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Einkaufen mit der Migros-Chefin Ursula Nold

«Jeder Stellenabbau geht mir nahe»

Sie steht an der Spitze des orangen ­Riesen – mitten im radikalsten Umbruch der 100-jährigen Firmen­geschichte. ­Ursula Nold, Präsidentin des Migros-Genossenschafts-Bunds, sagt, was von Gottlieb Duttweilers Erbe bleibt – und wo sie Grenzen zieht.

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Einst Primarlehrerin, heute eine der wich­tigs­ten Wirtschafts­führe­rin­nen der Schweiz. Seit 2019 ist die 56-Jährige ­Präsidentin der Migros-Verwaltung. «Madame Migros» hat vier er­wach­sene Kinder und lebt mit ihrem Ehemann ­Vincens Nold in Köniz BE.

Ursula Nold geht regelmässig selbst in der Migros einkaufen.

Nicolas Righetti

Mit dem Scanner in der Hand streift Ursula Nold (56) durch «ihre» Migros in Köniz BE wie jede Woche. Salatköpfe, Cottage-Cheese und Poulet wandern ins Einkaufswägeli. «Ich kaufe immer ohne Liste ein und lasse mich inspirieren», sagt die Präsidentin des Migros-Genossenschafts-Bunds nach dem Einkauf. «Oder was die Kinder in die Migros-App reinschreiben.» Sie zückt ihr Handy und sieht: Ihr Sohn hätte gern noch Auberginen. «Oje, das hat die Mama vergessen», sagt sie und lacht.

Ursula Nold, was ist Ihre erste Erinnerung an die Migros?

Ich war im Vorschulalter, bekam ein paar Batzen in die Hand gedrückt und durfte allein in die Migros-Filiale im Quartier einkaufen gehen. Heute kaum mehr vorstellbar! Ich erinnere mich auch noch gut an meine ersten Alpin-Ski von der Eigenmarke der Migros.

Ihre Mutter unterrichtete Französisch an der Klubschule. Hat das Ihre Sicht auf das Unternehmen geprägt?

Das Engagement der Migros für Bildung und Kultur war bei uns am Familientisch oft Thema. Dass Gründer Gottlieb Duttweiler so konsequent gesellschaftliche Verantwortung übernahm, hat mich beeindruckt.

Was hat Duttweiler bewirkt?

Er war ein Visionär und Gamechanger. Er hat vieles ausprobiert, aber auch wieder verworfen, wenn es nicht funktioniert hat. Eine Fahrschule oder ein Taxiunternehmen etwa. Mich fasziniert seine konsequente Kundenorientierung.

Wie zeigte sich diese?

Er stellte sich gegen das Gewerbe – und wandte sich direkt an die Frauen. Er wusste: Nach dem Krieg hatten viele wenig Geld. Also bot er Produkte des täglichen Bedarfs bis zu 40 Prozent günstiger an. Migros war der erste Laden, der Nylonstrümpfe, Nelken und Lebensmittel unter einem Dach verkaufte. So hat Duttweiler die Herzen der Frauen erobert. 1948 führte die Migros als erste Detailhändlerin in Europa Selbstbedienungsläden ein – viele lachten Duttweiler aus.

Ursula Nold kauft jede Woche in ihrer Migros ein – und kennt viele beim Namen, wie Sonja Brechbühl, die seit zwölf Jahren hier arbeitet.

Ursula Nold kauft jede Woche in ihrer Migros ein – und kennt viele beim Namen, wie Sonja Brechbühl, die seit zwölf Jahren hier arbeitet.

Nicolas Righetti

Nun wurden Tochterunternehmen wie SportX, Micasa und Melectronics verkauft. Ein Verrat an seinem Erbe?

Nein, eine Notwendigkeit, um Mittel freizusetzen im Sinne seines Erbes! Duttweiler startete mit fünf Verkaufswagen – und bot an, was die Menschen jeden Tag brauchten. Genau das bleibt unser Kerngeschäft: qualitativ hochwertige Produkte zu fairen Preisen. Von Geschäftsfeldern, die nicht mehr zu uns passen oder die wir nicht profitabel führen können, trennen wir uns.

Dazu zählt auch Hotelplan – ein Herzensprojekt Duttweilers.

