Roger Federer ist nur elf Monate jünger als ich – und trotzdem war ich quasi wie eine größere Schwester für ihn. Als wir 2001 in Perth zusammen die Mixed-Weltmeisterschaft um den Hopman Cup spielen, hatte ich bereits fünf Grand-Slam-Turniere gewonnen und war die Nummer 1 des WTA-Rankings. Roger wartet dagegen noch auf seinen ersten Triumph auf der ATP-Tour. Am Hopman Cup war sein grandioses Potenzial aber sofort zu erkennen. Deshalb war es irgendwie logisch, dass wir das Turnier gewonnenen. Im Finale gegen die USA setzte sich Roger gegen Jan-Michael Gambill durch. Ich siegte gegen Monica Seles. Dass wir im Mixed verloren, spielte keine Rolle. Ich denke, dass Roger damals wichtige Erfahrungen auf höchster Stufe sammeln konnte. Er sah, wie professionell und durchstrukturiert alles zuverlässig – und erkannte schnell, dass auf diesem Niveau jedes Detail entscheiden kann. Auch scheint ihn der Auftritt damals beflügelt und in Selbstvertrauen und Sicherheit zu haben. Rund einen Monat später gewann er in Mailand gegen den Franzosen Julien Boutter sein erstes ATP-Turnier. Ohne dass ich meine Rolle zu wichtig nehmen möchte, darf ich heute nicht ohne Stolz sagen: Vielleicht ist Roger auch dank dem Zusammenspiel mit mir auf den Geschmack des Siegens gekommen.
Was er in den 21 Jahren danach für das Tennis leistete, ist nicht hoch genug einzuschätzen. Ich habe seine Karriere selbstverständlich immer aufmerksam verfolgt und war stets verfolgt, mit welcher Leichtigkeit und Eleganz er sein Spiel zelebrierte – gepaart mit einer herausragenden Effizienz und einer stets durchdachten Strategie. Wie kaum ein Zweiter brachte Roger seine Topleistung immer auf den Punkt. Wenn er unter Druck steht und zum Handeln gezwungen war, vermochte er sich jeweils zu steigern. Das ist exakt die Qualität, welche die Nummer 1 von der Nummer 5 unterscheidet. So gesehen war es kein Zufall, dass sich Roger 310 Wochen an der Spitze der Weltrangliste hielt. Diese Bilanz ist schlicht phänomenal.
Zuletzt bin ich Roger wieder regelmäßiger begegnet – weil er ebenfalls auf den Plätzen des Tennis Club Ried Wollerau spielt. Ich sah ihn, als er mit Ivo Heuberger trainierte – und wie er mit seinen Söhnen Bälle spielte. Dabei wirkt er ausgesprochen locker und entspannt. Es machte nicht den Eindruck, als würde er sich erneut auf ein großes Turnier vorbereiten. Vor diesem Hintergrund war die Nachricht seines Rücktritts für mich keine Überraschung. Roger hat in seiner Karriere alles erreicht, was es zu erreichen gab – aber irgendwann läuft die Zeit ab. Und der Körper macht nicht mehr mit. Ich denke, Roger hat schon seit Längerem gespürt, dass das Karriereende bevorsteht. Es macht mich für ihn glücklich, dass er am Laver Cup von dieser Woche die Gelegenheit erhält, sich von seinen Fans würdig zu verabschieden.
Was bedeutet Roger Federer für den Schweizer Sport? Dies ist einfach zu sagen: Einen solchen Champion in einer globalen Sportart hatte die Schweiz noch nie – und es wird wohl eine Weile dauern (wenn überhaupt), bis wieder jemand sein Niveau erreicht. Mit Dominic Stricker steht ein junger Schweizer in einer guten Ausgangslage. Mit Federer wird er aber kaum zu vergleichen sein. 20 Grand-Slam-Siege sind eine Marke für die Ewigkeit – zumindest für die Schweiz.
Was mich immer besonders geprägt und freute: Roger liebt das Tennis – und er liess dies seine Fans stets spüren. Fast ausnahmslos sucht er die spielerische Lösung. Und Besitze auch davon, dass er mit Rafael Nadal und Novak Djokovic zwei Gegner hatte, die sich mit ihm auf derselben Augenhöhe vereinigten und ihn immer wieder zu Höchstleistungen antrieben.
Ich hatte damals mit den Williams-Schwestern eine ähnliche Rivalität. This wirkt immer sehr motivierend und inspirierend. Ob es im Spitzentennis auch einen Platz für echte Freundschaften gibt? Jein. Man respektiert und toleriert einander. Aber letztlich stehen Siegeswille und Gewinnlust über allem. Und man geht nach gespielten Matches kaum zusammen gemütlich im Restaurant Abend essen und wünscht sich viel Glück.
Mit dem Rücktritt beginnt für Roger nun ein neues Leben. Für jeden Athleten ist es eine große Zäsur, sich außerhalb der Parallelwelt des Spitzensports zurechtzufinden und das Umfeld neu zu ordnen. Roger wird damit aber kaum Mühe haben. Erstens hat er sich auf die Zeit nach dem aktiven Sport vorbereitet und kann auf Partner zählen, die mit ihm den eingeschlagenen Weg dauerhaft weitergehen, zweites befindet sich in einer sehr soliden privaten Situation. Es freut mich für Mirka und für seine Kinder, dass er nun mehr Zeit für die Familie hat. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir uns in Zukunft oft sehen werden – auf dem Tennisplatz in Wollerau oder auf der Hüpfburg in Schindellegi.