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  4. Interview mit Betrand Piccard über seine neuesten Abenteuerziele

Bertrand Piccard

«Ich träume immer noch von der Weltumrundung»

Es war eine Sensation, und die ganze Schweiz fieberte mit: Vor 25 Jahren ­gelang dem Waadt­länder Bertrand Piccard ein ­Nonstop-Flug mit dem Ballon um die Erde. Der ­Entdecker erinnert sich und sagt, was ihn dieser Exploit gelehrt hat.

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Bertrand Piccard, psychiatre, explorateur et environnementaliste suisse photographié lors d'une interview à l'occasion des 25 ans de Breitling Orbiter 3, le 5 mars 2024 à Lausanne. (© Gabriel Monnet)

Bertrand Piccard am Sitz seiner Stiftung in Lausanne: «Um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern, brauchen wir Innovation und Pioniergeist.»

Gabriel Monnet

Es ist das bislang letzte grosse Abenteuer der Luftfahrt: die Erde nonstop mit einem Ballon und mit alleiniger Kraft des Windes zu umkreisen. Die Milliardäre Steve Fossett aus den USA und Richard Branson aus Grossbritannien liefern sich einen regelrechten Wettkampf – doch beide unterliegen dem Schweizer Bertrand Piccard! Vor 25 Jahren, am 21. März 1999, landet die «Breitling Orbiter 3» mit Piccard und seinem treuen Kollegen Brian Jones in der Wüste von Ägypten. 19 Tage nachdem sie in Château-d’Oex VD gestartet sind.

Für Piccard ist es der dritte Versuch, der schliesslich Geschichte schreibt. Der Spross der Entdecker- und Abenteurerfamilie aus dem Kanton Waadt hat damit seine eigenen Spuren in der Historie hinterlassen. Und es ist der Start zu weiteren Exploits: 2016 schaffen er und sein Team die Weltumrundung in mehreren Etappen im Solarflugzeug «Solar Impulse». Sein neustes Projekt ist «Climate Impulse»: ein Flugzeug, betrieben mit Wasserstoff, das als Prototyp für die Zukunft der kommerziellen Luftfahrt dienen soll. Dafür arbeitet er mit der Flugzeugindustrie zusammen.

Umwelt- und Klimaschutz sind die grossen Themen, denen sich der studierte Mediziner und Psychiater Bertrand Piccard widmet. «Ich kämpfe gegen Pessimismus und Untätigkeit», sagt er. «Mein Ziel ist, Hoffnung zu geben.» Im Interview erinnert er sich an sein Ballonabenteuer.

 

Bertrand Piccard, psychiatre, explorateur et environnementaliste suisse photographié lors d'une interview à l'occasion des 25 ans de Breitling Orbiter 3, le 5 mars 2024 à Lausanne. (© Gabriel Monnet)

Poster im Büro von Bertrand Piccard. Dass er einmal Ballonfahrer werden will, wusste er schon als Kind.

Gabriel Monnet

Bertrand Piccard, denken Sie oft an die Weltumrundung mit dem Ballon zurück?
Bertrand Piccard: Mehr als das – ich träume regelmässig davon! Manchmal gar, dass es nicht geklappt hat. Dann erwache ich glücklicherweise. Und bin nur noch erleichtert.

Wie analysiert der Psychiater Piccard diese Träume?
Vielleicht müssen wir uns in die Zeit dieses Abenteuers zurückversetzen: Statistisch gab es nur eine ganz kleine Chance, dass es klappen wird. Noch kleiner war die Chance, dass ich der Erste sein werde, der die Weltumrundung schafft. Vor mir hatten es ja andere versucht und sind gescheitert. Mir war bewusst, dass ich bescheiden bleiben musste.

1997 starteten Sie Ihren ersten Versuch, der nach sechs Stunden mit einer Notwasserung im Mittelmeer endete.
Ja, das war lamentabel! Ich hatte ja vor dem Start in Château-d’Oex verkündet, wir könnten die Erde in drei Wochen umkreisen. All das im Wissen darum, dass meine Konkurrenten Richard Branson und Steve Fossett es nicht geschafft hatten. Ich rief dann Branson an, und wir weinten uns am Telefon gegenseitig aus.

