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Er will bei allem den Durchblick

Jean-Robert Schaffter und sein Schaffen

Art Director, Fotograf, Künstler – und immer auf der Suche nach Perfektion. Der Jurassier Jean-Robert Schaffter ist einer, der nie aufhört, Neues zu lernen, und der allem auf den Grund gehen will. Zurzeit ergründet er Waldböden.

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<p>«Da gibt es Farben, die ich noch nie gesehen habe.» Schaffter in seinem Atelier im Jura vor einem seiner monumentalen Bilder eines Waldbodens.</p>

«Da gibt es Farben, die ich noch nie gesehen habe.» Schaffter in seinem Atelier im Jura vor einem seiner monumentalen Bilder eines Waldbodens.

Kurt Reichenbach

Warum macht ihr eine Reportage mit einem alten Künstler, wo es doch so viele junge gibt, die man vorstellen sollte?» Gute Frage. Dabei weiss Jean-Robert Schaffter (76) ganz genau, dass man den wahren Erfolg nie früh findet, auch wenn man früh anfängt. Der Zeichner, Maler und Zeitschriftengestalter, der zwischen Zürich, Lenzburg AG und seinem Atelierhaus im abgelegenen Juratal Les Peignières pendelt, hat schon als Bub viel gezeichnet.

<p>Jean-Robert Schaffter will alles immer genau ergründen. Seine Künstlerseele hat er auch neben seiner Arbeit immer ausgelebt.</p>

Jean-Robert Schaffter will alles immer genau ergründen. Seine Künstlerseele hat er auch neben seiner Arbeit immer ausgelebt.

Kurt Reichenbach

Sein erstes Bild wollte er dem Dorfschmied Ernst Kocher von Bassecourt JU verkaufen, weil darauf neben der Dorfkirche auch dessen Haus abgebildet war. «Das ist nicht so gut», lehnte dieser ab. Die Lektion sass. Doch danach ging es steil bergauf mit dem Künstler, den alle Schaffti nennen: Nach der Kunstgewerbeschule in Biel BE wurde er Art Director, Fotograf und Illustrator bei den Zeitschriften «Illustré», «Flair» und Schweizer Illustrierte. Er zeichnete und malte daheim, wagte aber nicht auszustellen: «Schliesslich war ich voll beschäftigt in leitenden Funktionen, wie sieht das aus, wenn einer wie ich plötzlich ausstellt?»

Zuerst kamen kleinformatige Aquarelle, die Sujets Gemüse, Blumen, Landschaften. Danach malte er in Öl (was wegen des Geruchs die Nachbarn störte), dann in Acryl. «Alle Bilder aus dieser Zeit habe ich Ende der 70er-Jahre zerstört. Zu wenig gut.»

<p>«Caput Mortuum»: Rotbraun aus wertvollem Kremer Pigment.</p>

«Caput Mortuum»: Rotbraun aus wertvollem Kremer Pigment.

Kurt Reichenbach

Das passt zu seinem heissblütigen Temperament. Seine Kollegen erinnern sich, wie der Jurassier als Mittzwanziger für die Separatisten weibelte und dauernd warnte: «Il y aura des morts» – «es wird Tote geben.» Und wie er damals, wenn er provoziert wurde, fähig war, die Schreibmaschine durchs geschlossene Bürofenster zu werfen. Aber beruflich gehörte er von Anfang an zu den Besten. Und zu den Schnellsten, denn es wartete immer ein Zug auf ihn.

Er war einer der ganz wenigen Art Directors, die journalistisch denken und alle Texte erst gründlich lesen, bevor sie sie mit den Bildern in ein Gesamtkunstwerk verschmelzen lassen.

<p>Einen Teil seiner Farben reibt er selbst aus Pigmenten und Leinöl.</p>

Einen Teil seiner Farben reibt er selbst aus Pigmenten und Leinöl.

Kurt Reichenbach

Seiner Passion ging er in der Freizeit nach, besuchte Abendkurse für Druckgrafik, gründete 1978 mit seinem Freund, dem Fotografen Jacques Bélat, das Atelier de création visuelle in Pruntrut JU. 1980 organisierte er im Rahmen einer Ausstellung der berühmten Fotoagentur Magnum Fotoseminare in Saint-Ursanne. «Wir konnten damals in einer kleinen Galerie in St-Ursanne die Skulptur ‹L’Homme qui marche I› von Alberto Giacometti zeigen, als Ergänzung zu den Giacometti-Fotos von René Burri. Wir holten sie mit einem Lieferwagen in Zürich ab. Die Skulptur wurde später bei Sotheby’s für 104,32 Millionen Dollar verkauft. Verrückt!»

 

<p>«Les Embreux VI»: Öl auf Leinwand 180×180 cm. Die fotorealistischen Bilder erfordern mindestens sechs Monate Arbeit.</p>

«Les Embreux VI»: Öl auf Leinwand 180×180 cm. Die fotorealistischen Bilder erfordern mindestens sechs Monate Arbeit.

Kurt Reichenbach

Lesen, lernen, experimentieren

Mit 63 liess sich Schaffti frühpensionieren. Endlich konnte er ganz ins Reich der Farben eintauchen: «Ich habe sie mit Pigmenten selbst gerieben. Habe viel gelesen, Seminare besucht, experimentiert.» Seine Sujets findet er in der Natur, bei langen Spaziergängen, die er so liebt. Seine Frau, die Kulturjournalistin Isolde Schaffter-Wieland (70) ermutigte ihn, auch Grossformate in Angriff zu nehmen.