Als Hotelplan vor 90 Jahren gegründet wurde, kamen Ferienreisen erst auf. Er wollte die Schweizer Hotellerie ankurbeln. Inzwischen ist das ein globales Business geworden.

Jetzt ist das Reiseunternehmen in deutschen Händen. Schmerzt Sie das?

Wir sind überzeugt, dass Dertour sowie Hometogo als grosse Anbieter den Mitarbeitenden, der Hotelplan-Gruppe und Interhome bessere Entwicklungs- und Erfolgschancen bieten können.

André Lüthi, Chef von Globetrotter, kritisiert diesen Verkauf.

Der Entscheid wurde von der Verwaltung und der Generaldirektion gefällt – nicht von externen Beratern, wie er sagt. Der Verkauf von allen Unternehmungen ist uns schwergefallen. Aber wenn wir uns auf unser Kerngeschäft fokussieren wollen, geht das nur so.

1500 Stellen werden gestrichen. Wie gehen Sie damit um?

Jeder Einzelfall ist hart und tut mir für jede betroffene Person sehr leid. Von den angekündigten 1500 sind wir derzeit bei rund 1300 – davon konnten bereits 800 intern weiterbeschäftigt werden. Da bei der Migros jedes Jahr rund 1800 Personen in Pension gehen und über 10'000 Stellen neu besetzt werden, bestehen da gute Chancen. Wir stellen deutlich mehr ein, als wir entlassen.

Haben Sie persönlich mit betroffenen Mitarbeitenden gesprochen?

Ja, ich war vor zwei Wochen in einer Filiale in Romanel VD. Jeder einzelne Fall geht mir nahe. Wir haben einen Sozialplan, der weit über das gesetzlich Vorgeschriebene hinaus geht. Mir ist wichtig, dass wir die betroffenen Mitarbeitenden bei der Stellensuche begleiten. Es tröstet sie nicht über den Verlust der Stelle hinweg, aber es zeigt: Wir gehen verantwortungsvoll mit den Menschen um.

Fels in der Brandung: Ursula Nold führt die Migros durch turbulente Zeiten. 

Fels in der Brandung: Ursula Nold führt die Migros durch turbulente Zeiten. 

Nicolas Righetti

Coop kann sich Fachmärkte wie Jumbo leisten, warum gelingt das der Migros mit Do it + Garden nicht?

Weil sich das Einkaufsverhalten verändert hat und wir in anderen Bereichen Zeichen setzen wollen. Der Umsatz verschiebt sich stark ins Internet – darauf reagieren wir. Mit Digitec Galaxus sind wir online sehr gut aufgestellt. Statt auf Fachmärkte setzen wir etwa mit Medbase auf den Bereich Gesundheit und medizinische Grundversorgung und in neue Filialen.

Migros will 1000 Produkte günstiger machen – in den grossen Läden gibts aber bis zu 40'000 Produkte. Ist das Symbolpolitik?

Nein, ich merke beim persönlichen Einkauf, dass die Preise zurückgegangen sind. Unsere Kundschaft schätzt das. Als wir Früchte und Gemüse vergünstigten, stieg das Verkaufsvolumen um sieben bis acht Prozent, besonders in Grenznähe verzeichnen wir ein starkes Wachstum. Unsere Tiefpreisstrategie zeigt auch gegen den Einkaufstourismus Wirkung.

Versucht die Migros so, mit Discountern wie Aldi und Lidl mitzuhalten?

Kundinnen und Kunden schauen mehr auf die Preise. Dem passen wir uns an und bleiben wettbewerbsfähig. Aber Migros bleibt Migros mit einem Vollsortiment. Das unterscheidet uns. Der Preis ist nicht alles. Niemand hat so viele beliebte Eigenmarken und so viele regionale Produkte.

Warum muss die Migros als Genossenschaft überhaupt Gewinn machen?

Weil wir nur aus dem Ertrag unser Engagement für die Gesellschaft – etwa in Bildung, Kultur oder Nachhaltigkeit – finanzieren können. Über fünf Milliarden Franken haben wir seit 1957 an die Gesellschaft zurückgegeben. Mit unseren Parks im Grünen schaffen wir Naherholungsgebiete. Mit der Klubschule und den Sprachkursen unterstützen wir die Integration. Wir sind eine Institution, weil wir uns wie kein anderes Unternehmen für die Menschen in diesem Land engagieren.

