Eigentlich ist Alfred Escher etwas spät dran, als er im Jahr 1856 die Schweizerische Kreditanstalt (SKA) aus der Taufe hebt – in St. Gallen existiert schon lange die Bank Wegelin, in Zürich die Bank Leu, und die erste Kantonalbank in Genf ist schon vor fünf Jahrzehnten gegründet worden. Aber er hat Grosses vor: Er baue eine «Dampfmaschine des Kredits», schreibt der Escher-Forscher Joe Jung, und erstelle einen Hauptsitz am Paradeplatz, der der «Stadt Zürich ebenso sehr zur Verschönerung und Zierde dienen soll wie der in seiner Art einzige Bahnhof».
Eine stolze Bank ist es, freisinnig imprägniert. Sie soll den Eisenbahn-bau finanzieren, damals Taktgeber für die wirtschaftliche Prosperität der noch jungen Eidgenossenschaft. Dies eröffnet der Bank einen zweiten Daseinszweck: Sie will Unternehmen gründen, sich an solchen beteiligen und Finanzierungen bereitstellen für die ins Ausland expandierende Schweizer Industrie. Die SKA, gegründet aus un-ternehmerischem Geist, Begründerin des Zürcher Finanzplatzes und Partnerin der heimischen Wirtschaft, folgt der Industrie in die Welt, verfügt bereits 1870 über eine Vertretung in New York.
Schweizerisch und weltoffen: So präsentiert sich die SKA auf dem internationalen Parkett. Und dann, in den 1970er-Jahren, kommt einer, der sagt: «Die Schweiz war mir immer zu klein.» Rainer E. Gut, Sohn eines Bankdirektors, hegt grössere, globale Ambitionen.
Er ist Investmentbanker, Vertreter einer amerikanisch geprägten Sparte des Bankings, die mit grossen Deals an der Börse oder mit Kauf und Verkauf von Firmenbeteiligungen das schnelle Geld machen will: Der Nervenkitzel bei dieser Zockerei ist so gross wie das Gewinnpotenzial und die Absturzgefahr.
Diese Dealer am grossen Rad sind, wie Rainer E. Gut auch, ausgebildet an der Wall Street in New York, wo alles grösser, schneller und härter ist als im betulichen Zürich. Es ist ein so anderer Typus im Geldgewerbe als derjenige, der seit Jahrzehnten die Teppichetagen der Banken an der Limmat bevölkert: ein Hans Schaefer von der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG) etwa oder ein Hans J. Bär von der gleichnamigen Privatbank, die die vornehmste Existenzberechtigung ihres Tuns darin sehen, den heimischen Unternehmen Kredite zu guten Konditionen zu ermöglichen oder das Vermögen von Privatpersonen über die Generationen zu sichern. Sie verstehen dies stets auch als Dienst an Heimat und Gesellschaft.
Im Jahr 1977 jedoch kommt mit Rainer E. Gut der amerikanische Habitus an die Spitze der SKA: Der Geist ist aus der Flasche und wird sich nie mehr dorthin zurückdrängen lassen, bis das stolze Zürcher Geld-haus untergeht. Gut kommt ironischerweise dank einem hausgemachten Skandal der Bank im Inland an die Spitze: Im sogenannten Chiasso-Skandal haben Bankkader in der Tessiner Filiale mit illegalen Geschäften rund eine Milliarde Franken veruntreut – ein singuläres Ereignis, das den damals 45-jährigen Rainer E. Gut überraschenderweise zum Bankchef macht.
Mit ihm vermählt sich das Schweizerische und das Angelsächsische zu einem eigenartigen Knäuel: Während in der Schweiz ganze Generationen von Kids mit dem SKA-Käppi in die Skilager pilgern, Gut selber im biederen Bassersdorf im Zürcher Unterland lebt, drängt er ausserhalb der Schweiz mit aller Macht auf die ganz grosse Bühne, will die Escher-Bank zu einer global führenden Investmentbank hochstemmen. Kaum im Amt, beginnt er eine Zusammenarbeit mit der First Boston Corporation, dringt mit deren schrittweiser Übernahme als erster Europäer in die Phalanx der grossen Häuser an der Wall Street ein. Die ehrwürdige Bank am Paradeplatz tauft er auf das internationale Credit Suisse (CS) um.
