Worte habe sie noch immer keine. Dafür, was im Januar in St. Anton (Ö) passiert ist. Als die Podestplätze längst vergeben scheinen, fegt sie über die Piste: Malorie Blanc, zarte 21 Jahre alt. Im Skizirkus ist sie zwar keine Unbekannte mehr: amtierende Junioren-Weltmeisterin im Super-G und der Team-Kombination, Vize-Champion in der Abfahrt. Auf dem Schirm also konnte man sie haben, aber auf der Rechnung? Hatte sie sich nicht mal selbst. «Es fühlt sich noch immer surreal an», sagt sie ein halbes Jahr nach ihrem Coup.
Blanc rast bei ihrer allerersten Weltcupabfahrt auf Platz 2 – mit Startnummer 46! Von dem, was folgt, hat die Walliserin nicht einmal zu träumen gewagt: Weltcuppunkte, WM-Teilnahme, Weltcupfinal. Nach der Saison holt sie den Nachwuchspreis der Schweizer Sporthilfe und den Rookie-Award von Swiss-Ski.
Gemeinsam durchs Leben: Mit ihrer Familie, hier Mama Mariève, pflegt Malorie ein enges Verhältnis. «Sie ist immer für mich da.»
Nicolas RighettiDer Plan lautete eigentlich, sich langsam auf höchster Stufe zu etablieren. Langsam und Malorie Blanc? Das passt einfach nicht zusammen. «Ich liebe Geschwindigkeit!» Das Adrenalin spüren, dem Instinkt folgen – ein Gefühl, dem sie nicht nur auf Ski nachjagt, sondern auch auf ihrer Yamaha 07. Die Leidenschaft fürs Töfffahren verbindet die ganze Familie Blanc: Mit ihrer Mutter absolvierte Malorie die Prüfung. Der jüngeren Schwester Noémie steht diese erst bevor, während der ältere Bruder Antonin und Papa Alexandre längst eigene Maschinen haben. «Es ist wunderschön, den Spass zu teilen», sagt Malorie. «Für mich ist es pure Freiheit.»
So rasant sie es auf Piste und Strasse mag, so sehr schätzt Blanc die Ruhe daheim. Unweit des Elternhauses in Ayent VS befindet sich der Lac de Tseuzier. Für die Sportlerin ein Kraftort. «Die Umgebung sieht aus wie ein Gemälde», schwärmt sie, während ihr Blick über den See schweift. An freien Tagen kommt sie oft her – zum Spazieren mit Mama Mariève oder auf eine Runde mit Schäferhund Bayou. «Ich habe so viele Erinnerungen an diesen Ort. Das ist meine Heimat. Hier kann ich einfach Malo sein.»
Schwer behangen: An den Junioren-Weltmeisterschaften in Châtel holte Blanc zweimal Gold und einmal Silber.
Nicolas RighettiEinst stand ihre Karriere wegen dieser Verwurzelung sogar auf der Kippe. «Ich hatte in den Trainingslagern so starkes Heimweh, dass ich daran dachte, mit dem Skifahren aufzuhören.» Geblieben ist sie nur, weil die Eltern keine Zeit hatten, sie abzuholen. Heute hat sie mit dem Reisen keine Mühe mehr. Dass sie die Matura an der Sportschule Brig machte und dafür unter der Woche ebenda im Internat wohnte, half dabei. «Aber nach langen Reisen bin ich noch immer froh, nach Hause zurückzukehren.»
Die Blancs mögen es tierisch: Neben dem sechsjährigen Schäfer Bayou leben auch zwei Hühner mit ihnen auf dem Grundstück.
Nicolas RighettiSchwer fällt ihr deshalb die Entscheidung, wo sie künftig leben will. Mit Freund Léo Monnier (24) plant sie die erste eigene Wohnung. «Wir möchten selbstständig sein», verrät sie. Wo, wissen die Walliserin und der Genfer Slalomfahrer allerdings noch nicht. «Wir lassen es auf uns zukommen.» Schritt für Schritt zu nehmen, hat bei ihnen schon einmal funktioniert: 2023 kamen sie an einer Party während der Schweizer Meisterschaften in Verbier erstmals miteinander ins Gespräch. Sie verstanden sich auf Anhieb, trafen sich bald wieder. Die Liebesgeschichte? Blanc lacht. «Völlig unspektakulär!» Und damit ganz nach ihrem Gusto: «Ich mag es, wenn etwas einfach ist.»
Rückkehr nach Rückschlag
An Fragen muss sich Malorie Blanc nach dem Wunderwinter wohl gewöhnen. Vor allem im Hinblick auf die kommende Saison. Dabei hat sich für sie gar nicht viel geändert. «Ich versuche weiterhin, einfach das zu zeigen, was ich kann.» Wie schnell alles anders sein kann, weiss sie nur zu gut: Kurz nach ihren Erfolgen an der Junioren-WM riss sie sich im Februar 2024 Kreuzband und Meniskus. Der steile Aufstieg wurde jäh gestoppt – ein Schock. «Ich hatte immer gedacht, das passiere anderen, aber nicht mir.»
Ein Stück Heimat: Den Tomme aus Ayent liebt nicht nur Blanc. «Manchen Trainern muss ich jeweils ein Stück mitbringen», verrät sie lachend.
Nicolas RighettiDie Zwangspause entpuppte sich als Chance innezuhalten, nachdem zuvor «alles so schnell gegangen» war. Blanc nutzte die Zeit für andere Hobbys, Zeichnen oder Kochen etwa. Bis heute steht sie mit ihrer Mama gern am Herd, bereitet Filet Wellington oder Gyoza zu. Musik läuft dabei immer dieselbe, verrät Mariève, und zwar Jazz. Lachend ergänzt Malorie: «Weil der immer in guten Hotels gespielt wird, fühlen wir uns wie in einer Sterneküche!»
Das richtige Rezept hat Blanc auch auf der Piste wiedergefunden. Die Reha verlief komplikationslos; kaum zehn Monate nach dem Unfall fährt die Walliserin wieder Rennen – und wie.
An die Erfolge will sie im kommenden Winter anknüpfen. Vorderhand fokussiert sie darauf, «so oft wie möglich in die Punkte zu fahren». Dann scheint der grosse Traum greifbar: die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Cortina (I). Darauf versteifen will Blanc sich nicht. «Wenn nicht 2026, klappts beim nächsten Mal», sagt sie. «Aber ich probiere alles, um im Februar bereit zu sein.»