Fenaco-Chef Martin Keller (53) fühlt sich zwischen den lebensgrossen Bauernhoftieren von Marc Trauffer sehr wohl. Sie stehen in der neuen Ausstellung «Von Heugabeln und Drohnen: Landwirtschaft heute» im Verkehrshaus der Schweiz in Luzern. Der Agronom mit Doktortitel der ETH Zürich wäre als Bub auch gern Bauer geworden. D
er verheiratete Vater von zwei erwachsenen Kindern wuchs in Thun auf, also im Berner Oberland wie die Trauffers. Zu Hause spielte er mit den kleinen Kühen, Schafen, Säuli, Hunden und Katzen aus Holz den Bauernhofalltag nach. Und bei seinem Götti half er oft auf einem richtigen Bauernhof aus. Heute prägt er das bäuerliche Leben in der Schweiz massgebend mit: Er ist verantwortlich für 11 500 Mitarbeitende und einen jährlichen Umsatz von acht Milliarden Franken.
Volg, Landi, Agrola, Ramseier – jedes Kind kennt diese Namen. Aber kein Mensch kennt die Firma Fenaco, der all diese Marken gehören. Wer ist Fenaco? Wem gehört das Unternehmen?
Wir sind eine Agrargenossenschaft, die 23 000 Landwirtinnen und Landwirten gehört, die in den Landi-Genossenschaften organisiert sind. Das ist etwa die Hälfte aller Bäuerinnen und Bauern in der Schweiz.
Und Sie sind der oberste Bauer der Schweiz?
Nein, ich bewirtschafte selber ja keinen Landwirtschaftsbetrieb. Wir betrachten bei der Fenaco die Bauernfamilien als Unternehmerfamilien und unterstützen sie bei der wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Betriebe. Wir liefern Entscheidungsgrundlagen, damit sie ihre Produktionsmittel richtig zusammenstellen können, beispielsweise wenn es um Tierfutter, Dünger, Pflanzenschutz- mittel, Drohnen oder andere neue Technologien geht. Wir kaufen gebündelt für alle ein, was sich positiv auf die Preise auswirkt. Sie veredeln auch Rohstoffe der Bauern. Wir stellen zum Beispiel Pommes frites her oder den Ramseier-Apfelsaft. Wenn wir die Konsumentinnen und Konsumenten davon überzeugen können, gesunde, sichere und qualitativ hochstehende Schweizer Lebensmittel zu kaufen, können wir für die Rohstoffe Preise zahlen, die den Bauernfamilien ein Auskommen sichern. Das ist unser Grundauftrag.
Wer gibt die strategische Richtung vor?
Zwischen dem Verwaltungsrat und der Geschäftsleitung ist die Zusammenarbeit sehr eng. Wir treffen uns einmal monatlich. Der VR besteht aus 19 Personen, davon führen zwölf einen landwirtschaftlichen Betrieb. Die Kompetenz der Geschäftsleitung bei Investitionen reicht nur bis zu einer Million Franken – was darüber hinausgeht, muss vom VR abgesegnet werden. Das ist sehr speziell bei einer Firma unserer Grösse. In den vergangenen Jahren lag der Jahresgewinn immer um die 100 Millionen Franken.
Sie sind doch eine Genossenschaft, wie passt das zusammen?
Wir sind gewinnorientiert, aber nicht profitmaximierend unterwegs. Wir haben immer den Nutzen für unsere Mitglieder, unsere 23 000 Bäuerinnen und Bauern, im Auge.
Was passiert mit dem vielen Geld?
Rund einen Drittel des Gewinns geben wir den Mitgliedern zurück. Das läuft via Verzinsung der Anteilscheine der Landi-Genossenschaften zu sechs Prozent. Und über Leistungsprämien für die Landi. Seit dem 25-Jahre-Jubiläum der Fenaco schütten wir den Landwirtinnen und Landwirten zudem direkt eine Erfolgsbeteiligung aus. Zum 30-Jahre-Jubiläum 2023 stocken wir diesen Betrag um zwei Millionen auf. Insgesamt fliessen so rund 36 Millionen an unsere Mitglieder zurück.
Doch den Grossteil der erwirtschafteten Mittel …
… reinvestieren wir in Infrastrukturen, die unserem Zweckauftrag dienen. Zum Beispiel Getreidesilos, Verarbeitungsanlagen oder Läden. Dass tönt alles schön und gut. Doch keine Geiss schleckt weg: Der Graben zwischen Stadt und Land wird in der Schweiz immer tiefer. Das macht uns Sorgen. Es ist kritisch, wenn die Lebenswelten gerade in einem kleinen Land wie der Schweiz auseinanderdriften.
Das wollen Sie ändern.
