Es war ein Herzschlagfinale, am Schluss gabs einen historischen Schweizer Doppelsieg: An der WM in Saalbach (Ö) im Februar dieses Jahres duellierten sich Camille Rast (26) und Wendy Holdener (32) um Gold.
Mit Nerven aus Stahl entschied die Walliserin den Slalom für sich, wurde Weltmeisterin. Der Doppelsieg war eine Premiere, dass die Schweiz wieder einmal eine Slalom-Weltmeisterin hat, ein langersehnter Traum – es dauerte 34 Jahre, bis Vreni Schneider in Camille eine Nachfolgerin fand!

«Es ist wichtig, die Energie einzuteilen, man muss einen guten Plan haben», so die Walliserin. «Skifahren ist ein explosiver Sport.»
Anoush AbrarCamille Rast, Sie sind Slalom-Weltmeisterin geworden. Wie fühlt sich das heute an?
Es hat etwas Zeit gebraucht, bis ich es realisierte. Direkt nach der WM ging die Weltcupsaison weiter. Erst im Sommer konnte ich es geniessen und all die Nachrichten lesen und beantworten (lacht).
In diesem Rennen lag ich zum ersten Mal bereits im ersten Lauf vorne. Ich denke, damals war vor allem meine mentale Leistung sehr stark. Natürlich habe ich immer von einem solchen Titel geträumt – es kann so viel passieren beim Skifahren. An diesem Tag lief einfach alles perfekt.
Was hat sich seit diesem Sieg für Sie verändert?
Ich habe mehr mediale Aufmerksamkeit und auch mehr Termine. Die Erwartungen an mich sind grösser geworden. Ich probiere trotzdem, ich selbst zu sein, möchte die alte Camille bleiben, mit den Füssen auf dem Boden. Wenn ich mit meinen Freunden oder Teamkolleginnen zusammen bin, vergesse ich manchmal, dass ich Weltmeisterin bin. Finanziell hilft ein WM-Titel natürlich – ich fahre aber nicht fürs Geld, der Spass ist mir wichtiger.
Macht es Ihnen Spass, eine öffentliche Person zu sein, oder stört es Sie eher?
Manchmal sitze ich in einem Restaurant oder stehe am Bahnhof und nehme wahr, wie andere Leute über mich tuscheln. Ist sie es oder ist sie es nicht? Normalerweise sehen die Leute uns in unserer Skikleidung, das ist vielleicht ein Vorteil (lacht).
Doch so langsam sind die Zweifel weg, ich werde oft erkannt. Manchmal wünschen sich Kinder ein Selfie oder Autogramm – es ist mir wichtig, dass ich ihnen das geben kann. Ich finde es schön, wenn die Kinder eine Leidenschaft haben für diesen Sport, und ich hoffe, ich bin ein gutes Vorbild. Solange die Menschen respektvoll bleiben, stört mich meine Bekanntheit nicht.
Sie haben sich im Februar, nach Ihrem Triumph in Saalbach, bei einem Sturz an der Hüfte verletzt. Wie geht es Ihnen im Moment?
Die Verletzung ist noch nicht zu hundert Prozent verheilt, es braucht Geduld. Statt Konditionstraining musste ich im Frühling Reha machen. Wir arbeiten im Moment daran, dass ich voll zurückfinde. Ich war in Argentinien zum ersten Mal wieder auf dem Schnee, und es fühlte sich gut an. Ich kann die Schmerzen dosieren und kontrollieren.
Ich hoffe natürlich, dass ich bald ganz ohne Schmerzen fahren und trainieren kann. Ich denke jedoch, körperlich und mental bin ich sogar an einem besseren Punkt als vor einem Jahr. Ich fühle mich gut und hatte ein gutes Gefühl auf dem Schnee. Ich hoffe, ich kann bald sagen, die Schmerzen sind vorbei.
Mit der Schweizer Illustrierten hautnah an den Ski-Stars
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum Ihnen in der letzten Saison so plötzlich der Knopf aufgegangen ist?
Ich denke, es ist eine Sache der Konstanz. In den Jahren davor war ich oft verletzt oder habe das Material gewechselt. Seit zwei Saisons konnte ich kontinuierlich aufbauen, körperlich und technisch. Auch mental machte ich einen grossen Schritt vorwärts. Es ist nicht so, dass ich von irgendwo gekommen bin. Die letzte Saison war eigentlich der Lohn für die harte Arbeit in den letzten Jahren, und es ist schön, dass es endlich aufgegangen ist.
Olympia steht vor der Tür: Sie sind jetzt nicht die Jägerin, sondern die Gejagte. Was macht das mit Ihnen?
Die Olympischen Spiele sind natürlich mega speziell. Sie sind aber nicht mein Hauptziel. Ich möchte gesund bleiben und Spass haben am Skifahren. Dann fahre ich auch schnell. Ich werde ein Rennen nach dem anderen nehmen. Mein Tagesablauf ändert sich nicht, nur weil es die Spiele sind. Okay, ich werde einen anderen Dress haben, aber mein Aufwärmen und alles darum herum bleibt gleich.
Ich möchte mein Bestes geben – an diesem Tag und an jedem anderen. Vielleicht ist der Druck von aussen etwas grösser. Ich sehe es als Möglichkeit, mehr von mir zu zeigen. Ich bin noch jung und werde noch weitere Olympische Spiele erleben.
Also haben Sie keine konkreten Ziele für Cortina? Keine heimlichen Träume von einer Medaille?
Natürlich – wenn man die Bilder von den Olympischen Spielen sieht, dann träumt man von einer Medaille. Das gilt auch für die WM. Wir können immer nur unser Bestes geben – alle anderen tun das auch, trainieren hart im Sommer, um im Winter zu gewinnen. Alle wollen auf dem Podest stehen. Ich kann nur meine eigene Leistung beeinflussen.

