Es gibt viele Ansätze, den Erfolg einer sportlichen Saison zu messen. Beim fünften Schweizer Gesamtweltcup-Sieger aber beeindruckt eine Zahl besonders: Vor Odermatt gab es nur eine aus der Schweiz, die in einer Saison gleich viele Male oder öfter auf einem Weltcup-Podest stand, nämlich 16-mal – Erika Hess 1982 (17-mal). Nach einem Winter voller Superlative, den der 24-jährige Buochser auch noch mit dem Olympiasieg krönte, ist eigentlich alles gesagt. Oder? Wir lassen fünf Menschen aus seinem engen Umfeld zu Wort kommen – und entlassen Odermatt damit in den Frühling.
Paul Odermatt, 52, Götti
«Marco liebte schon als Kind das Tempo», erzählt sein Götti und Onkel Paul Odermatt. Etwa als der Bub zwischen seinen Knien durch einen Riesenslalom kurven darf. «Er schaute schon damals zu den Älteren auf, wollte so schnell sein wie sie.» Paul war wie sein Bruder, Marcos Vater Walter, im Skiclub Hergiswil aktiv. Oft traf sich die ganze Familie auf der Piste. «Die Natur war immer sein Element», sagt der Götti. Für Marco und seine Schwester Alina gabs das Dorf-Grosi in Buochs und das Berg-Grosi in Hergiswil, und dort verbrachten sie jeweils den ganzen Tag draussen.
Heute ist Paul Odermatt nicht mehr nur der Onkel eines Skitalents, sondern Präsident des Fanklubs mit fast 1600 Mitgliedern. Im Januar waren 600 davon beim Triumph in Adelboden dabei. Und mittlerweile macht den Götti vor allem eines glücklich: «Man spürt, dass er sich in diesem Skizirkus – und es ist ja wirklich ein Zirkus – wohlfühlt. Es ist sein Leben, sein Daheim!»
Chris Lödler, 46, Servicemann
Odermatt ist noch ein Teenager, als ihm Chris Lödler von Stöckli als Servicemann zur Seite gestellt wird. Der ruhige Österreicher und das Ski-Supertalent lernen sich kennen und schätzen, während sie viele Stunden zusammen im Auto an die Rennen unterwegs sind und im Training intensiv über die Ski diskutieren. «Marco sagt, was er spürt, und denkt, was man verbessern könnte, ich setze es um.» Passe etwas mal nicht, besprächen sie das offen. «Laut wird es nicht.»
Lödler ist neben dem Physiotherapeuten der Letzte, der mit Odermatt am Start ist. «Wir schauen, dass er eine gute Spannung kriegt oder frisch und konzentriert ist.» Mittlerweile haben der Servicemann und der Spitzenathlet sechs Winter zusammen verbracht, ein besonders erfolgreicher liegt hinter -hnen. Erreiche Odermatt ein Ziel, das ihm besonders wichtig ist, «wirds richtig emotional». Dieses Jahr zum Beispiel der Sieg in Adelboden. Odermatts Bodenständigkeit und Dankbarkeit mag Lödler besonders. «Es gibt jedes Mal ein Danke von ihm. Das ist eine schöne Anerkennung für mich, das ist das Wichtigste.
Nayan Erni, 24, Freund
Treffen sich Marco und Nayan, ist der Skisport kein Thema – obwohl sie sich beim Skifahren kennengelernt und in der Sportschule in Engelberg zwei Jahre lang das Zimmer geteilt haben. «Kommt Marco ein, zwei Tage heim, unternehmen wir etwas, damit er abschalten kann.» Seit der Teenagerzeit pflegen sie eine enge Freundschaft, reden über alles, gehen im Sommer wandern oder mit Nayans Boot wakesurfen, im Winter auf Skitouren. «Er kann gut zuhören und Ratschläge geben.»
Marco habe früher schon immer Sprüche auf Lager gehabt, sei witzig und impulsiv gewesen. Aber bereits damals auch effizient, strukturiert und konsequent: «Wenn er etwas lernen will, dann tut er es richtig, will es -verstehen. Halbbatziges gibts bei ihm nicht.» Kam er ins WG-Zimmer zurück, stellte er alles sofort an seinen Platz – im Gegensatz zu Nayan, der auch einfach mal die Tasche in die Ecke schmiss. Bald sind die beiden wieder zusammen unterwegs – im April gehen sie in die Ferien. Sie wollen an die Wärme.
Helmut Krug, 58, Trainer
«Heli» hat in seiner Trainerkarriere schon viel erlebt. «Eine solche Saison aber noch nicht, das muss ich zugeben», sagt der Tiroler kopfschüttelnd zur beinahe perfekten Riesenslalom-Bilanz von Odermatt. Acht Rennen, fünfmal Erster, zweimal Zweiter, einmal Dritter. Plus Olympiasieger. «Beeindruckend ohne Ende», sagt Krug, der trotzdem noch kein Limit sieht. Wie war Odermatt nach dem Olympiasieg, bei dem er unter grösstem Druck gewonnen hat? «Ein ganz normaler Junge, das ist das Schöne.» Der Trainer hebt die Bedeutung des ganzen Teams hervor, das sich gegenseitig antreibt, unterstützt, weiterbringt. Alle sind top fokussiert und kämpferisch, ohne dabei den Spass an der Sache zu vergessen. Odermatt möchte immer mehr lernen, ständig weiterkommen.
Andere Athleten seien auch mal mit einem zweiten oder dritten Platz zufrieden, «aber Marco hat da eine ganz andere Einstellung». Und was gibt ihm der Trainer nach einer solch fantastischen Saison mit auf den Weg? «Abschalten, runterkommen, ein junger Bursche sein, das Leben geniessen und dann weiterarbeiten.»
Michi Schiendorfer, 54, Manager
Schon die erste Begegnung mit Marco beeindruckt Schiendorfer. Er sitzt am Küchentisch der Familie, um sich für den Managerjob zu bewerben, und der 18-jährige Marco stellt ganz klare Fragen, «er kam mir vor wie ein 30-Jähriger». Marco ist vorbereitet und erwartet das von seinem Gegenüber auch, will wissen, wie dies und jenes läuft. Hat man sein Vertrauen einmal gewonnen, dann hält es. Bei den Verhandlungen mit seinem heutigen Hauptsponsor Red Bull war er kein einziges Mal dabei – er hatte die Vertreter aber bereits vorher bei einem zufälligen Treffen im Restaurant beeindruckt. «Odi» dürfte heute bei den Männern der bestverdienende Skifahrer sein.
Eben gerade musste Schiendorfer -einen Praktikanten für die Bearbeitung der Fanpost einstellen; besonders bei Kin-dern und Senioren kommt Odermatt gut an. Siegt er, treffen bei Schiendorfer 400 Anfragen ein, wird er Zweiter, sinds 40.