Welches Bild macht weniger Sinn? Jenes, das Dieter Meier als Sänger mit historischem Mikrofon zeigt? Oder jenes von ihm im eleganten Leisure-Outfit, sinnierend bei seinen Produktionen? Wer Dieter Meier kennt, weiss: Dieter ist ein Sänger, aber noch viel mehr als das. Und auch mit seinen inzwischen 80 Lebensjahren ist der rastlose Allrounder alles andere als der alte Mann, der bei Sonnenuntergang auf die Höhepunkte seines Lebens zurückblickt. Philosoph war er schon immer. Seine Stimme nimmt man auch wahr, wenn sie nicht über ein Mikrofon verstärkt wird. Und die Zeit, sich lange mit Jubiläen oder Retrospektiven abzugeben, hat Dieter Meier sowieso nicht.
Dieter Meier zeigt ein Bild seiner Performance 1971 im New Cultural Center in New York, wo er an einem Event mit Pistole posierte.
Willy SpillerGerade ist er wieder auf dem Sprung nach Argentinien, wo ihn seine verschiedenen Farmen erwarten – und wo seine Hermes-Baby-Schreibmaschine steht, auf der er an seinem Thriller «Die Maske des Erzählers» schreibt. Dennoch ist es wichtig und angebracht, das Leben und Wirken dieses charismatischen Künstlers, Popstars und Unternehmers zu beschreiben, der bis heute welt- weit Schweizer Pioniergeist mit Stil und Flair und mutigem Unternehmergeist verbreitet. Happy Birthday, Dieter Meier!
Bankierssohn und Pokerspieler
Das gutbürgerliche Leben ist ihm in die Wiege gelegt. Sein Vater Walter Meier, der es aus ärmlichen Verhältnissen zum erfolgreichen Zürcher Bankier brachte, hat seinem Sohn ein Jus-Studium an der Universität Zürich ermöglicht. Doch der junge Dieter, angetrieben vom Zeitgeist der 1960er-Jahre, will mehr. Er sucht den Sinn des Lebens – und nach seiner eigenen Rolle darin. Er verbringt mehr Zeit im illegalen Pokerklub oberhalb des Zürcher Szene-Cafés Odeon als an der Uni. Spielen ist eine Flucht: «Du lebst in deiner Seifenblase, isoliert von der realen Welt, süchtig danach, eine neue Hand mit Karten zu kriegen, die dir das Schicksal gibt und aus denen du das Beste machen musst.»
Dieser Fokus ist es, den Dieter Meier sucht. Er findet ihn immer wieder neu. In der Kunst, als Autor, als Musiker, als Filmemacher oder Unternehmer. «Wenn ich von etwas absorbiert bin, empfinde ich das als Erholung. Man muss fertig werden, kann sich nicht dauernd hinterfragen. Denn eigentlich bin ich ein grosser Zweifler», sagt er.
Die Kunst des Sinnlosen
Um Geld muss Dieter Meier sich nie Sorgen machen. Das ist angenehm, aber auch eine Herausforderung. «Alles, was ich tue, entsteht aus einer Art von Langeweile», sagt er. «Ich plane nicht, sondern lasse die Dinge auf mich zukommen. Ich bin wie ein Kind im Sandhaufen, das anfängt, irgendetwas zu bauen. Am Schluss entsteht dann vielleicht eine Sandburg.» So sorgt Dieter Meier 1969 vor dem Zürcher Kunsthaus erstmals für Aufsehen: Aus einem Haufen Metallschrauben sortiert er jeweils 1000 in 100 Plastiksäcke ein. «Diese Aktion hatte für mich eine grosse Bedeutung, weil sie sich durch nichts rechtfertigen liess. Sie ist langweilig, und jeder kann es. Aber mir war wichtig, dass einzig und allein ich es so haben wollte. Das Interessante war, dass die ‹Neue Zürcher Zeitung› darauf aufmerksam wurde, ein Foto machte und darunterschrieb: ‹Der bekannte Zürcher Underground-Künstler Dieter Meier macht Kunst aus Schraubenköpfen.› Seither werde ich als sogenannter Künstler bezeichnet.»
Eine seiner ersten Aktionen: 1969 sortierte Dieter Meier vor dem Zürcher Kunsthaus Schrauben – und schaffte es damit in die NZZ!
