p>Abgetaucht: Nirgendwo im Mittelmeer gibt es mehr archäologische Funde pro Quadrat­kilometer als auf Menorca. «Alles ist voller Spuren der Vergangenheit.»</p>

Abgetaucht: Nirgendwo im Mittelmeer gibt es mehr archäologische Funde pro Quadratkilometer als auf Menorca. «Alles ist voller Spuren der Vergangenheit.»

Trevor J. Wallace

«Dieser Hafen ist wie ein Museum unter Wasser», sagt Caspari später bei einem alkoholfreien Bier in der historischen Altstadt. Drei Wochen hilft er seinem besten Freund, dem Amerikaner Trevor Wallace (35) bei dessen Unterwasserausgrabung. «Fast wie Ferien», sagt er. Der Archäologe führt sonst ein Leben, das mehr an einen Abenteuerfilm erinnert: aufregend, oft hart, selten bequem. «Ich arbeite lieber irgendwo im Matsch als mit einem Anzug in einem Büro.»

Wurzeln im Wald

Aufgewachsen ist Caspari mit seinem jüngeren Bruder in Steffisburg bei Thun, in einem Haus direkt am Waldrand. Der Vater war Kieferorthopäde, die Mutter Biotech‑Laborantin. «Meine Mutter hatte immer schon etwas von einer Kräuterhexe. Mein Vater war Jäger», sagt Caspari. Die Natur prägte ihn – und die Schule? Er lacht. «Ich war leicht hyperaktiv. Ich hatte immer gute Noten, aber nicht wirklich Lust, etwas dafür zu tun.» Mit zwölf Jahren beginnt er mit Kampfsport. «Ich wurde damals gehänselt. Irgendwann fand ich: Jetzt reichts.» Bald trainiert er sechsmal pro Woche Kung Fu, nimmt an internationalen Wettkämpfen teil. So kommt er als Teenager zum ersten Mal nach China – und das Land lässt ihn nicht mehr so schnell los.

<p>Entspannt: Im Teamhaus tüftelt er mit einem Kollegen aus Spanien an den nächsten Schritten. «Bei uns muss man immer ein bisschen flexibel bleiben.»</p>

Entspannt: Im Teamhaus tüftelt er mit einem Kollegen aus Spanien an den nächsten Schritten. «Bei uns muss man immer ein bisschen flexibel bleiben.»

Remy Steiner

Caspari studiert in Bern Vorderasien- und Mittelmeerarchäologie, macht später einen Master in Business Administration. Parallel lernt er Chinesisch – und erhält ein Stipendium für einen Austausch in Xi’an. Er reist wieder nach China. Er lernt die Sprache besser und bekommt Zugang zu einer Region, in die kaum ein Ausländer rein darf: Xinjiang, eine der am strengsten überwachten und am wenigsten erforschten Regionen im Nordwesten des Landes. «Ich dachte: Da muss es doch noch etwas geben – da will ich hin!»

Mit viel Hartnäckigkeit erhält er eine Ausgrabungsbewilligung für die von Uiguren bewohnten Grenzregion. «Ich kannte es nicht anders und dachte, es sei normal, dass alles extrem schwierig ist. Und mein Doktorat hing davon ab – also habe ich es einfach durchgezogen, bis es geklappt hat.»

Treffer aus dem Nichts

Auf Menorca wohnt Caspari während drei Wochen in einem Ferienhaus am Stadtrand – zusammen mit acht anderen Archäologen. Im Pool waschen sie ihre Tauchausrüstung, die nassen Neoprenanzüge trocknen auf den Stuhllehnen auf der Terrasse. Caspari hat ein kleines Zimmer im ersten Stock, auf dem Bett liegt sein Schlafsack. «Für mich ist das hier Luxus.»

<p>Fokussiert: Caspari kann von überall aus arbeiten. «Dieses Ferienhaus hier ist für mich schon Luxus.»</p>

Fokussiert: Caspari kann von überall aus arbeiten. «Dieses Ferienhaus hier ist für mich schon Luxus.»

Remy Steiner

Ganz anders die Arbeitsbedingungen 2017 in Russland. In Sibirien gelang ihm damals ein grosser Sensationsfund: Er entdeckt in einem Sumpf einen 2800 Jahre alten skythischen Grabhügel – dank Satellitenaufnahmen. «Das war ziemlich cool.» Und es war hart! «Wir schliefen fünf, sechs Monate in Zelten.» Aber Caspari sagt: «Alles ist intensiver. Wir kochten zusammen, wuschen uns zusammen im Fluss.» Und an den Wochenenden? «Da kannst du vier Stunden in eine Richtung laufen – und vier zurück.»

Romantik und Realität

Caspari ist assoziierter Forscher an der Uni Bern. Geld für seine Expeditionen bekommt er von Stiftungen und privaten Geldgebern. Ein grosses Projekt wie in Sibirien kostet etwas unter einer Million. «Aber nur, weil wir Fahrzeuge gestellt bekommen und die Löhne viel tiefer sind als in der Schweiz.»