Bertrand Piccard, psychiatre, explorateur et environnementaliste suisse photographié lors d'une interview à l'occasion des 25 ans de Breitling Orbiter 3, le 5 mars 2024 à Lausanne. (© Gabriel Monnet)

Heute leitet Bertrand Piccard die Stiftung Solar Impulse und sein Projekt Climate Impulse.

Gabriel Monnet

Trotz dem Misserfolg haben Sie nicht aufgegeben. Was war Ihre Motivation?
Es war mein Kindheitstraum. Und Kindheitsträume haben eine grosse Macht! Ich war in meiner Familie umgeben von Menschen, die das Unmögliche gewagt haben – und es schafften. Mein Grossvater Auguste flog als Erster mit einer Kapsel in die Stratosphäre. Mein Vater Jacques tauchte mit dem von ihm erfundenen «Bathyscaph» in den Marianengraben im Pazifik, den tiefsten Punkt der Erde. Da wird man als Kind natürlich inspiriert. Die Weltumrundung mit dem Ballon war meine Möglichkeit, ebenfalls als Forscher und Entdecker etwas Grosses zu schaffen. In meiner Jugend traf ich Astronauten, ich tauchte mit Apnoetaucher Jacques Mayol, der dem Film «Le Grand Bleu» Pate stand. Für mich war es eine existenzielle Notwendigkeit, auf solchen Spuren zu wandeln. Ich glaube aber auch, dass ich vielen anderen Menschen mit meinen Abenteuern das Träumen erlaubt habe.

Und wenn Sie nicht reüssiert hätten?
Mein Leben wäre ein total anderes geworden. Vielleicht wäre ich privat Ballon gefahren, weil mir das schon immer sehr gefallen hat. Auch hätte ich meine Karriere als Psychiater weiterverfolgt. Aber ohne Weltumrundung hätte es das Flug-zeug «Solar Impulse» nie gegeben, auch meine Stiftung Winds of Hope nicht, mit der wir die schlimme Krankheit Noma bekämpfen.

Was haben Sie durch das Projekt Ballonfahrt um die Erde gelernt?
Geduld und Hartnäckigkeit. Diese Charaktereigenschaften hatte ich vorher überhaupt nicht. Das ganze Projekt dauerte ja sechs Jahre und umfasste viele Rückschläge. Ich musste lernen, fokussiert und motiviert zu bleiben, auch wenn alles länger ging als geplant.

«Ich habe aus jedem Misserfolg gelernt. Die anderen wiederholten ihre Fehler»

Bertrand Piccard

Wie haben sich Ihre Beziehungen zu anderen verändert, nachdem auch Sie sich den Ruf eines Forschers und Entdeckers erarbeitet hatten?
Ich war plötzlich ich selber! Nicht mehr länger der «Sohn von …» und der «Enkel von …». Ein Erlebnis hatte mich geprägt. Ein Pilot, dem ich in jungen Jahren als Nachkomme der grossen Piccards vorgestellt worden war, hatte recht verächtlich gefragt: «Und er, was macht er?» Der Erfolg hat mir Glaubwürdigkeit gegeben, war aber vor allem eine Befreiung für meine Kreativität. Das hat meine Beziehungen zu anderen völlig verändert. Und hilft mir auch heute noch, bei meinem neuen Projekt «Climate Impulse»: ein Wasserstoffflugzeug, das als Modell für eine emissionsfreie Flugfahrt dienen soll.

Hatten Sie nie Angst? Immerhin hätten Sie Ihre Frau zur Witwe, Ihre Kinder zu Halbwaisen machen können.
Es gibt diesen Satz von Paulo Coelho: «Wenn Sie denken, das Abenteuer sei gefährlich, probieren Sie die Routine, sie ist tödlich.» Das trifft es perfekt.

Wann kam Ihnen überhaupt die Idee zu diesem Abenteuer?
Das war 1990. Ich sass mit dem Unternehmer Richard Branson im Flugzeug, und er sagte mir, dass er die Erde mit dem Ballon ohne Zwischenhalt umrunden will. Für mich war das ein unmögliches Unterfangen, was ich ihm auch sagte. Doch dann erklärte er, dass man dafür auf die Höhe des Jetstreams steigen müsste. Das war der Moment, als ich mich auch damit befasste – aber ohne Richard zu informieren.

