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Roche-Präsident Christoph Franz

«Glück besteht nicht im Studium des Kontostands»

Deutsche Bahn, Swiss, dann Lufthansa – seit sieben Jahren nun Roche-Präsident. Von Machtgehabe aber hält Christoph Franz nichts. Der angesehene Manager über Bescheidenheit, die Zukunft der Medizin und sein Familienleben mit fünf Kindern.

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Christoph Franz, Veraltungsrat Roche, Interview, Homestory, SI 07/2021

Mit seinem Berner Sennenhund am Zugersee. «Das Runterkommen geht schnell», sagt Roche-Präsident Christoph Franz.

Kurt Reichenbach

Du hast im Vorgespräch zu diesem Interview gesagt, Gesundheit sollte in der Schule zum Pflichtfach werden. Warum?
Ganz einfach: Weil es statistisch belegt ist, dass wir gesünder sind, wenn wir mehr über Gesundheit wissen. Wer sich informiert, verringert dadurch das Risiko, an chronischen Krankheiten zu leiden. Deshalb sollte bereits in der Schule dieses Wissen vermittelt werden.

Gehst du regelmässig zum Arzt?
Ich gehe nicht wegen jedem Wehwehchen. Aber wenn ich das Gefühl habe, etwas stimmt nicht, suche ich einen Arzt auf. Im Zweifelsfall werde ich auch von meiner Frau ermahnt, das zu tun. Einmal pro Jahr lasse ich ein Check-up machen. Und natürlich alle empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen wie zum Beispiel Darmspiegelung.

Die Covid-Impfung werden viele nicht machen wollen. Du hast öffentlich gesagt, dass dies Pflicht sein sollte.
Ich sagte klar, dass man solche Fragen immer nur im gesellschaftlichen Konsens klären kann.

Du verstehst diese Impfung als eine kollektive Verantwortung.
Ich halte den gegenseitigen Schutz insgesamt für unsere gemeinsame Verantwortung. Wenn wir etwas gelernt haben in dieser Pandemie, so ist es doch, aufeinander achtzugeben.

Letzte Woche ist dein neues Buch erschienen: «Die digitale Pille». Es zeigt, wie die Digitalisierung uns in der Medizin substanziell helfen kann. Dieses Thema ist dir enorm wichtig.
Ich habe das Buch gemeinsam mit Forschenden der Universität St. Gallen und der ETH Zürich verfasst. Digitalisierung hilft in mehreren Dimensionen, die Qualität der medizinischen Versorgung massiv zu verbessern. Sie beschleunigt zum Beispiel die Entwicklung von Medikamenten und macht sie noch effizienter.

Wird die Diagnose Krebs irgendwann keine Schreckensmeldung mehr sein?
Dank der medizinischen Forschung ist die Chance gross, dass der Patient geheilt wird, sofern man den Krebs früh genug entdeckt. Ausserdem sind wir heute Gott sei Dank in der Lage, Krebsarten teilweise durch Prävention zu verhindern. Bei Frauen etwa durch die HPV-Impfung, die vor Gebärmutterhalskrebs schützt.

Das Internet demokratisiert Wissen und verändert Prozesse. Werden wir in zehn Jahren noch ganz klassisch zum Hausarzt gehen?
Der Arztbesuch in der Praxis wird vermehrt durch Videokonferenzen abgelöst werden. Wir erleben jetzt bereits einen Trend in diese Richtung. Aber der Arzt wird seine Schlüsselrolle im Gesundheitssystem beibehalten.

Weitere Trends?
Ich gehe davon aus, dass in der Zukunft medizinische Behandlungen zunehmend nach Erfolg vergütet werden. Das wird die Ärzte betreffen, aber auch die pharmazeutische Industrie.

Das heisst, wenn ein Medikament oder eine Therapie nicht anschlägt, wird man auch nicht dafür bezahlen müssen?
Zumindest wird man bei der Vergütung nach Erfolg differenzieren. Die ergebnisorientierte Medizin wird einen Sprung nach vorne machen.

