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Kathrin Bertschy interviewt ihren Politkollegen

Glättli stellt sich den Fragen seiner Konkurrenz

Bei Kathrin Bertschy von den Grünliberalen und Balthasar Glättli von den Grünen fliegen manchmal die Fetzen. Was Brasiliens Präsident damit zu tun hat und welches Gericht Glättli besonders gern kocht.

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Wahlstafette Kathrin Bertschy Balthasar Glättli

Grünes Gipfeltreffen: Kathrin Bertschy empfängt im Progr in Bern ihren Ratskollegen Balthasar Glättli.

Kurt Reichenbach

Empfängt eine Berner Nationalrätin einen Zürcher Politkollegen in der Bundesstadt, gibts ein «Berner Müntschi» – das lokale helltrübe Bier. «Das mag ich», sagt Balthasar Glättli, 47, und nimmt einen Schluck. Für das Treffen mit ihrem grünen Konkurrenten hat sich die Grünliberale Kathrin Bertschy, 40, das Berner Kulturzentrum Progr ausgesucht. Passend zum grünen Gipfeltreffen sitzen die beiden zwischen Palmen auf der Terrasse im Innenhof.

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Beherzt: Glättlis Partnerin macht auch Politik. «Ein Vorteil – ausser bei der Kinderbetreuung.»

Kurt Reichenbach

Kathrin Bertschy: Die letzten vier Jahre waren für uns umweltfreundlichen Parteien ein Desaster. Massnahmen gegen Pestizide, für sauberes Trinkwasser, für den Klimaschutz – allesamt chancenlos im Parlament. Wo haben Sie am meisten gelitten?
Balthasar Glättli: Besonders ernüchtert war ich am Montag, dem Auftakt der aktuellen Session. Da entscheidet der Nationalrat, dass er auf Erdgas, Flüssiggas und biogenen Treibstoff weiterhin Steuererleichterungen gewährt. Aber er ist dagegen, gleichzeitig Massnahmen zum Klimaschutz, etwa die Senkung der CO2-Emissionen von Autos, zu beschliessen. Gerade die FDP wollte trotz ihren Versprechen nichts davon wissen.

Sind das denn die dringlichsten Massnahmen fürs Klima?
Lenkungsabgaben im Verkehr sind tatsächlich sehr wichtig, auch beim Flugverkehr. Für die Leute bedeutet dies aber nicht automatisch, dass alles teurer wird. Das Geld fliesst zu zwei Dritteln zu ihnen und den Unternehmen zurück. Zu einem Drittel wird es investiert, etwa um energetische Sanierungen günstiger zu machen – sodass zum Beispiel die Mieten weniger steigen.

Das andere Kreuzverhör

In der SI-Wahlstafette interviewt eine Partei die nächste. Und die darf in der folgenden Woche die Fragen an eine weitere Partei stellen. So geht das bis zu den Wahlen.

Wer umweltbewusst lebt, wird belohnt.
Genau. Und wer einen Zürichbergpanzer fährt, muss tiefer in die Tasche greifen. Jene, die sich sowieso nur ein kleines Auto leisten können, bekommen dank einem Ökobonus unter dem Strich Geld zurück.

Und Sie sind zuversichtlich, dass wir nach den Wahlen im Parlament eine solche Abgabe durchbringen?
Wenn die aktuellen Wahlprognosen stimmen, bin ich guter Hoffnung! Dann werden wir Grünen und ihr Grünliberalen gestärkt und die SP als Partnerin im Umweltschutz nicht geschwächt. In zentralen Fragen könnten wir endlich eine Mehrheit haben.

Apropos SP: Ihre Partnerin ist SP-Nationalrätin Min Li Marti. Ist es ein Vor- oder ein Nachteil, wenn die Partnerin auch in der Politik ist?
Grundsätzlich ist es ein Vorteil in der gleichen Branche zu arbeiten. Beide wissen, dass am Sonntagmorgen die Lokalradios anrufen und Zitate wollen. Beide haben Verständnis, dass während des Wahlkampfs viele Veranstaltungen anstehen. Schwierig hingegen sind unsere Nationalratsmandate, wenn es während der Session um die Betreuung unserer 19 Monate alten Tochter geht.

Wie haben Sie es gelöst?
Meine Schwiegereltern hüten. Sie freuen sich zum Glück sehr über ihre erste Enkelin. Meine erste Sitzung startete heute um 7 Uhr, bei Min Li um 7.15. Der Tag endet frühestens um 19 Uhr. Eine solche Krippe muss man erst finden.

«Man muss den Mann mit dem Elternurlaub zum Glück zwingen»

Die «Rundschau» auf SRF hat kürzlich Frauen mit und ohne 
Kinder im Parlament gefragt, wie sie Amt und Familie vereinbaren. Die Männer hingegen wurden nicht einmal kontaktiert. Was läuft falsch in unserem Land? 

Meine Parteikolleginnen haben mir die Umfrage weitergeleitet. Ich habe sogleich bei der «Rundschau» protestiert: Warum wurden die Männer nicht befragt?! Die Frage der Vereinbarkeit lastet nicht einfach auf den Frauen. Im Gegenteil: Viele Männer in der Politik profitieren, dass ihnen die Frauen alle Arbeit abnehmen. Das darf nicht so einseitig bleiben.

