Marco Odermatt starrt auf sein Handy. «Marc Rochat fährt gerade, ich komme gleich», sagt er und ist für einen Moment ganz Skifan, der mit seinem Schweizer Slalom-Kollegen mitfiebert. Er steht auf einem Felsen mitten in der rauen Bergwelt der Pyrenäen wie der Fürst von Andorra. Sicher ist: Er ist der König der Skiwelt, wird später am Tag als bester Fahrer der Saison ausgezeichnet. Rekord um Rekord hat der 25-Jährige diesen Winter gebrochen oder egalisiert. «Die Zahlen zu sehen, ist schon etwas verrückt», sagt der Nidwaldner selber.
Sein Unterbewusstsein wollte den Rekord
Dabei hätte er eine der Bestmarken beinahe sausen lassen: die 23 Jahre alte von Hermann Maier für die meisten Punkte in einer Saison bei den Männern. Nachdem Odermatt am Donnerstag die Jahreswertung für den Super-G gewonnen hat, gibt er abends an der legendären Fahrerparty der Finalwoche Vollgas. Er wolle diesen Erfolg jetzt geniessen, statt sich ausschliesslich der Vorbereitung auf den finalen Riesenslalom zu widmen. Zwei Tage später nimmt er bei diesem der Konkurrenz trotzdem zwei Sekunden und mehr ab. Sein Unterbewusstsein habe den Rekord wohl doch unbedingt gewollt. «Ich war nervöser als sonst und habe mehr riskiert.»
Auch dieser 13. Triumph der Saison ist Rekord – Odermatt teilt ihn mit Maier, Ingemar Stenmark und Marcel Hirscher. Bei den Frauen gewannen Mikaela Shiffrin (19) und Vreni Schneider (14) noch häufiger. Und auch bei der absoluten Punktzahl liegt eine Frau vorne: Tina Maze hat in ihrer Traumsaison vor zehn Jahren 2414 geholt, Odermatt nun 2042. «Solche Zahlen sind unvorstellbar, wenn du Kind bist», sagt Odermatt, darauf angesprochen, ob er sich noch an jene Saison erinnere. «Und zu denken, dass ich dafür nochmals 400 Punkte mehr hätte gewinnen müssen …»
«Es schaut bei ihm so einfach aus»
Er sitzt zwei Tage nach Andorra mit Maze in der Stöckli-Manufaktur in Malters LU, denn auch die Slowenin hatte damals auf dem Schweizer Ski brilliert. «Mit dem Slalom zusätzlich geht das schon», witzelt die längst zurückgetretene Allrounderin. Und schwärmt vom jungen Schweizer: «Bei ihm schaut es so einfach aus. Aber dahinzukommen, ist es keineswegs.»
Diese zumindest optische Leichtigkeit ist auch der Grund, weshalb Odermatt bei all dem beeindruckenden Zahlensalat auch obenaus schwingt, wenn es um menschliche Faktoren geht. «Was Marco einzigartig macht: Er ist ein Botschafter über den Sport hinaus», sagt Diego Züger, 37, Marketingchef bei Swiss-Ski und selber Ex-Profi. «Wie er Erfolg an Erfolg reiht und dennoch alle Verpflichtungen wahrnimmt, fast jedes Autogramm gibt und dann noch Zeit hat, ein Bier zu trinken, wenn er Erfolg hat – das hats in den letzten Jahren so nie gegeben.» Selbst in den USA kennen die Leute neben Shiffrin vor allem Odermatt. Und ein Selfie mit ihm ist nicht nur bei Kindern begehrt, son-dern diese Saison ebenso bei Leuten, die im Weltcup arbeiten – und bei den Fahrerinnen. Zu Fuss rechtzeitig zu Terminen wie Startnummernauslosungen zu kommen, wird immer schwieriger, und die Kommunikationsverantwortliche Zoé Chastan hätte «problemlos genug zu tun», wenn sie sich nur um ihn anstatt ums ganze Männerteam kümmern würde. «Die Zusammenarbeit ist aber einfach: Wir erstellen einen Plan, und dann macht er es genau so. Er hat Geduld und nimmt sich Zeit. Das finde ich schön.»
Wie Swiss-Ski direkt von Odermatt profitiert, ist in Zahlen schwierig zu sagen. Doch es gibt Indikatoren: Die TV-Einschaltquoten sind gut, die Zahl der Follower auf Social Media des Verbands steigt ebenso wie die der Rennfahrer auf JO-Stufe, also bei den Jugendlichen. «Und in Gesprächen mit Partnern und Sponsoren einen Odermatt in den Reihen zu haben, ist ein unglaubliches Glück und Privileg», sagt Diego Züger.
Finanziell in neuen Sphären
Auch Stöckli hat im vergangenen Jahr 15 Prozent mehr Ski verkauft. CEO Marc Gläser schätzt, dass etwa ein Drittel davon auf den «Odi-Effekt» zurückzuführen ist. Und schliesslich schlägt für den Buochser selbst der Erfolg aufs Konto: An Brutto-Preisgeld hat er diesen Winter 941 200 Franken verdient. Man ahnt es – noch ein Rekord im Männer-Skisport! Doch so sehr 22 Podestplätze einschenken: Haupteinnahmequellen sind die Verträge mit seinen rund 20 Partnern sowie den Ausrüstern. Die «Handelszeitung» schätzt diese Summe pro Jahr auf drei Millionen Franken, wohl gegen ein Drittel davon von Helmsponsor Red Bull. Das alles macht ihn zum bestbezahlten Schweizer Skifahrer der Geschichte.
Vergleiche mit anderen Rekordnamen mag Odermatt nicht so. Seriensieger wie Hirscher oder Maier waren dafür bekannt, sich mit Verbissenheit zu ihren Rekorden zu kämpfen. «Wir sind alles verschiedene Menschen und Charaktere», sagt Odermatt, das sei auch gut so. «Aber es ist doch schön, dass ich einen anderen Weg gehen kann.»