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Interview mit GLP-Nationalrat Martin Bäumle

«Wir benötigen unsere KKWs noch Jahrzehnte»

Weshalb der Bundesrat unsere Energiesicherheit mutwillig gefährdet – und weshalb er jetzt ­dringend Putin besuchen müsste. Der Ukraine-Kenner und Energieexperte spricht Klartext.

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Martin Bäumle, Nationalrat Grünliberale Partei

Mit gemischten Gefühlen geniesst der Dübendorfer Finanzvorstand Martin Bäumle die Herbstsonne: «Langfristig drohen ein Auftauen des Permafrosts, mehr Steinschlag und Überschwemmungen.»

Herbert Zimmermann

Er predigt nicht nur erneuerbare Energie, sondern lebt sie auch: GLP-Mitgründer und Nationalrat Martin Bäumle (58) fährt beim Treffpunkt im Restaurant La Stazione in seiner Wohngemeinde Dübendorf ZH mit dem E-Bike vor. Der Stadtrat ist seit elf Jahren mit Yuliya verheiratet, die aus der Ukraine kommt. Bäumle selber ist Co-Präsident der parlamentarischen Freundschaftsgruppe Schweiz-Ukraine, ist Geschäftsleiter von Green Cross Schweiz, das vor Ort humanitäre Hilfe leistet. Und da Putins Angriffskrieg wesentlich für das Energieproblem im Westen und damit auch in der Schweiz verantwortlich ist, hat der Atmosphärenwissenschafter dazu Wichtiges zu sagen.

Weshalb braucht es einen Krieg, damit es bei uns zur Energiewende kommt, Herr Bäumle?
Das ist tragisch. Unsere geopolitische Strategie, abhängig von Staaten zu sein, die nicht unseren Demokratieansprüchen entsprechen, war schon immer ein Risiko. Doch sind Krisen, so schlimm sie für die Betroffenen sind, auch immer eine Chance zum Lernen.

Heute liefert Windenergie nur ein Prozent unserer gesamten Energie, Sonnenenergie sechs. Hätte man nicht schon beim Atomausstieg konkrete Schritte einleiten müssen?
Lange war es ein Preisproblem, Investitionen in Sonnen- und Windanlagen waren ein Risiko. Atom- und Kohlestrom hingegen waren aussubventioniert, diese Energieproduktion musste nie kostendeckend sein.

Aber ganz ehrlich …
… es gab auch massiv Widerstand von jenen, die jetzt sagen, die Befürworter der erneuerbaren Energien seien schuld an der jetzigen Situation. Das Gegenteil trifft zu: Diese Leute haben über Jahre alles blockiert, was in Richtung erneuerbare Energien geht. Sie haben auch den Klimawandel ein Stück weit ignoriert – und sie machen das zum Teil heute noch. Geostrategische Fragen haben sie nie interessiert. Beispielsweise dass wir viel Gas von Putin beziehen und Öl aus Ländern, die man nicht als Demokratien bezeichnen kann. Widerstand gab es aber auch von der Umweltseite. Aus ökologischer Sicht hatte man bei Wind- und Solarprojekten wie auch bei Stausee-Erweiterungen oft Bedenken – vereinzelt auch in meiner Partei.

Hat die Schweiz die Energiewende verschlafen?
Ich habe immer gesagt, der Ausstiegsentscheid sei kein Spaziergang. Und schon 2010 – also noch vor Fukushima – habe ich berechnet, dass wir unsere grossen Kernkraftwerke sechzig Jahre lang benötigen und betreiben werden.

Und heute?
Dazu stehe ich noch immer. Deshalb ist es zwingend, dass wir weiterhin in deren Sicherheit investieren. Und dann kommt die Frage des Rahmenabkommens mit der EU: Mit der Ablehnung hat der Bundesrat die Versorgungssicherheit mutwillig gefährdet.