So entstanden Bilder von Waldböden, gemalt mit allen Details. Beim Spaziergang mit Isolde zum Étang des Embreux entdeckte Schaffti die «Farbsinfonie am Boden, Farben, wie ich sie noch nie gesehen hatte.» Er fotografierte, zeichnete zuerst Umrisse auf eine grosse Leinwand («man muss es gross machen, damit es wirkt»), dann erst folgte die Farbe. «Un Travail de Bénédictin», sagt man auf Französisch, mit der Geduld eines Mönchs trägt er so Strich für Strich auf die Leinwand.

<p>«Mondlandschaft» nach einer Serie von Nasa-Fotografien: Aquatinta, 66×49,3 cm.</p>

«Mondlandschaft» nach einer Serie von Nasa-Fotografien: Aquatinta, 66×49,3 cm.

Kurt Reichenbacher

Die Kunstsammler reissen ihm die Bilder vom Waldboden aus der Hand, allerdings müssen sie lange warten: Ein Grossformat in Öl braucht etwa sechs Monate Arbeit. In zwei Jahren entstehen so nur drei Stück. Und mehr als ein paar Stunden am Stück hält es Schaffti vor der Leinwand nicht aus: «Es ist harte Arbeit, ich komme mir oft vor wie ein Tüpflischiisser. Manchmal träume ich von grosszügigen Pinselstrichen.»

Schaffti hat lange gelernt, er kennt alle Kunstmuseen, verbrachte seine Freizeit in Galerien und Künstlerateliers, am liebsten beim Berner Eisenplastiker Bernhard Luginbühl und dessen Sohn Brutus, die enge Freunde geworden sind. «Bärni» hat ihm ermöglicht, ein erstes Mal in seiner Galerie in Burgdorf auszustellen.

Die Liebe zu Bildern teilt er mit Isolde. «Kunst ist für mich ein Lebensnerv. Das Schönste ist, mich mit andern darüber austauschen zu können», sagt sie. Man sieht es im modern eingerichteten Jurahaus, einem Bauernhof aus dem Jahr 1750, den sie liebevoll renoviert haben. Es hätte in jedem Wohnjournal einen Ehrenplatz verdient, Kunst überall, alles stilvoll. «Il a l’œil, er hat das Auge», sagen seine Freunde. Schaffter sieht mehr als andere und sieht es schneller. So war er der Erste, der 1989 das Foto eines angeblichen Massengrabs in Timisoara, Rumänien, als Fake entlarvt hat.

<p>Schaffti und seine Frau Isolde transportieren ein Bild vom zerwühlten Bett des Gästezimmers aus ihrem 275-jährigen Bauernhaus im Jura.</p>

Schaffti und seine Frau Isolde transportieren ein Bild vom zerwühlten Bett des Gästezimmers aus ihrem 275-jährigen Bauernhaus im Jura.

Kurt Reichenbach

Seine zweite Leidenschaft ist die Druckgrafik. Schaffti arbeitet in der Druckwerkstatt Lenzburg, wo er verschiedene Drucktechniken anwendet: Tiefdruck, Hochdruck, Lithografie und Siebdruck. Im Moment ist er an monumentalen Linolschnitten, für die es keine Druckmaschine gibt. Mithilfe des Meisterdruckers Urs Jost wird das Motiv mühsam von Hand auf spezielles Japanpapier gedruckt.

Weniger arbeiten? «Geht nicht»

Die ersten Bildserien waren Mondlandschaften nach Fotos der Nasa, dann folgten die schrillen Lichter von Bordellen im Mittelland. «Isolde fuhr das Auto, ich fotografierte.»

Schliesslich Gravuren vom Blick aufs Meer während der Transatlantikfahrt auf der «Queen Mary 2» von Southampton nach New York, auf den Spuren von Grosstante Elisa, die 1908 auf diesem Weg ausgewandert und als Privatköchin beim Bankier J. P. Morgan gelandet war. Die Serie wurde vom Museum Jenisch in Vevey gekauft.

Heute arbeitet er noch mehrere Tage im Monat für die Zeitschrift «Landliebe» und gestaltet zusammen mit Tochter Joanna (46) das Magazin «Interview by Ringier». Sie hat ein eigenes Grafikatelier in Genf und Paris.

<p>«Porträt von<br />Eisenplastiker Bernhard Luginbühl»: Mezzotinto-Gravur, 27,3×27 cm. Schaffti war ein guter Freund von Bärni.</p>

«Porträt von Eisenplastiker Bernhard Luginbühl»: Mezzotinto-Gravur, 27,3×27 cm. Schaffti war ein guter Freund von Bärni.

Jean-Robert Schaffter

Auch die jüngste Tochter Florence (29) ist Grafikerin. Die Söhne haben andere Karrieren eingeschlagen. François (45) Oberstleutnant, arbeitet bei der Armeeapotheke (Schaffti war Dienstverweigerer), Julien (34) ist Schulungsleiter.

Isolde hat Schaffti schon aufgefordert, ein bisschen weniger zu machen. «Dann bin ich tot», sagte er. Neben seinem grossen künstlerischen Talent zeichnen diesen Mann vier Qualitäten aus: Er ist sehr schnell, er sieht alles, er ist bescheiden, und er gibt nie auf.

Von Peter Rothenbühler vor 3 Stunden