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Zwischen Heidi und Handelskrieg

Mit Bundesrat Ignazio Cassis in Japan und China

Fünf Tage, vier Städte, drei Aussenminister, zwei Länder, eine Mission: Bundesrat Ignazio Cassis sucht in Japan und China nach dem seidenen Faden, der die Schweiz mit der Welt ­verbindet. Eine Reise im Sicherheitskonvoi durch die Weltpolitik.

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Der Aussenminister in Shanghai. «Einen freien Tag hatte ich schon lange nicht mehr.»

Der Aussenminister in Shanghai. «Einen freien Tag hatte ich schon lange nicht mehr.»

Kurt Reichenbach

Mit einem Lächeln aus Plastik und grossen Manga-Augen steht sie da und winkt: Heidi. Lebensgross empfängt sie Ignazio Cassis (64) mit ausgestreckten Armen vor dem Schweizer Pavillon an der Weltausstellung in Osaka. Der Aussenminister ist vor wenigen Stunden mit dem neuen Bundesratsjet in Japan gelandet.

Mit strahlenden Gesichtern empfangen Heidi und die Crew des Schweizer Pavillons den Bundesrat an der Expo 2025 in Osaka.

Mit strahlenden Gesichtern empfangen Heidi und die Crew des Schweizer Pavillons den Bundesrat an der Expo 2025 in Osaka.

Kurt Reichenbach

«Diese Ausstellung ist für die Schweiz eine wichtige Visitenkarte», sagt er. Die Expo findet alle fünf Jahre statt und ist ein gigantisches Schaufenster der Nationen. 160 Länder und Organisationen haben sich herausgeputzt und inszeniert. In sechs schimmernden Blasen präsentiert sich die Schweiz, Motto «Von Heidi bis Hightech». «Menschliche Kontakte sind zentral. Und die finden hier statt. Es geht eben nicht um ein virtuelles Kennenlernen – man trifft sich wirklich», erklärt Cassis auf der künstlichen Insel Yumeshima (zu Deutsch: Trauminsel).

In der Schweizer Enklave zeigt ein Scherenschnitt Ikonen wie Federer und Einstein, eine Seifenblasenmaschine pustet gegen die Schwerkraft an, und neuste Forschung wird in Glasvitrinen präsentiert. Der grösste Hit ist das Heidi-Café – hier wird ab neun Uhr morgens Raclette serviert. Bis zu zwei Stunden stehen die Leute dafür an. «Die Schlange reicht oft bis nach Portugal», sagt ein Mitarbeiter stolz.
 

Viel mehr als plumpe Seifenblasen. Im Schweizer Pavillon verschmelzen die Wurzeln der Tradition mit dem Puls der Schweizer Start-up-Innovation.

Viel mehr als plumpe Seifenblasen. Im Schweizer Pavillon verschmelzen die Wurzeln der Tradition mit dem Puls der Schweizer Start-up-Innovation.

Kurt Reichenbach

Ein langer Tag in Asien

Am Abend hebt der Bundesrat bereits wieder ab – Tokio ruft. Tags darauf trifft Cassis in der Hauptstadt Takayuki Morita, CEO des Elektronikriesen NEC, der in Zürich eine neue Niederlassung eröffnen wird. In bilateralen Gesprächen mit Vertretern der japanischen Ministerien für Aussenpolitik, aber auch für Handel, Wissenschaft und Bildung werden nicht nur politische Beziehungen gefestigt, sondern auch die wirtschaftlichen Interessen der Schweiz vorangetrieben.

Die Agenda ist durchgetaktet. «Japan ist unser wichtigster Partner in Asien, was Wissenschaft und Technologie betrifft.» Cassis wirkt am zweiten Tag etwas müde – der Jetlag macht auch vor einem Aussenminister nicht halt. Zum Znacht trifft er sich mit seinem Team in der Schweizer Botschaft. «Unser japanischer Koch, der nächsten Monat in Rente geht, hat zum ersten Mal in 30 Jahren bei einem offiziellen Anlass japanisch gekocht. Unglaublich, oder?» Cassis lacht – und wirkt, als hätte er gerade ein kleines Staatsgeheimnis ausgeplaudert.
Von Tokio gehts weiter nach Peking – in China weht ein rauerer Wind, obwohl die Sonne scheint. Der Minister ist ab jetzt nicht mehr allein unterwegs: Mindestens fünf Sicherheitsleute sind immer im Schlepptau. Schwarze Limousinen, finstere Blicke.

Besuch bei Schindler Aufzüge in Schanghai. «Die Firma trägt seit 1980 massgeblich zur Öffnung Chinas bei.»

Besuch bei Schindler Aufzüge in Schanghai. «Die Firma trägt seit 1980 massgeblich zur Öffnung Chinas bei.»

Kurt Reichenbach

Auf der weltweit grössten Fachmesse für Werkzeugmaschinen spricht Cassis mit Vertretern Schweizer Firmen über den wichtigen Wirtschaftsmarkt China. Diese hoffen, dass die Türen zum Reich der Mitte offen bleiben. Oft sind es Kleinunternehmen und mittlere Betriebe, die auf offene Grenzen angewiesen sind.

Die Schweiz hat seit 75 Jahren diplomatische Beziehungen zur fernöstlichen Weltmacht, seit 2014 als erstes europäisches Land sogar ein Freihandelsabkommen. Die Schweizer Exporte nach China sind in den letzten zehn Jahren um 74 Prozent auf 15,4 Milliarden Franken gewachsen.

