Eine Kuh, die riecht nach … «Kühe stinken nicht!», sagt Martina Schmid (32). Und doch hat jeder den Geruch eines Stalls in der Nase. Dieses beissende Ammoniakgas, das entsteht, wenn der Kot und der Urin der Tiere sich vermischen.
Im Stall von Stephan Renggli (41) in Werthenstein LU riecht es nicht. «Eben», sagt Martina Schmid, «ist ein Stall richtig gebaut, sollte er nicht stinken.» Es gibt noch mehr Besonderheiten hier auf diesem Hof, der sich an einen der Hügel zwischen Luzern und dem Entlebuch schmiegt. Die Kühe haben grosse Bäuche und kleine Euter. Sie sind trächtig und geben keine Milch. Stephan Renggli nimmt die «Kühe in Erwartung» von benachbarten Bauern bei sich auf – er betreibt also ein Schwangeren-Hotel. «In dieser Phase braucht eine Kuh anderes Futter», sagt er. «Für die Bauern ist es einfacher, wenn ich mich in der Zeit um sie kümmere.» Positiver Nebeneffekt für Renggli: Er muss nie in aller Herrgottsfrühe aufstehen, um zu melken.

Stimmen die Abstände? Martina Schmid misst, ob die Kühe genügend Bewegungsspielraum haben.
Joseph KhakshouriDie zweite Besonderheit betrifft den Stall selbst. «Ich wollte nie Bauer werden, und meine Frau wollte keinen Bauern», erzählt Stephan Renggli lachend. Doch mit dem Konzept eines Schwangeren-Hotels konnte sich das Paar anfreunden. Und so waren im Herbst 2023 die Baupläne rasch gemacht. Renggli wollte sie schon einreichen – der geplante Stall war in vielem ähnlich wie der bestehende seines Vaters. Bevor es losging, suchte er aber noch eine Zweitmeinung. Martina Schmid kam dann an jenem Abend dazu, und gemeinsam entwarfen sie ein komplett neues Design.
«Sechs Dinge braucht eine Kuh, um sich im Stall wohlzufühlen», sagt Martina Schmid. «Licht, Luft, Futter, Wasser, Raum und Ruhe. Also alles, was sie auf der Weide hat.» Der neue Stall ist gegen Süden offen. Die Kühe wechseln zwischen Wiese und Stall hin und her, wie es ihnen passt. Heute Morgen ist das Gatter ausnahmsweise geschlossen. «Deshalb schauen sie uns so verwirrt an», sagt Martina Schmid lachend. «Sie sind Gewohnheitstiere und fragen sich, warum sie noch nicht rauskonnten.»

Neugierig: «Kühe teilen uns mit, wie es Ihnen geht», sagt Martina Schmid.
Joseph KhakshouriDie Frage ist auch, warum Martina Schmid so viel über Kühe weiss. Die Zugerin wuchs auf einem Bauernhof mit 45 Milchkühen auf. «Auch mein Vater hat im Stall viel getüftelt», sagt sie. Erst machte sie eine Lehre zur Fachfrau Gesundheit, kümmerte sich also um Menschenbedürfnisse, dann die landwirtschaftliche Ausbildung. Später schloss sie ein Agronomie-Studium an. «Dabei sah ich oft vor lauter Zahlen das Tier nicht mehr, für das ich mich interessiere.» Eine Kuhflüsterin sei sie nicht, stellt Schmid klar. «Aber Kühe sind wie Katze oder Hund Emotionstiere, die viel mitteilen.»
Bitte keinen Durchzug
Das inoffizielle Schweizer Nationaltier wirkt vielleicht etwas behäbig, doch hinter der massigen Erscheinung steckt laut Martina Schmid ein sehr sensibles Wesen. «Kühe sind wie Kinder. Sie sind empfindlich, fühlen sich schnell unwohl, können aber selbst nicht sagen, was ihnen nicht passt.»
Erstes Beispiel: Zugluft mögen Kühe nicht. «Auf der Weide stehen sie mit der Nase zur Luft, damit ihre Gebärmutter geschützt im Windschatten liegt», sagt Schmid. Auch starke Temperaturwechsel vertragen sie schlecht. «Ihre Verdauung gibt den Kühen von innen warm, deshalb haben sie schnell zu heiss», sagt Martina Schmid. Zweites Beispiel: Entdeckt sie kahle Stellen an den Knien der Tiere, weiss sie, dass der Liegebereich nicht genügend mit Stroh gepolstert ist. Drittes Beispiel: «Stehen Kühe im Laufhof lange herum, dann erfüllt der Stall wohl nicht alle ihre Bedürfnisse. Kühe, die sich wohlfühlen, liegen oft und gern.»

Der Wassertrog liegt extra ausserhalb des Stalls von Stephan Renggli, damit sich die Kühe nicht an den Ecken und Kanten stossen.
Joseph KhakshouriIhr Wissen hat sich Martina Schmid unter anderem beim holländischen Tierarzt Jan Hulsen angeeignet. Was sie bei ihrem Studium der Kühe jedoch nicht antizipierte: Wie oft sie in die Psychologie der Menschen eintauchen würde. «Ich zeige den Bauern, was eine Kuh braucht. Aber ich muss im Bereich des Machbaren bleiben. Denn geht es dem Menschen nicht gut, sei es mental oder finanziell, dann kann er auch für seine Kühe nichts ändern.»
Für Stephan Renggli ging die Rechnung auf. Zwar investierte er durch den Neubau 300'000 Franken, doch nun habe er mit den zehn bis sechzehn Kühen weniger Aufwand, als wenn er sie in einem herkömmlichen Stand hielte. Das tiefe Dach schützt seine Kühe im Sommer vor der Hitze, und eine Heizung brauchen sie selbst im Winter nicht. Der Grund- riss des Stalls ist simpel, ohne Sackgassen oder scharfe Ecken, welche laut Martina Schmid jeder Kuh ein Graus sind. «Die Zusammensetzung der Herde ändert sich ja immer wieder», sagt Renggli. «Aber wenn die Grundbedürfnisse der Tiere alle erfüllt sind, dann gibt es fast keinen Streit zwischen ihnen.»
Martina Schmid ist als Kuhsignal-Trainerin auf Höfen in der Schweiz und in Deutschland unterwegs. Der wirtschaftliche Druck sei gross, sagt sie. Aber sie merke auch, dass die meisten Bauern ihre Kühe sehr gern haben. Die nächsten Termine hat sie schon im Kalender, denn sie ist überzeugt: «Schon mit kleinen Veränderungen kann man den Kühen – und den Menschen – so viel Gutes tun.»