«Ich finde es schön, wenn Kinder Leidenschaft haben für diesen Sport.» Darum posiert Camille Rast bereitwillig für Selfies.
Anoush AbrarDie Spiele finden in Italien statt – also in der Nähe. Werden Ihre Liebsten Sie begleiten?
Meine Eltern werden auf jeden Fall dabei sein. Es ist logistisch etwas schwierig mit Wohnungen oder Unterkünften. Meine Eltern reisen aber sehr gern mit zu meinen Rennen und unterstützen mich. Ich bin ein Einzelkind, da ist es einfacher. Nach Levi beispielsweise kam meine Mutter mit meiner Cousine, und wir feierten dort ihren Geburtstag. Ich finde es sehr schön, dass sie an meinem Leben teilhaben können. Und so werden sie mich auch in Cortina unterstützen.
Die Spiele sind gegen Ende der Saison. Wie schaffen Sie es, Ihre Kräfte zu bündeln, um auch dann noch die beste Leistung abrufen zu können?
Skifahren ist ein explosiver Sport. Es ist nicht wie beim Langlauf, wo man die Form aufbauen muss. Es ist bei uns möglich, jedes Wochenende zu performen. Aber man muss einen guten Plan haben, wissen, wann man auf den Ski trainiert, im Kraftraum, wie man auf Jetlag reagiert. Es ist wichtig, die Energie gut einzuteilen.
Bei den Männern liest man immer wieder von diesem speziellen Teamspirit. Wie ist es bei den Frauen? Haben Sie es auch so gut miteinander?
Wir werden uns sicher nicht die Haare abschneiden (lacht). Wir haben im Moment ein sehr starkes Slalomteam, jede Athletin pusht die andere nach oben. Ich finde das sehr schön, auch neue Namen, junge Sportlerinnen können profitieren.
Meine engste Freundin im Team ist Mélanie Meillard, wir kennen uns, seit wir Kinder waren. Wir wissen auch immer, wie sich die andere fühlt und ob sie Hilfe braucht. Und wir sind die Einzigen im Team, die Französisch sprechen. Auch die Freizeit verbringen wir als Team gern zusammen, etwa bei einem Kartenspiel. Wir sind aber nicht verbissen – es geht um den Spass, nicht ums Gewinnen.

Was machen Sie neben dem Skifahren am liebsten?
Früher bin ich sehr oft und gern Velo gefahren. Inzwischen mache ich das etwas weniger. Dafür reite ich mehr. Ich liebe den Kontakt mit dem Pferd, mit den Tieren allgemein. Bis vor zwei Jahren hatte ich noch einen Hund. Dieser ist leider gestorben. Das Reiten bringt mich den Tieren trotzdem näher. Ich bin schon als Kind gern geritten.
Sie haben die Matur gemacht. Haben Sie berufliche Pläne neben Ihrer Skikarriere?
Im Moment nicht. Ich habe bis jetzt kein Studium angefangen. Ich mache aber mein Management selbst. Ich habe die Matur mit den Schwerpunkten Wirtschaft und Recht absolviert, und der Kontakt mit den Sponsoren ist eine gute Lehre für mich. Ich denke, ich lerne aktuell mehr für mich, als wenn ich studieren würde.
Worauf freuen Sie sich jetzt am meisten?
Einfach auf die Saison. Es ist manchmal mühsam, monatelang nur zu trainieren. Ich musste auch lernen, diesen Prozess zu geniessen. Das hat Zeit gebraucht.