Was sind bis jetzt die grossen Errungenschaften der Digitalisierung in der Medizin?
Durch das Sammeln und das systematische Analysieren von Daten generieren wir Wissen, das uns hilft, bessere Medikamente und Therapien zu entwickeln.

Die Gleichung heisst also: mehr Daten = mehr Wissen = mehr Gesundheit?
Zweifellos. Früher hat sich medizinisches Wissen vielleicht alle 50 bis 70 Jahre verdoppelt, heute unter Umständen alle drei Monate.

Wo steht die Schweiz in diesem Bereich? Es gibt hier immer noch kein digitales Patientendossier.
Die Schweiz gehört in der medizinischen Forschung zum Spitzenfeld. Daher ist es erstaunlich, wie schwer wir uns damit tun, digitale Instrumente einzuführen. Das finde ich bedauerlich.

Die Skepsis gegenüber der Datensicherheit ist gross, gerade in einem sensiblen Bereich wie Gesundheit.
Natürlich ist Datensicherheit ganz wichtig. Aber für Zwecke der pharmazeutischen Forschung werden ausschliesslich anonymisierte Informationen gebraucht. Deshalb ist die Sorge um die Privatsphäre kein Grund, die Digitalisierung nicht zu nutzen, um unser Gesundheitssystem so schnell wie möglich weiter zu verbessern.

Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig die Erfassung von Daten ist. Oder wäre …
Wir haben hier definitiv Chancen verpasst. Hätten wir die Erfolge und Misserfolge bei der Behandlung von Covid-Patienten systematisch erfasst, hätten wir daraus viel schneller Erkenntnisse ziehen können. Man hätte früher gewusst, welche Medikamente wirken und welche eben nicht. Aber Covid hat auch eine Zusammenarbeit von Forschung, Behörden und Herstellern von medizinischen Produkten bewirkt, die es vorher so nicht gab. Das Ergebnis dieser Kooperation ist ein wissenschaftliches Wunder: Mehrere Impfstoffe, die sonst in einem Zeitraum von fünf bis sieben Jahren entwickelt worden wären, sind in weniger als einem Jahr zugelassen worden.

Christoph Franz, Veraltungsrat Roche, Interview, Homestory, SI 07/2021

Christoph Franz im Roche Forum Buonas ZG: abgehoben, hinter Glas – aber nur fürs Covid-gerechte Fotoshooting.

Kurt Reichenbach

Unser Gespräch wird von einem jähen Aufjaulen unterbrochen. Der sieben Jahre alte Berner Sennenhund wirft sich auf den Boden und leckt sich winselnd die Pfote. Christoph Franz beugt sich besorgt über ihn. «Oje, bin ich dir etwa aus Versehen auf die Pfote getreten?» Scheint nicht so schlimm zu sein. Im nächsten Augenblick steht der 45-Kilo-Rüde wieder auf den Beinen und stürmt los. Auf dem weitläufigen Gelände des Roche-Schulungszentrums fühlt sich der Hund wohl. Christoph und seine Frau wohnen zwar in der Zuger Innenstadt, aber das Paar kommt ab und zu hier am See spazieren. Während des Lockdowns im Frühling hatte sich der Roche-Präsident sogar eine Weile ausserhalb der eigenen vier Wände einquartiert. Zum Schutz seiner Schwiegermutter. «Meine Frau wollte ihre alleinstehende Mutter während des Lockdowns bei sich haben. Und da ich meine externen Kontakte nicht ganz auf null reduzieren konnte, ging ich sicherheitshalber ins Exil.» Er lacht. «Meine Frau und ich haben uns dann eben hier draussen am See zum Spaziergang getroffen. Corona-gerecht. Das war schon komisch.»

Seine Frau Isabelle, eine Französin, lernte Christoph Franz vor 37 Jahren in Paris kennen. Als Wirtschaftsingenieur-Student war er damals für ein Praktikum in der französischen Hauptstadt. Christoph: «Sie sass neben mir im Zug, und ich habe sie angesprochen. Ein glücklicher Zufall des Lebens.»