Gemeinsam mit dem Verkehrshaus der Schweiz haben wir die mehrjährige Ausstellung «Von Heugabeln und Drohnen: Landwirtschaft heute» realisiert. Am 1. Juni wurde sie eröffnet. Wir zeigen, wie Härdöpfel produziert werden und daraus Pommes frites entstehen. Oder wir stellen den Weg vom Rind zum Hamburger dar.
Also Bauern wie zu Gotthelfs Zeiten.
Überhaupt nicht. Wir vermitteln ein zeitgemässes Bild von der Landwirtschaft. Dazu gehören auch heute schon Drohnen und autonom fahrende Roboter. Die Ausstellung ist auch eine Plattform für den Austausch. Gerade von der städtischen Bevölkerung wollen wir erfahren, welche Landwirtschaft sie sich für die Zukunft vorstellt.
Wie ist Ihre Haltung?
Der Weg müsste die ökologische Intensivierung sein.
Was heisst das genau?
Mit der Fläche, die wir haben, sollten wir mindestens gleich viel produzieren wie heute – aber ohne die Umwelt zusätzlich zu belasten. Das bedeutet also zum Beispiel weniger Einsatz von Pflanzenschutzmitteln oder Dünger.
Wie packen Sie das an?
Wir arbeiten mit verschiedenen Forschungskooperationen zusammen. Allen haben wir die gleiche Aufgabe gestellt: Wie können wir mit weniger Ressourceneinsatz gleich viel oder mehr produzieren? Das ist eine typische Schweizer Aufgabe: Es braucht Wissen und Technologie. Und die Schweizer Landwirtinnen und Landwirte, die zu den bestausgebildeten der Welt zählen. Aber gerade diese wollen Sie abschaffen – und Fleisch aus dem Labor erzeugen. Die Fenaco würde nie etwas machen, was die Bäuerinnen und Bauern konkurrenziert. Wir schauen neue Technologien wie die zelluläre Landwirtschaft frühzeitig und immer mit Blick auf unseren Zweckartikel an. Uns interessiert die Frage, welche Rolle die Bäuerinnen und Bauern in der zellulären Landwirtschaft spielen.
Bauen sie auf ihrem Ackerland die Rohstoffe für Nährlösungen an – oder kultivieren sie dereinst sogar Fleisch in einem Bioreaktor direkt auf dem Hof?
Das ist Landwirtschaft 4.0. Wir werden immer mehr zum Technologietransfer-Unternehmen. Das ist eine der wertvollsten Rollen, die wir künftig für die Schweizer Landwirtschaft spielen können.
Gibts noch mehr Science-Fiction auf Schweizer Äckern und Feldern?
Eine Zukunftstechnologie ist das Vertical Farming. Gemüse, Kräuter und Salate wachsen nicht mehr draussen auf dem Feld, sondern in hohen Hallen übereinandergestapelt. Mit dem ETH-Spin-off Yasai vermarkten wir bereits auf diese Weise produziertes Basilikum und weitere Kräuter, unter anderem bei Coop. Die Hürden für Vertical Farming in der Landwirtschaft sind allerdings hoch, auch das zeigt dieses Projekt.
Sie wollen aus Landwirten auch Energiewirte machen.
Unsere Vorgänger machten bei der Motorisierung den Schritt von den Futtermitteln für Ross- und Ochsengespanne zu fossilen Energieträgern. Jetzt kommt der nächste Schritt.
Mit der Agrola als Gesamtenergiedienstleisterin?
Wir wollen die Energiewende auf dem Land vorantreiben. Agrola hat über 400 Tankstellen, davon aktuell 23 mit Elektro-Schnellladestationen und drei mit Wasserstoff. Die nachhaltige Mobilität wird früher oder später auch auf den Bauernhöfen Einzug halten. Es gibt bereits Testtraktoren mit Wasserstoff- und Stromantrieb. Agrola ist aber auch eine der führenden Fotovoltaik-Anbieterinnen der Schweiz. Im vergangenen Jahr haben wir an drei Landi-Standorten sogenannte Micro Grids eingerichtet. Im Gegensatz zu reinen Fotovoltaik-Anlagen können wir einen Batteriespeicher füllen und die Energie gezielt an den Landi-Laden oder die Schnellladestation abgeben. Dieses Prinzip birgt viel Potenzial für Landwirtschaftsbetriebe, die auf ihren Dächern lokal Strom für Nachbarn produzieren könnten. Weil viele von Heizöl auf nachhaltige Wärmequellen umrüsten, sehen wir für Holz ein grosses Potenzial. Für die Schweiz wird ein Anstieg von rund 400 000 auf total 700 000 Tonnen Holzpellets in den nächsten fünf Jahren prognostiziert. Wir wollen einen möglichst hohen Anteil an CO2-neutralem einheimischem Holz beitragen.