Kimmy Repond sitzt auf ihrem rosafarbenen Bett und zeigt stolz ihre Medaillen. In diesem Moment kommt ihre grosse Schwester Jérômie (23) hereingestürmt und ruft: «Du hast dich für die Elite-Weltmeisterschaft in Japan qualifiziert!» Die 16-Jährige stösst einen Jubelschrei aus und strahlt übers ganze Gesicht. Genau diese ehrliche und euphorische Freude der Baslerin begeisterte an der Europameisterschaft im finnischen Espoo weltweit die Zuschauer.
Es waren die letzten Sekunden ihrer Kür. Der Song der britischen Rockband Muse geht zu Ende, Kimmy Repond stellt sich in ihre Schlusspose. Dann bricht es aus ihr heraus. Die junge Eiskunstläuferin hat alle Dreifachsprünge gestanden, weiss, dass sie fehlerfrei gelaufen ist. Mit Tränen in den Augen schlägt sie die Hände vors Gesicht, jubelt – und verneigt sich vor dem tobenden Publikum. Als sie ihre Benotungen einige Minuten später auf dem Bildschirm sieht, schreit sie erneut auf, weint und lacht gleichzeitig. Repond gewinnt im Kurzprogramm Silber und Bronze und wird gesamthaft Dritte. «Ich konnte es nicht fassen. Es war mein Karriereziel, einmal eine Medaille bei einem internationalen Turnier zu gewinnen – dass es gleich beim ersten Wettkampf geklappt hat, ist wie im Traum!» Ihre grosse Schwester Jérômie, die gleichzeitig auch ihre Trainerin ist, sagt: «Ich wusste, dass sie eine kleine Chance hat, aber man soll den Druck nicht erhöhen. Es ist so viel schöner, wenn man überrascht wird.»
Die Nervosität bei Wettkämpfen ist bei der Familie gross. Einzig bei Kimmy überwiegt die Vorfreude. «Ich geniesse es sehr, vor Publikum zu laufen.» Kurz vor dem Start hört Kimmy amerikanischen Rap. «Künstler wie Eminem pushen mich in solchen Momenten», sagt sie. Ihre Diddlina-Plüschmaus, die Mutter Claudia (59) ihr schenkte, ist stets mit von der Partie. Bevor Kimmy aufs Eis geht, umarmt sie den Glücksbringer, danach kommt dieser bis zum Ende des Programms zur Schwester in die Obhut. Das Schlimmste an Wettkämpfen ist für Kimmy das Warten auf die Benotung. «Und das Fliegen!» Kimmy leidet unter grosser Flugangst. «Ich muss mich dann ablenken mit Rätsellösen.»
Doch weder das Fliegen noch ein angebrochener Fuss bringen Kimmy von ihrem Weg ab. Trotz dem Rat der Ärzte, im November nicht an der Qualifikation für die Europameisterschaften teilzunehmen, startet Repond. Denn: Ohne diese Quali hätte sie sich weder für die EM noch für die Junioren-WM im März in Kanada qualifizieren können. Für die junge Eisläuferin kam das nicht infrage, sie wird Dritte und kann an die EM. Kimmy Repond weiss ganz genau, was sie will. Jeden Morgen um fünf Uhr klingelt der Alarm ihres Handys. Sechs Tage die Woche trainiert sie vier Stunden täglich auf dem Eis, dreimal die Woche Fitness sowie Tanzen. «Ich bin sehr ehrgeizig und will das von Herzen.» Ob man Kimmy manchmal einen Ansporn geben muss? «Nie! Eher im Gegenteil – man muss sie bremsen!», sagt Mama Repond und lacht. «Wenn die Trainer ihrer Meinung nach zu lange reden, fährt sie Kreise um sie herum und hört mit einem Ohr zu, damit sie schon fahren kann», erzählt sie.
Die Reponds sind eng miteinander verbunden. Papa René: ist Unternehmensberater und kümmert sich ums Sponsoring. Mama Claudia – eine Juristin – ist zuständig für die Ernährung und beschreibt sich selbst als «das Taxi des Hauses». Die älteste Schwester, Sidonie (31) ist Kimmys Mentaltrainerin und unterstützt sie vor allem vor ihren Wettkämpfen. Jérômie – bis zu einem Vespa-Unfall mit 18 selbst als Eislaufprofi unterwegs – ist Kimmys Technik- trainerin und übernimmt die Kommunikation und die Organisation wie etwa das Buchen der Flüge. Im Wohnzimmer der Familie in Basel dreht Kimmy mit ihrer jüngsten Schwester Caline (9) Tiktok-Videos. Oder sie machen zusammen Dehnübungen. «Noch etwas mehr das Bein strecken, Caline», fordert Kimmy. Die jüngste Repond eifert ihrer Schwester nach und trainiert bereits für die Schweizer U12-Meisterschaft.
Seit dem Wochenende schmückt ein pinker Tulpenstrauss mit einer silbernen «3» Kimmys Pult. «Ein Geschenk von meinem Trainer.» Hier büffelt sie auch Physik für ihre Matur im Juni. Die anderen Fächer hat sie bereits mit Fünfern, Fünfeinhalbern und Sechsern abgeschlossen. Nach dem Gymi will sie sich voll und ganz auf den Sport konzentrieren. «Irgendwann möchte ich aber Medizin studieren.» Auch musikalisch ist Repond ein Talent: Bis zu ihrem zwölften Lebensjahr spielt sie Klavier. Dinge, die Teenager in diesem Alter machen wie feiern gehen interessieren Kimmy nicht. Dafür wurde sie schon in der Garderobe der Eishalle von ihren Mitstreiterinnen ausgelacht. «Das macht mir nichts aus. Ich verbringe lieber einen gemütlichen Abend zu Hause oder lade Freundinnen zu mir ein.»
Vernünftig geht Kimmy auch mit ihrem Preisgeld um – für EM- Bronze gibts rund 10'000 Franken. «Alle Einnahmen aus den Wettkämpfen lege ich auf mein Sparkonto.» Fürs Shoppen bleibt im Moment sowieso keine Zeit. Die Medien reissen sich um die 16-Jährige. «Es gibt sogar Anfragen aus China», sagt Vater René. Im März nimmt sie an der Junioren- WM in Kanada teil, danach gehts nach Japan. Das grosse Ziel ist Olympia 2026 in Italien. «Die Top Ten sind mein Ziel. Ich werde mein Bestes geben.» Wenn Kimmy weiterhin auf diesem Niveau fährt, wird der Platz für Medaillen an ihrer Wand langsam eng.