Was hat dir an Isabelle so gut gefallen?
Sie ist eine sehr selbstständige und intelligente Frau. Mit ihr kann man spannende Diskussionen führen. Das ist für eine lebenslange Beziehung wichtig. Und dass man die Fähigkeit hat, sowohl gemeinsam neue Dinge zu entdecken als auch sich gegenseitig neu zu entdecken. Das lässt den Schatz gemeinsamer Erlebnisse im Laufe des Lebens immer grösser werden.

Ihr habt fünf Kinder. War das so geplant?
(Lacht.) Ich kann deine Frage verstehen, grosse Familien sind ja selten geworden. Ich bin selbst in einer Familie mit vier Kindern gross geworden. Ich habe das extrem geschätzt. Man hat immer einen Spielkameraden, und man hat immer jemanden, mit dem man sich streiten kann. Ausserdem bekommt man von Geschwistern den Spiegel des eigenen Verhaltens vorgehalten. Manchmal gnadenlos! Und das ist doch ein wichtiges Element, um sich selbst nicht so ernst zu nehmen.

Du bezeichnest die Familie gerne als Kraftort.
Ja, das ist auch so. Gerade wenn man beruflich enorm stark engagiert ist, hilft die Familie sehr, sich von beruflichen Themen zu lösen. Kleine Kinder interessiert doch überhaupt nicht, ob der Papa Probleme im Büro hat. Die fordern deine volle Aufmerksamkeit, und ich musste erst lernen, mich da konsequent drauf einzulassen.

Du hast also nach einem langen Arbeitstag nicht erst mal deine Ruhe eingefordert?
(Lacht.) Das hätte meine Familie gar nicht zugelassen. Und das war gut so! Natürlich hätte ich mir manchmal zuerst einen Moment für mich gewünscht. Aber das Runterkommen geht eigentlich noch schneller, wenn alles gleichzeitig auf einen einstürzt.

Klingt theoretisch amüsant, aber im Familienalltag führen diese Momente doch nicht selten zu Stress und Unstimmigkeiten.
Wenn man sich in der Familie und in der Ehe nicht streitet, dann weiss ich nicht, wie das langfristig halten soll. Das gehört doch dazu! Genauso wie die Versöhnung. Und in diesem Sinne ist unser Familienleben ganz normal.

Auch der nüchterne Analytiker kann also mal die Nerven verlieren?
Klar (lacht). Familie besteht sehr stark aus Emotionen, und die muss man auch zeigen dürfen.

Inzwischen sind eure Kinder erwachsen und in alle Himmelsrichtungen ausgeflogen.
Wir sind nun tatsächlich «empty nester». Aber ich muss sagen, ich schätze es, dass Isabelle und ich jetzt wieder mehr Zeit für uns haben.

Viel Zeit für sich wird Christoph Franz bei seinem Werdegang und als Vater von fünf Kindern tatsächlich nicht oft gehabt haben. 2004 übernahm der ehemalige Chef des Personenverkehrs der Deutschen Bahn die schwierige Aufgabe, die marode Swiss wieder auf Flughöhe zu bringen. Franz: «Ein Himmelfahrtskommando!» Das gelang: Nach fünf Jahren hatte der Hesse die Lufthansa-Tochter zu einer der profitabelsten und erfolgreichsten Airlines des Konzerns umgebaut. Franz avancierte zum obersten Lufthansa-Chef und pendelte jahrelang zwischen Zürich und Frankfurt. 2014 folgte dann der Ruf nach Basel als Präsident von Roche, des grössten Pharmakonzerns der Welt. Die Krönung einer aussergewöhnlichen Karriere.