Martin Bäumle, Nationalrat Grünliberale Partei

«Noch vor Fukushima habe ich berechnet, dass wir unsere grossen Kernkraftwerke sechzig Jahre lang benötigen und betreiben werden»

Herbert Zimmermann

Was hat das mit unseren Energieproblemen zu tun?
Unsere Stromhersteller investieren im Ausland umgerechnet in Kilowattstunden fast so viel, wie in der Schweiz durch den Verzicht auf die Kernenergie wegfallen. Mit einem Rahmenabkommen könnten wir den Bezug regeln – ähnlich wie wir das mit den französischen Atomkraftwerken machen.

Zumindest auf dem Papier wäre dann alles geregelt …
… stimmt! Aber physikalisch ist der Strom noch nicht bei uns. Wir brauchen deshalb einen gewissen Eigenversorgungsgrad. Für das Speichern von Energie im Winter benötigen wir einerseits die Stauseen. Aber auch das gasförmige, flüssige Speichern mit Power-to-X hat ein grosses Potenzial. Wir müssen zuerst aber effizienter werden. Die Elektromobilität ist effizienter als der Ottomotor, die Wärmepumpe wirkungsvoller als Elektro- und Gasheizungen, und ein saniertes Gebäude spart viel Energie.

Einspruch! Jeder Haushalt hat immer mehr Geräte – und bald fahren alle nur noch mit Elektroautos herum.
Tatsächlich ist dieser Rebound-Effekt ein Problem. Deshalb ist es per se nicht schlecht, wenn die Energie etwas mehr kostet.

Sie sagen, Strom müsste teurer sein, wenn die Nachfrage grösser ist.
Das werden wir machen müssen. Diesen Winter werden Strom und Gas teurer sein. Wer seine Wohnung zwei Grad runterfährt, hat keinen grossen Komfortverlust, aber einen ökonomischen Anreiz: Ich mache etwas Gutes für die Umwelt – und spare noch Geld! Deshalb bin ich gegen Subventionen für günstigere Energie. Die Benzinpreise zu verbilligen, ist völlig absurd.

Sie wollen den Klein- und Mittelverdienern ans Portemonnaie.
Überhaupt nicht! Diejenigen mit höherem Einkommen konsumieren mehr. Auch leben sie auf grösseren Wohnflächen. Klar ist: Wer keinen grossen Lohn hat und in einer Altbauwohnung lebt, kann selber in Sachen Energie nicht beliebig viel machen. Aber die jetzigen Preise sind weit von Härtefällen entfernt.

Martin Bäumle, Nationalrat Grünliberale Partei

Martin Bäumle ist überzeugt davon: Jeder Einzelne müsse kapieren, dass er mit Einsparungen etwas Gutes für die Umwelt mache und gleichzeitig sein Portemonnaie schone.

Herbert Zimmermann

Viele Gewerbler jammern. Bundesrat Parmelin will diesen Firmen entgegenkommen und ihnen eine Rückkehr in die Grundversicherung ermöglichen.
Das ist für mich undenkbar! Diese Firmen haben in den letzten Jahren auf dem freien Markt von sehr tiefen oder zu tiefen Preisen profitiert. Wenn Sie diese Einsparungen mit den jetzt höheren Preisen verrechnen, stehen sie unter dem Strich immer noch gut da. Eine Rückkehr in die Grundversorgung wäre unfair gegenüber den Kleinverbrauchern, die in den letzten Jahren ein wenig höhere Preise zahlen mussten.

Und was halten Sie vom Axpo-Trading à la Grossbanken?
Handeln und Geld verdienen ist nichts Schlechtes.