KeystoneDie Kunst führt ihn nach New York, wo er auf dem Broadway in einer Aktion zeigt, was ihm Geld bedeutet: Er bittet Passanten, ihm die Worte «Yes» und «No» für jeweils einen Dollar zu verkaufen. Jeder Deal wird per Urkunde zertifiziert – und die Feuilleton-Chefin der «New York Times» schreibt darüber einen interes-santen Bericht. Legendär auch die Aktion, als er 1972 an der weltberühmten Kunstausstellungs-Reihe «Documenta» vor dem Hauptbahnhof in Kassel eine Eisenplatte in den Boden einlegen lässt, auf der steht: «Am 23. März 1994 von 15 bis 16 Uhr wird Dieter Meier auf dieser Platte stehen.» 22 Jahre später steht er wirklich dort – und 500 Leute und etliche Medien kommen, um ihn zu sehen.
Boris Blank (r.) und Dieter Meier am Anfang ihrer Karriere. Wer hätte gedacht, dass sie zu weltweit gefeierten Popstars werden?
SIPop-Revolutionär mit Yello
Inzwischen ist Dieter Meier ein Popstar mit Weltruhm. Nachdem er Ende der 1970er mit den Zürcher Musikproduzenten Paul Vajsabel und Zulu Stöckli den Punksong «Cry for Fame» aufgenommen hat, meldet sich der einzigartige Zürcher Klangtüftler Boris Blank und präsentiert ihm seinen revolutionären Elektronik-Sound. Es ist die Geburtsstunde einer der erfolgreichsten Schweizer Popbands aller Zeiten: Yello! 1980 veröffentlichen Dieter und Boris ihr erstes Album «Solid Pleasure» mit dem Lied «Bostich», das die Ära der Technomusik einleitet. Und mehr als das: Dieter Meier produziert zum Song auch ein witziges, surreales Video, das im aufkommenden MTV schnell weltweit Verbreitung findet.
Der neue Sound, dazu Dieter Meiers markante Stimme, die fünf Jahre später im legendären Song «Oh Yeah» Kultstatus erreicht, machen Yello zu Weltstars. «Wir haben uns gewundert über den Erfolg», sagt Dieter Meier. «Das waren ja doch eher minimalistische Beiträge. Wir waren zufällig Musiker.» Das Geld, das er dabei verdient, lässt er von seinem Vater gut investieren – in Aktien der Schweizer Notenbank-Druckerei Orell Füssli und in jene der Matterhorn-Gotthard-Bahn in Zermatt. «Ich habe nie viel Lob von meinem Vater bekommen», sagt Dieter Meier. «Den Erfolg mit der Musik kommentierte er so: ‹Die Welt muss verrückt sein. Du kannst ja überhaupt nicht singen. Wieso geben dir die Leute dafür Geld?›»
Boris Blank und Dieter Meier in ihrem Studio, wo der weltberühmte Sound von Yello entsteht.
KeystoneUnternehmer mit Leidenschaft
Meier engagiert sich auch als Unter-nehmer. Bereits in den 1990er-Jahren lanciert er in Argentinien verschiedene Bio-Farmen, wo er heute Rinder züchtet und die biologischen Weine Puro und Loco produziert. Dazu eröffnet er Restaurants in Zürich und Berlin, wo die Produkte seiner Farmen unter der Marke Ojo de Agua angeboten werden. Meier engagiert sich auch als Business-Angel und investiert in neue Technologien. Jüngstes Projekt: die eigene Schokolade Oro de Cacao, die mit einem neuen Kaltextraktionsverfahren hergestellt wird und daher qualitativ sehr hochwertig ist.
An der Schreibmaschine arbeitet Dieter Meier an seinem neuen Thriller-Roman «Die Maske des Erzählers».
BlickPassionierter Golfspieler
Es gibt ihn auch, den in sich gekehrten, lernenden Dieter Meier. Zum Beispiel beim Golfspiel, das er bis heute mit grosser Passion betreibt. Und Entspannung findet er auch mit der Familie. Sein Sohn Francis Benjamin und seine Töchter Eleonore, Sophie und Anna geben ihm dabei die emotionale Basis, die ihn erdet. «Meine Familie beschert mir immer wieder Glücksmomente», sagt Dieter Meier. «Sie hat mich auf all meinen Stationen begleitet. Und sie wird auch in Zukunft ein wichtiger Teil meiner Projekte bleiben.»
Dieter Meier mit seiner Familie, dem Family Office Kate: Monique, Sohn Francis, Töchter Sophie, Eleonore und Anna (v. l.).
Willy Spiller