Christoph Franz, Veraltungsrat Roche, Interview, Homestory, SI 07/2021
Kurt Reichenbach
Christoph Franz

Geboren am 2. Mai 1960 in Frankfurt am Main. Als Chef der Airline Swiss und der Lufthansa-Gruppe hat sich der studierte Wirtschaftsingenieur einen Namen als konsequenter Sanierer gemacht. Seit 2014 ist er Präsident des Pharma-Riesen Roche. Franz ist in weiteren Verwaltungs- und Stiftungsräten tätig – und sitzt im Rat der Versammlung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Er ist Vater von fünf Kindern und lebt mit seiner Frau in Zug. Soeben erschien sein Buch «Die digitale Pille» über die Digitalisierung der Medizin.

Sowohl bei der Deutschen Bahn als auch bei Swiss und Lufthansa hattest du als CEO die Aufgabe des Sanierers. Da braucht es Überzeugungskraft und Durchsetzungsvermögen. Sind das Stärken von dir?
Das dürfen andere entscheiden. Für mich ist vor allem die Vorbildfunktion ein Führungsinstrument. Wenn man schwierige Dinge durchführen muss, ist es wichtig, dies immer selbst vorzuleben. Erfolg wird man nur haben, wenn es gelingt, die Menschen mitzunehmen.

Alt Bundesrat Moritz Leuenberger hat über dich gesagt: «Im Gegensatz zu vielen Managern ist er kein Egomane.» Und Ex-SBB-Chef Andreas Meyer meint: «Christoph ist ein guter Motivator und sehr eloquent – mehr, als die meisten Schweizer.» Welche Charakterisierung schmeichelt dir am meisten?
Mir ist der direkte Draht zu den Mitarbeitern immer sehr wichtig. Der Dialog, der Umgang miteinander. Als Führungskraft zu vermitteln, dass es nicht um das eigene Ego geht, halte ich für ganz entscheidend.

Grosse Konzerne sind Haifischbecken. Kann man es ohne Machiavellismus an die Spitze schaffen?
Ich hätte Schwierigkeiten, in den Spiegel zu gucken, wenn ich andere ausgebremst hätte, nur um mich nach vorne zu bringen. Wer glaubt, nur er allein kann eine gewisse Aufgabe gut machen, leidet meines Erachtens an einem übersteigerten Selbstbewusstsein. Ich versuche immer, eine Kultur der Zusammenarbeit zu schaffen.

Das klingt friedfertig. Bist du das?
Ich glaube, wir Menschen sind grundsätzlich harmoniebedürftig. Ich sicherlich auch. Aber es geht nicht immer um Harmonie, es geht um offenen, transparenten Austausch. Gerade bei unterschiedlichen Meinungen. Es ist hilfreich, wenn man ein Thema mit einer ganz anderen Brille betrachtet und die eigene Position infrage stellt. Ein paarmal habe ich allerdings schon gesagt bekommen: «Der Letzte, der bei dir im Zimmer war, der bekommt recht.»

Eine Schwäche?
So eine Bemerkung gibt schon Anlass zum Nachdenken. Aber man kanns ja auch positiv sehen: Ich bin offen für die Argumente von anderen. Am Schluss muss man als Chef eines grossen Unternehmens aber die grosse Kunst ablegen und entscheiden. An dieser Verantwortung kommt man nicht vorbei, und das sind dann oft auch die Grenzen der Harmonie.

Christoph Franz, Veraltungsrat Roche, Interview, Homestory, SI 07/2021

Blick nach vorn: «Ich gehe davon aus, dass in der Zukunft medizinische Behandlungen nach Erfolg vergütet werden.»

Kurt Reichenbach

Im Gespräch mit Weggefährten fällt immer wieder das Wort Bescheidenheit. Es kursieren zahlreiche Anekdoten, die die Bodenständigkeit und das Unprätentiöse des gebürtigen Frankfurters beschreiben. So soll Franz als eine seiner ersten Amtshandlungen bei der Swiss den Chauffeur nach Hause geschickt haben. Statt mit der Limousine fuhr der neue Chef lieber mit seinem familientauglichen Minivan ins Büro, und zum Flughafen gings nicht im Taxi, sondern mit Bus und Bahn.

