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Am Gotthard mit TCS-Patrouilleur Andreas Albisser

«Ich muss oft Leute beruhigen»

Stau, Hitze, quengelnde Kinder – und dann versagt der Motor. Wenn am Gotthard nichts mehr geht, rücken die Pannenhelfer aus. Einer von ihnen: Andreas Albisser. Er flickt nicht nur Fahrzeuge, sondern oft auch Nerven.

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<p>In einer Schicht muss Pannenhelfer Andreas Albisser, 55, bis zu 14-mal ausrücken. Hochsaison am Gotthard ist im Juli, August und September.</p>

In einer Schicht muss Pannenhelfer Andreas Albisser (55) bis zu 14-mal ausrücken. Hochsaison am Gotthard ist im Juli, August und September.

Remo Naegeli

Das Handy klingelt. Andreas Albisser (55) nimmt ab. «Falsch getankt, Benzin statt Diesel? Ja, dann muss er abgeschleppt werden.» Ein Kollege kümmert sich um das Fahrzeug in Altdorf UR. «Wenn jetzt nicht grad Hochsaison wäre, hätten wir den Tank auspumpen können. Aber im Juli und August ist das selten möglich – man weiss nie, was noch passiert.» Der Mann mit dem gmögigen Gemüt ist Patrouilleur beim TCS und in diesen Monaten in der Gotthard-Region unterwegs. Den Job macht er seit 27 Jahren – und in denen hat er schon fast alles gesehen.

Andreas Albisser, was war der spektakulärste Einsatz, den Sie je hatten?

Ich könnte Bücher schreiben! (Lacht.) Einmal rief ein Mann an und sagte, sein Töff sei kaputt und müsse abtransportiert werden. Ich wollte mir das erst ansehen, vielleicht hätte man den Töff ja noch zum Laufen bringen können. Aber er wollte partout nicht, dass ich etwas daran mache – das kam mir seltsam vor. Ich habe ihn dann nicht verladen und bin wieder gefahren. Später bekam ich von der Polizei mit, dass dieser Töff gestohlen war.

Welche Menschen sind bei Pannen besonders anstrengend?

Oft sind Geschäftsleute gestresst. Die werfen einem den Schlüssel hin und sagen: «Ich muss los, machen Sie einfach.» Alles muss schnell gehen. Aber 99 Prozent der Menschen, denen ich helfe, sind freundlich und dankbar.

Durch den Gotthard fahren viele in die Ferien. Sind diese Leute entspannter?

Teils, teils. Viele sind nicht in Eile und nehmens locker. Aber es gibt auch solche mit einem strengen Zeitplan: Wenn sie eine Fähre in Genua oder einen Flug in Mailand haben, dann sind sie nicht viel entspannter als die Businessleute.

Wie ist die aktuelle Lage am Gotthard?

Es hilft, dass es im Moment nicht zu heiss ist. Aber klar: Die Staus sind da. Die Leute steigen aus, laufen herum – verständlich. Aber man muss wirklich aufpassen, das ist noch immer eine Autobahn. Das ist gefährlich für sie und für uns, die auf dem Pannenstreifen unterwegs sind.

Was denken Sie, wenn Sie an einer kilometerlangen Blechlawine vorbeifahren?

Zum Glück arbeite ich – und muss nicht selbst in die Ferien fahren!

Können Sie gewisse Klischees bestätigen, etwa, dass Holländer in den Bergen nicht fahren können?

Ein bisschen schon, ja. Aber allgemein gesagt, vor allem, was die Fahrzeugwahl betrifft. Wenn jemand mit einem schwach motorisierten Auto kommt und dann stundenlang am Gotthard im Stau stoppt, anrollt, wieder stoppt … das ist purer Stress für das Fahrzeug. Die Kupplung leidet extrem, wenn man das nicht richtig kann. Und dann wundert man sich, warum es plötzlich nicht mehr weitergeht.

<p>Kupplung kaputt, Kühler kocht – das sind die Klassiker am Gotthard. <br /> «80 Prozent der Pannen, locker!», sagt Andreas ­Albisser.</p>

Kupplung kaputt, Kühler kocht – das sind die Klassiker am Gotthard. «80 Prozent der Pannen, locker!», sagt Andreas Albisser.

Remo Naegeli

Welche Autos bleiben besonders häufig liegen?

Alles, was fährt, kann auch stehen bleiben! Früher konnte man noch sagen, Franzosen oder Italiener. Aber das ist heute nicht mehr so.

Sind moderne Autos zuverlässiger und sicherer?

Ich sage es mal so: Je mehr Technik verbaut ist, desto mehr kann kaputtgehen. Die Systeme sind so vernetzt, dass manchmal ein defekter Blinker den Spurhalteassistenten lahmlegt und nichts mehr läuft. Das sind Dinge, von denen man früher gar nicht wusste, dass sie Probleme machen können.

Ist Ihre Arbeit dadurch komplizierter geworden?

Früher waren Pannen oft schneller erledigt: Kabel dran, Schlauch auswechseln – weiterfahren. Heute muss man sich durch komplexe Fehlermeldungen und elektronische Systeme kämpfen.

Wie siehts mit Elektroautos aus?