Auch in der Schweiz begibt er sich auf Shoppingtour, schluckt in seinem Drang nach Grösse reihenweise Konkurrenten, von der Bank Leu bis zur Schweizerischen Volksbank (SVB). All das kostet Geld. Viel Geld. In dieser Situation schlägt Rainer E. Gut am 1. April 1996 dem damaligen Präsidenten der SBG, Nikolaus Senn, eine Fusion der beiden Grossbanken vor – die grösste Schweizer Bank sitzt nämlich auf einem fetten Finanzpolster und befindet sich gerade in den Klauen des Shareholder-Value-Propheten Martin Ebner. Sie wäre also möglicherweise empfänglich für Avancen. Doch Niklaus Senn, der an der Bahnhofstrasse 45 residiert, zeigt dem Kollegen vom Paradeplatz schnöde und öffentlichkeitswirksam die kalte Schulter. Es ist die Ironie dieser Geschichte, dass im Dezember 1998 Marcel Ospel, damals Chef des Schweizerischen Bankvereins (SBV), den Deal mit der SBG zur UBS macht – aus den gleichen Gründen wie seinerzeit Rainer E. Gut: Auch die Basler sind stark im Investmentbanking, aber kapitalschwach. Und Marcel Ospel ist ein Bruder im Geiste: ähnlich global ambitioniert wie Rainer E. Gut, ähnlich besessen vom grossen Roulette im Investmentbanking.
Im Grunde scheitern sie beide an ihrem Ehrgeiz, zu den ganz Grossen an der Wall Street zu gehören. Die UBS mit Marcel Ospel als Verwaltungsratspräsident verzockt sich während derFinanzkrise 2008 in den USA. Bund und Schweizerische Nationalbank (SNB) sprechen bis zu 60 Milliarden Dollar, um einen drohenden Bankrott zu verhindern, und Marcel Ospel verliert seinen Job. Rainer E. Gut bleibt nach seinem altersbedingten Rücktritt als Verwaltungsratspräsident immerhin Ehrenpräsident der CS, verliert aber nun mit dem Untergang der ehemaligen SKA eine ganze Bank. Unter seinen Nachfolgern im Verwaltungsratspräsidium und im operativenChefsessel sind die Überforderten, Abzockenden, also Ungeeigneten, so zahlreich wie die Skandale, die sie produzieren. Es lohnt kaum, sich ihrerNamen zu erinnern. Bleiben werden ihre milliardenschweren Verfehlungen. Die finalen Sargnägel der Credit Suisse waren Finanzprodukte wie Greensill oder Archegos.
Andere machen sich da in grosszügiger Distanz zur Realität ihren eigenen Reim über die Gründe für den Untergang. Die Präsidentin der Finanzmarktaufsicht etwa schiebt die Verantwortung auf Social Media. Ein Journalist hatte vergangenen Herbst einen Tweet abgesetzt, in dem es hiess: «Glaubwürdige Quellen sagen mir, dass eine grosse internationale Investmentbank am Abgrund steht.» Andere zeigen auf die Medien, die verbreitet haben, ein saudischer Grossaktionär schliesse aus, weitere Gelder in die Bank einzuschiessen.
Einer aber sagte bereits vor über einem Jahr: «Wenn ein Unternehmen über Jahre so viele Krisen erlebt, dann liegt der Grund im schlechten Management.» Das Zitat stammt von Oswald Grübel, dem letzten grossen Bankchef der CS in den Nullerjahren. In das Präsidium des Verwaltungsrats schafft er es nie. Stattdessen nehmen dort solche Platz, die es nie dorthin hätten schaffen dürfen. Manches Mal sieht man Oswald Grübel im Zürcher Nobelrestaurant Casa Ferlin bei einer Flasche guten Rotweins mit Rainer E. Gut zusammensitzen. Ob sie wohl darüber philosophieren, welcher Personalentscheid der erste Sargnagel für den Tod der CS gewesen ist?