Stimmen diese Geschichten, bist du derart genügsam?
Ja, das war so. Ich bin mit ÖV gross geworden und seit je ein begeisterter Bahnfahrer. Wenn in einem Unternehmen Sanierung angesagt ist, muss ich Vorbild sein. Ich kann doch nicht Lohnkürzungen bestimmen und dann als Bestverdienender auf keinerlei Privilegien verzichten. Wenn in einem Unternehmen die Existenzfrage gestellt ist und da steht noch eine Limousine mit Chauffeur vor der Tür, läuft doch definitiv etwas verkehrt! Mein Lebensglück wird nie davon abhängen, ob ich einen Geschäftswagen habe.

Was brauchst du für dein Glück?
Glück besteht nicht im morgendlichen Studium des Kontostands. Es sind meist einfache Dinge, die Lebensglück beinhalten. Für mich heisst das: zusammen sein mit der Familie, ein schöner Moment in der Natur.

Im letzten Jahr hast du fast sechs Millionen Franken verdient. Damit stehst du an der Spitze der höchstbezahlten Topmanager. Was machst du mit dem vielen Geld?
Das gibt mir das Privileg, dass ich wieder etwas zurückgeben kann. Meine Frau und ich, wir entscheiden jedes Jahr ganz konkret, welcher gemeinnützigen Organisation wir spenden. Ich engagiere mich beim IKRK, beim Lucerne Festival und bei der Ernst Göhner Stiftung.

Als Roche-Präsident bist du ständig mit dem Thema Krankheit konfrontiert. Was ist deine grösste Angst?
Nicht Krankheit. Aber Vereinsamung im Alter macht mir Angst. Irgendwann mal ganz allein zu sein, das wäre für mich eine bedrückende Perspektive.

Was glaubst du, wie sieht das Leben im Sommer in Europa für uns aus? Was wird möglich sein, was nicht?
Hoffentlich werden wir im Laufe des Sommers schrittweise zu einem normaleren Leben zurückkehren. Wie rasch das geht, hängt auch davon ab, wie schnell die Impfungen durchgeführt werden.

Welchen Anteil wird die Impfung daran haben, dass sich unser Leben wieder normalisieren kann?
Die Impfung wird einen sehr wichtigen Anteil haben, denn wenn genug Menschen sich impfen lassen, tritt hoffentlich eine gewisse Herdenimmunisierung ein. Daneben wird eine wachsende Zahl an Medikamenten eine Rolle spielen, zum Beispiel Antikörper gegen das Virus. Ich denke auch, dass eine breite Verfügbarkeit von Tests für Menschen ohne Symptome vonnöten ist. Schliesslich werden uns erprobte Hygienemassnahmen wie das regelmässige Reinigen der Hände oder vorsichtiges Abstandhalten sicher auch eine Zeit lang begleiten.

Die Mutationen breiten sich rasend schnell aus. Wir haben gerade erst zu impfen begonnen, und schon weisen Studien darauf hin, dass der Impfstoff bei den Mutanten zumindest an Wirkung verliert. Wie können wir so überhaupt in eine Situation kommen, in der sich das Virus kontrollieren lässt?
Mit Mutationen muss man grundsätzlich immer bei Viren rechnen. Deswegen ist es gut, dass die Tests seriöser Hersteller auch mutierte Varianten erkennen können. Stand heute gehe ich auch davon aus, dass in der Breite die meisten Impfstoffe und Medikamente die aktuellen Virusvarianten bekämpfen können. Wenn das vereinzelt nicht mehr der Fall sein wird, kann die Wissenschaft heute rascher reagieren als vor einem Jahr.