2024 sank die Zahl der Genossenschafterinnen und Genossenschafter um 40 000. Warum?

Der Cumulus-Anmeldeprozess wurde unglücklich geändert – neue Mitglieder wurden nicht mehr automatisch Genossenschafter. Seit Anfang Mai haben wir das korrigiert.

Wie spüren Sie die Auswirkung der Zölle von US-Präsident Donald Trump?

Wir exportierten zum Beispiel Käse oder Schokolade in die USA, auf welche die neuen Zölle geschlagen werden. Zudem haben die Turbulenzen Einfluss auf die Migros Bank – etwa bei den Zinsen.

Auf dem Gurten kann sie abschalten und auftanken. «Schon als Kind verbrachte ich viel Zeit hier.» Der Park im Grünen auf dem Berner Hausberg wird als Stiftung ­von der Migros ­betrieben.

Auf dem Gurten kann sie abschalten und auftanken. «Schon als Kind verbrachte ich viel Zeit hier.» Der Park im Grünen auf dem Berner Hausberg wird als Stiftung von der Migros betrieben.

Nicolas Righetti

Alle haben eine Meinung zur Migros. Wie gehen Sie damit um?

Gelegentlich ist das mühsam, aber meistens ganz wunderbar, weil es der beste Beweis ist, dass den Menschen die Migros wichtig ist. Sie freuen sich – und leiden mit. Darum ist die Migros eine der emotionalsten Marken in diesem Land.

Welche Rückmeldungen hören Sie oft?

Viele erzählen mir von den Migros-Bussen, die sie aus ihrer Kindheit kennen. Oder davon, wie freundlich die Mitarbeitenden sind und wie frisch das Angebot ist. Auch das gesellschaftliche Engagement wird sehr geschätzt.

Aber sicher nicht nur Positives, oder?

Nein, natürlich nicht. Ich werde bei fast jedem Anlass auf den aktuellen Umbau angesprochen. Aber solche Entscheide fällt man nicht leichtfertig, sondern gut überlegt und seriös abgeklärt.

Gefeiert wird trotzdem – Migros wird 100. Kommt überhaupt Festlaune auf?

Ja, und das ist auch wichtig! Wir wollen Merci sagen – unserer Kundschaft, den Partnern und vor allem unseren Mitarbeitenden, die mit ihrem Herzblut die Migros zu dem machen, was sie ist. Im Mai finden über 600 Filialfeste statt, jede Filiale gestaltet ihr eigenes Fest. Am 1. und 2. September feiern wir ein grosses Mitarbeitendenfest mit tollen Acts – aber auch mit Migros-internen Bands. Darauf freue ich mich persönlich am meisten.

Der «Blick» schrieb, weniger als die Hälfte der 78'000 geladenen Mitarbeitenden hätte sich angemeldet.

Es sind über 40 000 Anmeldungen. Viele arbeiten Teilzeit oder im Stundenlohn und haben noch andere Verpflichtungen – da ist es verständlich, dass nicht alle an einem Montag und Dienstag kommen können. Aber mit über 40'000 wird es ein grossartiges Fest!

Das ist ... Ursula Nold (56)

Einst Primarlehrerin, heute eine der wichtigsten Wirtschaftsführerinnen der Schweiz. Seit 2019 ist die Bernerin Präsidentin der Migros-Verwaltung. «Madame Migros» hat vier erwachsene Kinder und lebt mit ihrem Ehemann Vincens Nold in Köniz BE.

Gab es in diesem Jahr auch Momente, in denen Sie dachten: «Jetzt reichts!»?

Wir wussten, dass solche Entscheide viele Reaktionen auslösen, weil man sich das von der Migros nicht gewohnt ist. Aber ich bin sehr froh, dass wir in der kurzen Zeit geeignete Käufer für die betroffenen Einheiten finden konnten. Jetzt können wir uns auf die nächsten 100 Jahre vorbereiten.

Wie gehen Sie mit Kritik um?

Das gehört dazu, ich kann gut zuhören. Faire Kritik nehme ich ernst – und ziehe Lehren daraus.

Ein Beispiel?

Uns wurde mangelnde Kommunikation vorgeworfen. Darauf haben wir reagiert – und versuchen nun, unsere Entscheidungen verständlicher und transparenter zu erklären.

vor 23 Stunden