Selina Büchel ist zwar Mittelstreckenläuferin, aber diese letzte Woche, das war eher ein Sprint über Wolke 7: Am Dienstag läuft sie im letzten Rennen der Saison so schnell wie seit fünf Jahren nicht mehr, am Mittwoch heiratet sie zivil, und drei Tage später folgt die kirchliche Trauung und das Fest. «Es war einfach eine Phase zum Geniessen», schwärmt Büchel, 29, die zweifache Hallen-Europameisterin über 800 Meter.
In der Kapelle Maria Dreibrunnen in Bronschhofen SG gibt sie ihrem langjährigen Freund Silvan Rutz, 29, das Jawort; die beiden haben sich in der Berufsmaturitätsschule kennen gelernt und sind seit acht Jahren ein Paar. Einen Moment ihres Hochzeitstages hervorheben möchte sie nicht, aber: «Wegen Covid musste man ja vieles absagen. Doch als ich in der Kirche in die Gesichter meiner liebsten Menschen geschaut habe, war ich einfach sehr dankbar und habe es genossen, dass wir diesen schönen Tag feiern dürfen.»
Dafür verzichten sie auf den grossen Apéro mit noch mehr Freunden. Und verbringen den Tag mit ihrer 80-köpfigen Hochzeitsgesellschaft zuerst bei der Kapelle, an der Büchel in ihrem Training immer wieder vorbeiläuft. Zum Festessen – es gibt ein Viergangmenü mit Kürbissuppe, Salat, Kalbsschnitzel und einem Dessertbuffet inklusive Hochzeitstorte – dann gehts ins «Rössli» in Tufertschwil. Hier steigt auch das Fest mit Spielen, ihrem Hochzeitstanz zu Ed Sheeran und einem DJ, der die Party lanciert.
Es war nie Büchels Kindheitstraum, klassisch zu heiraten, doch dass sie nun doch einige Traditionen umgesetzt haben – so führte ihr Vater sie etwa zum Altar –, finden sie schön. Und weshalb ist Silvan nun genau der richtige Mann für sie? «Ich fühle mich einfach mega wohl mit ihm. Er ist humorvoll und lustig. Gleichzeitig spüre ich immer die gegenseitige Unterstützung, wir können zusammen jede Situation meistern und geben uns so auch sehr viel Kraft.»
Nicht alles lief in letzter Zeit rosig bei der Toggenburgerin. Genauer möchte sie nicht auf die persönlichen Probleme eingehen, die sie beschäftigten. Aber: «Ich habe gemerkt, dass ich dieses Jahr wieder zu mir selber gefunden habe und mit mir im Reinen bin.» Als Athletin laufe man manchmal Gefahr, sich zu sehr über den Sport zu identifizieren. Davon habe sie sich lösen können. «Ich weiss jetzt, dass es nichts mit meiner Persönlichkeit zu tun hat, ob ich Erfolg habe oder nicht. Das befreit.»
Mit dieser neuen Lockerheit und Ausgeglichenheit hat sie die spezielle Saison ohne Grossanlässe brillant gemeistert und mit 1:58,37 ihre zweitbeste Zeit überhaupt abgeliefert. Ein Befreiungsschlag, der sie auch zur weltweiten Nummer 2 des Jahres macht. «Für mich war das schon etwas extrem Grosses, wieder so schnell laufen zu können.»
Mit viel Zuversicht startet sie im Herbst nun in die Vorbereitung zur Olympiasaison, wo sie unter dem Namen Rutz-Büchel antritt. Über die Spiele in Tokio hinaus hat sie sich sportlich noch keine Gedanken gemacht. Dafür weiss sie privat, was kommt: Das frisch verheiratete Paar hat Bauland in Bazenheid SG gekauft. Dort plant es gemeinsam mit Silvans Bruder ein Holz-Doppelhaus. Da Selinas Mann praktischerweise Bauleiter ist, haben die Brüder beim Projekt den Lead, «doch die Planung macht auch mir viel Freude. Und als Profisportlerin habe ich ja schon auch Zeit dafür.» Pressieren tuts mit dem Projekt aber nicht, sie fühlen sich in Wil nach wie vor wohl. Denn egal wo: «Das Leben ist mit Silvan zusammen einfach schöner.»