Sollten die Impfhersteller nicht die Patente respektive die Rezepte freigeben, damit in dieser historischen Krise möglichst schnell möglichst viel Impfstoff produziert werden kann?
Nein. Das ist ein Irrglaube und gefährlich. Ganz im Gegenteil: Patente sind eine Erfolgsgeschichte. Gäbe es keinen Patentschutz auf geistiges Eigentum, hätten wir heute keine Tests, keine Impfstoffe, keine Medikamente. Das Problem ist vielmehr, dass die Nachfrage gigantisch ist und die weltweite Produktion selbst auf Hochtouren nun mal Zeit braucht. Viel wichtiger sind die Partnerschaften, die Impfstoffhersteller eingehen, damit die Produktion so schnell wie möglich nach oben gefahren wird.

Bei den Corona-Tests ist Roche weltweit führend. Mit Schnelltests könnte man viele Infektionen verhindern. Aber auch gesellschaftliches Leben in vielen Bereichen wieder möglich machen. Warum passiert hier noch so wenig?
Die gute Nachricht ist, dass wir ein immer besseres Portfolio und immer mehr Tests haben. Am Anfang konnten wir ausschliesslich im Labor testen. Heute sind Antigen-Schnelltests zum Beispiel eine gute Möglichkeit, rasch und breit zu testen. Das kann bei der Wiederaufnahme des gesellschaftlichen Lebens eine wichtige Rolle spielen oder wenn es darum geht, schnell in Schulen oder Kitas zu testen. Ich bin überzeugt, dass eine offensivere Nutzung von Tests auch für Menschen ohne Krankheitssymptome viel zur Bewältigung der Krise beitragen kann.

Wann kommt der Schnelltest, den wir alle ganz einfach alleine zu Hause durchführen können?
Wir haben einen Test entwickelt, bei dem man nur noch einen Nasenabstrich im vorderen Teil der Nase braucht und nicht den sehr unangenehmen Nasen-Rachen-Abstrich. In Europa und in der Schweiz ist er unter Aufsicht von Fachpersonal bereits zertifiziert. Wichtig ist dabei, dass man die Probe richtig entnimmt. Das ist nicht mehr so schwer und könnte grundsätzlich von jedem gemacht werden. Dann kann man auch rascher und häufiger testen. Ich denke, viele Länder werden erlauben, dass man den Test auch zu Hause durchführen kann – gegebenenfalls unterstützt durch Anleitungen von medizinisch geschultem Personal etwa per Video.

In Österreich kommen die Selbsttests bereits zum Einsatz. In der Schweiz ist der Test zugelassen. Warum haben wir ihn denn noch nicht?
Ob und wann Hometesting in der Schweiz zugelassen wird, liegt in der Hand des Bundesamts für Gesundheit. Die Behörde prüft derzeit, ob sie den Test empfehlen will und unter welchen Bedingungen er angewandt werden soll. Auch hier fände ich eine offensive Teststrategie hochsinnvoll und dringend.

Der Schnelltest zu Hause, vor dem Fussballspiel, im Büro, in der Schule. Wird das die Lösung sein für unser Leben mit dem Virus?
Es gibt nicht das eine Allheilmittel. Letztlich erhalten wir Herdenimmunität durch breite Impfungen. Aber wenn Schnelltests vor dem Besuch etwa bei den Grosseltern oder dem Theater uns rasch wieder ein Stück Normalität bringen, sollten wir das nutzen. Sie müssen aber richtig angewendet werden.

Christoph Franz, Veraltungsrat Roche, Interview, Homestory, SI 07/2021
Kurt Reichenbach
Susanne Walder

Christoph Franz im Gespräch mit Susanne Walder. Walder ist erfahrene People-Journalistin, unter anderem war sie langjährige Unterhaltungschefin der Schweizer Illustrierten. In dieser Gesprächsserie für die SI interviewt sie Persönlichkeiten, mit denen sie auch privat bekannt ist. Im Mittelpunkt steht der Mensch. Wie wird man, wer man ist? Ein Blick hinter die Kulissen von erfolgreichen Karrieren.

Von Susanne Walder am 21. Februar 2021 - 12:21 Uhr