<p>Aufbruch: Der Archäologe hat schon weltweit gearbeitet – als Nächstes wartet Abu Dhabi. «Dann aber im Anzug – ich werde bei einer Tagung einen Vortrag halten.»</p>

Aufbruch: Der Archäologe hat schon weltweit gearbeitet – als Nächstes wartet Abu Dhabi. «Dann aber im Anzug – ich werde bei einer Tagung einen Vortrag halten.»

Remy Steiner

Während andere Forscherinnen und Forscher nur publizieren, zeigt Caspari, wie sich Forschung anfühlt. 126'000 Menschen folgen ihm auf Instagram. «Seit Corona sind viele dazugekommen, den Leuten war zu Hause wohl langweilig.» Wichtig sei, dass man nicht nur trockene Theorie zeige, sondern auch Abenteuer. Staub und Schweiss, das zieht – und dazu seine langen Haare, die im Wind wehen. «Es gibt eine grosse Überschneidung zwischen Heavy-Metal-Fans und prähistorischen Archäologen», sagt er mit einem Zwinkern.

<p>Ausgleich: Neben dem Kampfsport liebt Caspari das Klettern. «Sport bringt meinen Kopf runter – meistens.»</p>

Ausgleich: Neben dem Kampfsport liebt Caspari das Klettern. «Sport bringt meinen Kopf runter – meistens.»

Remy Steiner

Seit 2016 hat er mit seinem besten Freund Trevor Wallace einen Dokumentarfilm in Nordwestchina gedreht – und ist dafür Grabräubern gefolgt und hat sie mit einer versteckten Knopfkamera gefilmt. Nicht ungefährlich. «Ich kenne Kollegen, die in China auf Nimmerwiedersehen verschwunden sind.» Darum weiss er: «Das Kapitel ist mit diesem Film abgeschlossen, ich werde nicht mehr nach China zurückkehren.»

Zu Hause im Abenteuer

Am Abend zieht die Gruppe in Menorca los: erst ein Museum, dann ein Bier in einer Beiz. Im Lokal kennt man sie, der Kellner bringt die grossen Flaschen raus. «Ich habe durch meinen Job Freunde auf allen Kontinenten», sagt Caspari. Und hebt sein Glas auf sie alle.

<p>Ausgelassen: Das Team um Trevor Wallace (l.) zieht nach einem Einsatz gerne noch für ein Bier los. «Das Archäologenleben schweisst zusammen.»</p>

Ausgelassen: Das Team um Trevor Wallace (l.) zieht nach einem Einsatz gerne noch für ein Bier los. «Das Archäologenleben schweisst zusammen.»

Remy Steiner

In seinem Studio in der Berner Länggasse ist Caspari selten. Seine Familie hat sich daran gewöhnt. «Ich kenne kaum jemanden, der einen so intensiven Alltag hat.» Ein Lebensrhythmus, der sich schlecht mit Kindern verträgt. «Eine Familie könnte ich mir nicht leisten – und möchte es auch nicht.»

Fehlt ihm Sicherheit oder gar Langeweile? Er überlegt keine drei Sekunden: «Ich kenne sehr vermögende Menschen, die ihr Leben lang hart gearbeitet haben und jetzt im Alter das tun wollen, was ich mache. Das zeigt doch, dass ich den richtigen Weg gegangen bin, oder?»

Ein Leben wie ein Abenteuerfilm – Die Welt von Gino Caspari

Explorers Club

Caspari (2. v. r.) ist Mitglied im Explorer Club, einem amerikanischen Club für Entdecker. «Für mein Netzwerk ist das unglaublich wertvoll.» Unter den Mitgliedern ist auch Amazon-Gründer Jeff Bezos (3. v. r.).

Felix Kunze
Grab in Sibirien

2017 stösst der Forscher in Sibirien auf ein 2800 Jahre altes Königsgrab der Skythen, einem Volk von Reiternomaden. Dieser Fund katapultiert ihn ins Rampenlicht.

ZVG
Tattoo von Eismumie

Diesen Sommer enthüllt Gino Caspari bei einer 2400 Jahre alten Eismumie aus Sibirien beeindruckende Tätowierungen. Die skythische Frau trug komplexe Tierkampfszenen auf ihren Unterarmen.

Daniel Riday
Dokumentarfilm

Im Dokumentarfilm «Among Thieves» verfolgt Gino Caspari Grabräuber in die abgelegene Wildnis Chinas, gibt sich als Käufer aus und filmt sie heimlich. Ab Dezember am Anchorage International Film Festival zu sehen.

Trevor J. Wallace
Silvana Degonda
Silvana DegondaMehr erfahren
Von Silvana Degonda am 10. November 2025 - 06:00 Uhr