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Schweizer Fotokunst rüttelt New Bern wach

«Meine Bilder lügen nicht»

Der Berner Fotograf Michael von Graffenried dokumentiert mit Bildern das Leben in New Bern in North Carolina. Ein Urahne von ihm hat die Stadt in den USA gegründet, nun sorgt die Ausstellung seines Nachkommens für Zoff.

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© Matt McCotter

Der Fotograf Michael von Graffenried legt selber Hand an beim Aufstellen der Plakatwände mit seinen Bildern.

Matt McCotter

Die Strassen von New Bern werden von 140 Bildtafeln gesäumt. «Our Town» heisst die Ausstellung von Michael von Graffenried (66). Zehnmal besuchte der Berner die Kleinstadt mit rund 30 000 Einwohnerinnen und Einwohnern, die 55 Prozent weisse und 33 Prozent schwarze Bürger umfasst. Während 18 Jahren hat der Berner von Graffenried mit seiner Kamera geduldig Bilder des Alltags eingefangen. Zu sehen sind junge weisse Mädchen beim Schiesstraining, schwarze Männer, die auf der Strasse Bargeld tauschen, eine Stripperin, die für einen weissen Mann auftritt. Es ist ein Lehrbuch über die amerikanische Gesellschaft. Doch die Momentaufnahmen gefallen nicht allen: zu plakativ, zu schonungslos.

Projekt: Our Town

Leben in New Bern: Das Bild zeigt eine junge Schwangere mit einem roten Becher – solche werden für Trinkspiele verwendet.

 

Michael von Graffenried

Eigentlich sollte seine Arbeit für einen interkulturellen Dialog stehen und ein stolzes Dokument sein für mehr Integration und Verständnis. Doch die schwarze Bevölkerung fühlt sich missverstanden. So sorgt ein Bild von einer schwangeren Frau mit einem roten Becher in der Hand für Aufregung – die roten Becher werden in den USA traditionell für Trinkspiele verwendet. «Die Realität ist immer wenig schmeichelhaft. Ich bin mir sicher, dass ein Bild mehr über den Betrachter aussagt als über den, der es aufgenommen hat», so die Replik von Graffenrieds. Und er betont: «Ich bin ein Humanist, Verständnis gegenüber dem Motiv ist für mich das höchste Gut.» Nun lädt das Craven Arts Council zur Frage-und-Antwort-Runde, von Graffenried soll seine Absichten darlegen und Fragen beantworten. «Meine Bilder sind Zeitdokumente. Sie lügen nicht.»

Our Town Fotoprojekt Michael von Graffenried

Provokation? Ein weiteres der Billboards von Graffenrieds zeigt Soldaten beim Training im Pool anlässlich der Outdoor-Ausstellung Our Town.

Michael von Graffenried

Craven Arts Council & Gallery ist auch der offizielle Aussteller der Bilder. «Unsere Hoffnung ist, damit den Dialog zwischen den verschiedenen Stadtquartieren, den unterschiedlichen Gemeinschaften und Gruppierungen zu lancieren», schreibt die Galerie. Man wolle über das Leben in der Stadt, die gemeinsame Vergangenheit und die Hoffnungen für die Zukunft sprechen.

Die Ausstellung war auch Thema im lokalen Sender der TV-Station ABC. Ein Geschäftsbesitzer aus der Black Community, Curtis Stewart, äussert sich dort kritisch zu von Graffenrieds Arbeit: «Er hätte etwas mehr recherchieren können. Man hätte unsere Kultur besser darstellen können, als dies auf einigen Bildern der Fall ist. Ich verstehe aber auch, dass der Fotograf nicht aus der Gegend ist, aus einem anderen Land. Aber vielleicht hätten ihm die Menschen, mit denen er vor Ort zusammengearbeitet hat, einen anderen Blick auf unsere Gesellschaft vermitteln können als einige Bilder, die ich sehe. Die zeigen uns nicht unbedingt in einem positiven Licht.»

© KateAdams

Die Plakette des Gründers von Bern: Der Patrizier Christopher de Graffenried als Statue, daneben Nachkomme Michael.

KateAdams

Hat von Graffenried von den Porträtierten denn auch immer eine Bewilligung zum Fotografieren erhalten? «Nein», erklärt sich der Dokumentalist, der sich in der Tradition eines Henri Cartier-Bresson oder Werner Bischof sieht. «Wenn man um Erlaubnis fragt, sind es keine realistischen Zeitdokumente mehr. Ich habe im öffentlichen Raum fotografiert, was in Amerika liberal gehandhabt wird.» Die Polarisierung, die in vielen Teilen der USA herrscht, hat auch New Bern erreicht. Auch die Konflikte zwischen Schwarz und Weiss machen vor der Stadt nicht halt. «Ich wollte zeigen, dass New Bern mehr als eine weisse Stadt ist», sagt dazu der Fotokünstler. «Ich habe Bilder gemacht, die die aktuelle Kultur der Stadt zeigen, einschliesslich der Erfolge und Schwierigkeiten. Die Welt ist nicht schwarz und weiss. Sie hat viele Schattierungen.»

Projekt: Our Town

Eine junge Frau beim Schiesstraining. Die Bilder von Graffenrieds sind meist Szenen des Alltags.

Michael von Graffenried

Die Verbundenheit mit der Stadt New Bern reicht für die Familie von Graffenried bis ins Jahr 1710 zurück. «Christoph von Graffenried, ein Urahne unserer Familie, segelte mit zwei weiteren Aussiedlern nach Amerika.» An der Ostküste kaufte er Land, bald schon kam es aber zu Kämpfen mit den Tuscarora-Indianern, den Ureinwohnern dieses Landstrichs. «Er baute an einem Fluss ein paar Häuser, verlumpte, kehrte auch wegen des Kriegs der Engländer gegen die Tuscarora nach Bern zurück, wo er drei Jahre später starb», erzählt Michael von Graffenried. Heute trägt die Stadt dasselbe Wappen wie die Stadt Bern.

© Matt McCotter

Die Bilder entstanden anlässlich des 300-Jahr-Jubiläums der Gründung von New Bern. Sie sind auch in einem Buch verewigt.

Matt McCotter
Von Caroline Micaela Hauger am 22. Oktober 2023 - 11:00 Uhr