Schwierig zu sagen, weil es noch nicht so viele gibt. Aber auch die haben ihre Schwachstellen. Manchmal funktioniert einfach nichts mehr, und niemand weiss, warum (lacht).

Was war das ungewöhnlichste Gefährt, das Sie abschleppen mussten?

Einmal ein Auto mit einem Bootsanhänger. Wenn so ein Schiff hinten dran ist und das Auto streikt – gute Nacht. Da muss man sich zuerst mal überlegen, wie man das überhaupt sicher wegkriegt.

Was können Sie mit Ihrem Pannenfahrzeug leisten – was nicht?

Unsere Hauptaufgabe am Gotthard ist es, Pannenfahrzeuge aus der Gefahrenzone zu bringen – also runter von der Autobahn. Auf dem Pannenstreifen dürfen wir keine grösseren Reparaturen machen. Das heisst: Erst mal raus nach Göschenen, dann schauen wir. Wenns nur die Kupplung war, die überhitzt ist – dann läuft das Auto meistens wieder. Wir sehen uns hier ein bisschen als Filter: Die, bei denen wir sicher sind, dass sie es schaffen, schicken wir weiter. Die anderen bleiben draussen – bevor sie mitten im Tunnel liegen bleiben.

Haben Sie auch Dinge dabei, die nichts mit Autoreparatur zu tun haben?

Wir haben Schleckstängel für Kinder, Capri-Sonne, kleine Zeichenbücher. Im Sommer führen wir eine Kühlbox mit. Es ist uns wichtig, dass wir auch menschlich helfen können – vor allem, wenn Kinder dabei sind.

<p>Der 55-Jährige wuchs in Kriens LU auf und ist gelernter Auto­mechaniker. Heute lebt er in Spiringen UR. </p>

Der 55-Jährige wuchs in Kriens LU auf und ist gelernter Automechaniker. Heute lebt er in Spiringen UR. 

Remo Naegeli

Wie reagieren die Leute auf Sie?

Die meisten sind erleichtert, dass jemand da ist. Ausnahmen gibts, wenn sie sehr lange gewartet haben. Eine Stunde ist für die meisten schon zu lang. Aber oft sage ich dann: Ob Sie jetzt eine Stunde im Stau stehen oder auf mich warten, macht keinen Unterschied. Fahren können Sie sowieso nicht.

Wie gehen Sie mit genervten oder aggressiven Menschen um?

Wir haben Schulungen, in denen wir das lernen. Es geht immer auch um die Menschen, nicht nur um die Fahrzeuge. Ich beruhige auch oft Leute, wenn sie verärgert oder verzweifelt sind. Was fast immer hilft: Wenn man ihnen eine Lösung bietet. Wenn das Auto nicht mehr geht, bringen wir die Leute zum Bahnhof oder zur Mietwagenstation. Hauptsache, es geht irgendwie weiter. Ich habe auch schon einen vakuumverpackten Truthahn als Dankeschön bekommen – oder eine Salami von einem Italiener.

Welche Ausreden hören Sie bei Pannen?

Was immer wieder vorkommt: Jemand hat einen Platten, weil er in den Randstein gefahren ist, aber kein Ersatzrad dabei – weil moderne Autos ja nie einen Platten bekommen. Da kann ich nur lachen. Wir haben das hier täglich! Ich habe mal jemanden gefragt, warum er in den Randstein gefahren ist – er meinte, er habe ein Werbeplakat angeschaut. Ich frage mich schon, was da auf dem Plakat war! Man verlässt sich einfach zu stark auf die Assistenten und passt nicht auf – und wundert sich dann, wenn mal etwas passiert.

Welche Pannen sind am Gotthard am häufigsten?

Ganz klar: Kupplung und Kühlung. Der Berg und der Stau setzen den Fahrzeugen zu. Immer wieder anfahren, mit Anhänger vielleicht – das überhitzt die Kupplung. Und bei Sommerhitze kommen noch Kühlprobleme dazu, weil etwa der Fahrtwind fehlt.

Wie kann man den Stau vermeiden?

Unter der Woche oder auch nachts fahren und die Verkehrslage beobachten. Heute gibts sehr gute Apps, zum Beispiel die vom TCS. Wenn der Stau vor einer Stunde fünf Kilometer lang war und jetzt noch drei, kann man davon ausgehen, dass er sich in einer Stunde aufgelöst hat.

Was lieben Sie an Ihrem Beruf?

Die Abwechslung. Kein Tag ist wie der andere. Ich bin draussen, sehe neue Orte, treffe immer andere Menschen. Ich habe sogar ein Fernglas dabei – weil ich immer wieder an Orten bin, die ich nicht kannte. Es wird nie langweilig.

Haben Sie selbst schon mal den Pannendienst gebraucht?

Ja, tatsächlich! Vor rund zehn Jahren wollte ich mit dem Töff nach Elba fahren – und kurz vor dem Gotthard ist er abgelegen. Zum Glück nicht im Tunnel. Ich musste eine Stunde warten – da kam mir diese Stunde auch ewig vor (lacht). Ein Kollege hat mich zur Garage gebracht – Zündung kaputt. Zwei Tage später kamen die Ersatzteile, und ich konnte losfahren.

Silvana Degonda
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Von Silvana Degonda am 19. Juli 2025 - 12:00 Uhr