Warum haben Sie es schliesslich geschafft und nicht Ihre Konkurrenten? Was war der entscheidende Punkt?
Ich habe aus jedem Misserfolg gelernt. Die anderen haben immer dieselben Fehler wiederholt. Uns hat auch geholfen, dass wir eine kleine Equipe waren, wir waren viel agiler. Wir haben die Form des Ballons geändert, die Technologie weiterentwickelt, die Isolation, die Strategie. Sehr hilfreich dabei war auch die Zusammenarbeit mit der ETH Lausanne, die uns viel gebracht hat.

Sie brauchten einen Sponsor. Wie begeisterten Sie die Uhrenmarke Breitling?
1992 konnte ich als Co-Pilot von Wim Verstraeten mit dem Ballon die erste Atlantiküberquerung mitmachen. Ich war damals Assistenzarzt mit kleinem Salär, und meine Frau Michèle war schwanger mit unserem zweiten Kind. Mich für zwei Monate in dieses Abenteuer zu stürzen, war finanziell schwierig. Da Michèle in der Uhrenbranche arbeitete, kannte ich den Chef von Breitling, Thédy Schneider. Ich rief ihn an und fragte um ein kleines Sponsoring. «Heute ist mein Geburtstag, und ich bin gut gelaunt, also sage ich Ja», hat er mir geantwortet. Und es dann wieder vergessen.

Das ist Bertrand Piccard

Der 66-jährige Vater von drei Töchtern ist verheiratet mit der Politologin Michèle. Sie ist zuständig für die Kommunikation der Stiftung Solar Impulse in Lausanne. Diese engagiert sich bei Umweltprojekten. Bertrand ist auch Hypnotiseur und Autor diverser Bücher.

Bis Sie die Atlantiküberquerung erfolgreich absolviert hatten.
Ja! Und dann sah Schneider das Breitling-Logo auf meinem Helm, auf meinem Dress, auf den Säcken am Ballon. Ich war ihm so dankbar gewesen, dass ich alles beklebt hatte. Erst dann erinnerte er sich an unser Telefonat und versprach mir: «Wenn du erneut ein Abenteuer planst, dann melde dich wieder bei mir.» So entstand unsere langjährige Zusammenarbeit.

Welche drei Erinnerungen sind die schönsten, wenn Sie heute daran zurückdenken?
Beim ersten Flug mit «Breitling Orbiter 1» legten wir 1997 den schönsten Start hin. Die Ambiance in Château-d’Oex war magisch, in der Luft lag Abenteuer, auch etwas Naivität und grosse Freude. Und sechs Stunden später dann das peinliche Ende. Mit «Breitling Orbiter 2» hatten wir 1998 den schönsten Flug. Wir flogen tief, weil wir China umfahren wollten – uns fehlte die Überflugbewilligung. Unter uns lagen Indien, Pakistan, Bangladesch. Auf einer Höhe von 300 Metern hörten wir die Kinder jauchzen, wenn sie uns zuwinkten. Wir rochen den Duft der Gewürze, weil wir in einer Inversionslage waren, die nicht nur die Geräusche, sondern auch die Gerüche zu uns nach oben leitete. In diesem Moment war uns bereits klar, dass wir es nicht schaffen würden. Also wollten wir zumindest die Fahrt geniessen, bevor wir in Burma landeten.

Und die dritte Erinnerung?
«Breitling Orbiter 3» steht für den Erfolg, klar. Die Vorbereitungen waren härter, weil uns viel Skepsis entgegenschlug. Die Leute sagten, der Piccard werde es nie schaffen. Die NZZ schrieb sogar, es sei eine reine Marketingaktion. Derselbe Journalist hat während der ersten Woche unserer Fahrt täglich gegen uns angeschrieben. In der zweiten Woche war er dann etwas weniger zweifelnd, und ab der dritten Woche las man nichts mehr von ihm. Als ich dann in der Wüste in Ägypten aus der Kapsel stieg, war ich unendlich erleichtert. Das Erste, was ich tat, war gen Himmel zu schauen und zu sagen: Merci!

Von Philippe Clot am 7. April 2024 - 06:00 Uhr