Aber das Wie ist doch entscheidend?
Wir hatten Zeiten, als die Preise am Boden waren: Als die Axpo beim produzierten Strom drauflegte, Verluste machte und nah an einem Konkurs war. Der Handel hat dabei geholfen, stabilisierend zu wirken. Und der Handel mit Flüssiggas oder Gas in diesem Winter ist im Interesse der Versorgungssicherheit. Den sollten wir auf keinen Fall einschränken. Das Liquiditätsproblem hat mit der Absicherung der eignen Produktion zu tun. Wenn der Preis an der Börse steigt, muss der Verkäufer das Geld cash hinterlegen. Bei normalen Strompreisschwankungen ist das kein Problem. Jetzt kam es aber zu einer Preisexplosion bis auf über einen Franken pro Kilowattstunde. Kein Unternehmen kann solche Summen stemmen. Es blieb dem Bund keine Alternative, als für die Versorgungssicherheit der Schweiz einen Rettungsschirm aufzuspannen.

Trotzdem zeigt sich die Axpo undankbar.
Der Bund beschaffte für den Winter 400 Gigawattstunden Wasserkraftreserve. In der Regel verkaufen die Stromunternehmen die aus dem Stauseewasser gewonnen Kilowattstunden für gutes Geld an den Märkten. Also wollten sie für das Zurückhalten entschädigt werden. Sie konnten dafür an einer Auktion Gebote einreichen. Die Axpo war zu gierig – und sie ging leer aus. Ich hätte schon erwartet, dass der Bund gesagt hätte: Wir haben euch eine Staatsgarantie gegeben – jetzt kommt ihr uns auch entgegen, auch wenn das euch am Schluss ein paar Franken weniger Gewinn bringt.

Wir sitzen Ende Oktober draussen bei sommerlichen Temperaturen. Hilft das milde Wetter im Kampf gegen die Energieknappheit?
Das ist paradox! Kurzfristig könnte uns ein milder Winter helfen. Langfristig dürfen wir uns über die angenehmen Temperaturen aber nicht freuen. Auftauen des Permafrosts, mehr Steinschlag und mehr Überschwemmungen in kurzer Zeit werden uns stark zu schaffen machen. Wir haben lieber einen anständigen Winter.

Auslöser der Energiekrise ist der Krieg in der Ukraine. Ihre Frau kommt von dort. Was müsste die Schweiz jetzt machen?
Wenn Bundesrat Cassis nach Kiew geht und sich dort zeigt, wäre es super, wenn er am gleichen Tag verkünden würde, später gehe er nach Moskau. Ich glaube nicht, dass es eine Ausladung aus Moskau gäbe. Die Schweiz könnte noch immer etwas bewegen.

Sie setzen immer noch auf eine Verhandlung mit Putin?
Das ist der einzige Weg: Beide Seiten müssen an den Tisch sitzen. Ein Waffenstillstand könnte so aussehen: Russ- land zieht sich auf die Linie vom 24. Februar zurück – die Ukraine bleibt stehen, wo sie ist, und im jetzt umstrittenen Gebiet kommen Uno-Truppen zum Einsatz. Unabhängige OSZE-Beobachter analysieren sämtliche Kriegsverbrechensvorwürfe.

Grüne Themen haben ein Hoch. Einzig bei den Wahlumfragen verliert die Partei – im Gegensatz zu den Grünliberalen.
Die Grünen haben bei den letzten Wahlen äusserst viel zugelegt. Ein leichter Rückgang sagt noch nichts aus.

Sie haben sich aus dem Ständeratsrennen verabschiedet – weil Sie gern Bundesrat wären?
Nein. Ich will keinen 365- Tage-24-Stunden-Job, bei dem ich völlig fremdbestimmt bin. Ständerat hätte mich gereizt. Aber es ist klar, wir haben mit Tiana Angelina Moser die besten Chancen – wir wollen diesen Sitz. Ich bin auch gern Nationalrat. Ich bin Stadtrat in Dübendorf. Ich habe mein Leben und viele Sachen, die mich interessieren. Damit bin ich sehr zufrieden.

Von Max Fischer am 5. November 2022 - 12:00 Uhr