Hierzulande darf die Kinderbetreuung den Staat auch nichts kosten. Während andere Infrastrukturen wie Strassen …
… oder Kühe …

… wahnsinnig viele staatliche Gelder beanspruchen. Was also braucht es? 
Einen Elternurlaub! Heute fängt die Diskriminierung der Frau mit dem ersten Kind an. Ab da sagt die Gesellschaft und Wirtschaft: Du gehörst nicht mehr dazu. Wenn der Mann aber nach der Geburt gleich lang Zeit mit dem Kind verbringen kann, hört diese Ungerechtigkeit auf. Vielleicht muss man die Männer mit einem Elternurlaub auch etwas zu ihrem Glück zwingen.

Wie haben Sie es gemacht?
Im ersten Monat nachdem Ziva Lin geboren wurde, habe ich mich in der Fraktion ersetzen lassen. Ich habe keine Telefonanrufe abgenommen, war nur für die Familie da. Ich kann mir nicht vorstellen, wie wir es anders hätten machen können. Die ersten Wochen sind eine schöne, aber auch anstrengende Zeit. Ich bin so glücklich, dass ich den Entscheid so fällen konnte. Doch dann musste ich wieder für drei Wochen nach Bern an die Session. Für meine Frau war das nicht einfach.

Und heute?
Wir teilen uns die Betreuung gleichberechtigt auf. Drei Tage ist sie in der Krippe, einen Tag hat sie Papitag, den anderen Mamitag.

«Essen Sie als Grüner noch Fleisch?»

Wenn wir über die nächste Generation sprechen. Nach den Wahlen steht die grosse Debatte zur Rentenreform an. Wie sichern wir die Altersvorsorge, ohne dass wir die Kosten auf unsere Kinder abwälzen?
Für mich wäre die beste Lösung nach wie vor eine Erbschaftssteuer. Mit diesem Geld könnte man einen grossen Teil der fehlenden Mittel in der AHV ersetzen.

In der AHV leuchtet das ein, aber was ist mit der zweiten Säule?
Mit der Senkung des Umwandlungssatzes und einer verbesserten Rente für jene mit tiefem Einkommen haben die Sozialpartner einen ersten Kompromiss erzielt. Natürlich ist die Altersvorsorge ein grosses Thema, aber wir können das Problem auch ein Jahr später lösen. Bei der Klimadiskussion müssen wir jetzt handeln. Mit jedem weiteren Jahr werden die Massnahmen unangenehmer.

Bei der Altersvorsorge auch!
Ja, aber dort gehts um Geld – beim Klima gehts ums Leben!

Apropos Klima: Der Bundesrat hat – zugegeben in einem ungünstigen Moment – das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten unterschrieben. Dieses verpflichtet Länder wie Brasilien auch zu mehr Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Die Grünen haben bereits das Referendum angekündigt. Habt ihr das Papier überhaupt gelesen?
Der Vertragstext ist noch nicht bekannt. Wir ergreifen das Referendum nur, wenn der Vertrag keine nachhaltigen Verbesserungen bringt. Es kann nicht sein, dass wir in der Schweiz von Klimaschutz reden und gleichzeitig einen Vertrag mit einem Land unterschreiben, das die Brandrodung der grünen Lunge der Welt vorantreibt.

Die Umweltschutzorganisationen vor Ort unterstützen aber das Abkommen! Ihr wollt doch nur mit Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro ein Feindbild bewirtschaften. 
Nein, es geht auch um Grundsätzliches. Das Abkommen unterstützt den Freihandel in einem Bereich, wo in unseren Augen Mässigung angesetzt wäre. Etwa beim Fleisch. Je mehr günstig produziertes Fleisch wir im Schweizer Markt zulassen, desto grösser ist die Nachfrage.

Wahlstafette Kathrin Bertschy Balthasar Glättli

Kritisch: Beim Freihandel haben die beiden das Heu nicht auf der gleichen Bühne. «Ihr verteufelt ihn!», sagt Bertschy.

Kurt Reichenbach

Ich habe manchmal das Gefühl, dass ihr nicht die Ökologie gewichtet, sondern den Handel verteufelt.
Und ich habe das Gefühl, dass ihr den Freihandel heiligsprecht! Wir müssen mehr Richtung Fair Trade statt Free Trade gehen.

Einverstanden, aber ihr seid oft zu protektionistisch!
Weil viele Freihandelsabkommen nicht den Gesamtwohlstand stärken, sondern hierzulande die Abfallhalde vergrössern.

Essen Sie als Grüner noch Fleisch?
Absolut! Wir essen zwar weniger Fleisch als früher – aber Min Li und ich haben eine Vorliebe für Schmorgerichte, kochen beide sehr gerne, wenn möglich bio. Zugegeben: Mit unserer Tochter kommt das Private Fine Dining momentan etwas zu kurz (lacht).

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Jessica Pfister
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Von Jessica Pfister am 16. September 2019 - 16:44 Uhr