Eigentlich hätte Kollege Guy Parmelin (65) diese Reise übernehmen sollen. Doch der Wirtschaftsminister flog stattdessen mit Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter (61) in die USA – um dort die Wogen im von Donald Trump (78) angezettelten Zollkrieg zu glätten. «Er macht Aussenpolitik für mich, während ich die Wirtschaft besuche», sagt Cassis. «Hauptsache, der Bundesrat ist dort präsent, wo es wichtig ist.»

Cassis und sein chinesischer Kollege Wang Yi. «Wir wollen das Problem mit den Zöllen durch Dialog und in gegenseitigem Respekt lösen.»

Cassis und sein chinesischer Kollege Wang Yi. «Wir wollen das Problem mit den Zöllen durch Dialog und in gegenseitigem Respekt lösen.»

Kurt Reichenbach

Der bedeutendste Termin in China wartet hinter hohen Mauern: Im Staatsgästehaus Diaoyutai in Peking trifft Cassis Wang Yi, Chinas Aussenminister, einen der mächtigsten Männer im Reich der Mitte. «Er ist sehr erfahren, kennt alle in der Welt und ist auch ein sehr aufgeklärter Mensch.» Wang Yi lässt Cassis 20 Minuten warten – dieser nutzt die Zeit für einen Spaziergang durch den prächtigen Garten, bevor das Händeschütteln von Dutzenden Fotografen festgehalten wird. Das Gespräch dauert länger als geplant: Über drei Stunden verbringen die Aussenpolitiker miteinander.

Wo steht die Schweiz in diesen turbulenten Zeiten zwischen den Grossmächten? «China, die USA und hauptsächlich die EU sind unsere drei wichtigsten Handelspartner. Man kann nicht einfach einen davon streichen», sagt Cassis nach dem Treffen. «Wir müssen einen Schritt nach dem anderen gehen und einen kühlen Kopf bewahren. Es ist eine Gratwanderung – aber die Schweiz hat viel Erfahrung mit solchen Situationen.» Ist es nicht einfach ein Durchwursteln, damit die Schweiz profitieren kann? Cassis: «Es nervt mich, dass Kompromisse oft als Schwäche gelten. Dabei haben gerade Kompromisse die Schweiz zu dem gemacht, was sie heute ist.»

Doch es geht nicht nur um die US-Zölle. Auch Menschenrechte stehen auf der Agenda. In der Schweiz lebt eine der grössten Tibet-Gemeinschaften Europas – und auch Hunderte Uigurinnen und Uiguren, die aus Xinjiang fliehen konnten. Der lange Arm Pekings reicht bis zu ihnen. «Aussenpolitik ist oft unbequem», sagt Cassis. «Aber wenn die Beziehung stabil und einigermassen freundschaftlich ist, kann man auch über schwierige Themen reden.» Mehr lässt sich der EDA-Chef nicht entlocken.
 

Jürg Burri, Botschafter in China, mit seinem Chef. «Diese Besuche sind immer eine willkommene Gelegenheit, die Beziehung zwischen mir und ‹meinem› Bundesrat zu pflegen.»

Jürg Burri, Botschafter in China, mit seinem Chef. «Diese Besuche sind immer eine willkommene Gelegenheit, die Beziehung zwischen mir und ‹meinem› Bundesrat zu pflegen.»

Kurt Reichenbach

Eine Suppe in Schanghai

Letzter Halt für den Bundesrat: Schanghai. Rosen blühen entlang der Strassen, es riecht wie der Frühling nach einem Regentag. Trotz strengen Sicherheitsvorgaben macht Cassis einen kurzen Abstecher in den Innenbezirk Huangpu. In engen Gassen mit schiefen Holzhäusern kauft er Guetsli für seine Frau Paola und probiert Rosentee. Dazu viele spontane Gespräche. «Ich bin ein sehr neugieriger Mensch», sagt Cassis. «Zu viele Informationen gibt es für mich nicht – ich will immer alles wissen.» In einem winzigen Nudelladen schlürft er eine traditionelle Schanghai-Suppe. «Solche einfachen Gerichte liebe ich viel mehr als diese standardisierten Menüs in Fünfsternehotels.»

Während der Reise fühlt sich Cassis schwerer an. Wortwörtlich. «Ich esse sonst nie zu Mittag», erzählt er. Hier aber wird ihm ständig ein grosses Menü aufgetischt. «Bei einer solchen Reise kann ich locker zwei Kilo zunehmen. Nächste Woche muss ich darauf achten, weniger zu essen – damit ich wieder bereit für die nächste Reise bin», sagt er und lacht. Zu Hause joggt er gern oder verbringt ruhige Abende mit seiner Ehefrau. «Ich hatte schon lange keinen ganzen freien Tag», sagt er. «Falls es doch mal drinliegt, fahre ich mit Paola für eine Nacht ins Piemont oder nach Milano – einfach, um kurz durchzuatmen.»

Die bisher längste Reise im neuen Bundesratsjet – von Schanghai nach Agno TI. «Es hat alles wunderbar geklappt.»

Die bisher längste Reise im neuen Bundesratsjet – von Schanghai nach Agno TI. «Es hat alles wunderbar geklappt.»

Kurt Reichenbach

Der Mensch hinter dem Minister

Privates gibt der Bundesrat ungern preis – je länger, je weniger: «Ich habe in meinen acht Jahren als Bundesrat gelernt, dass sich als Mensch zu zeigen, für viele als Schwäche gilt.» In letzter Zeit gibt Ignazio Cassis nur selten Interviews. «Ich muss nicht beliebt sein, um meinen Job gut zu machen», sagt er. Und er habe sich entschieden, zu den Medien zu sprechen, wenn er etwas zu sagen habe. «Ich kenne Politiker, die schlafen nicht mehr, wenn ihre Popularität sinkt. Ich nicht.» Auch Zeitungen liest er kaum noch: «Es wird so viel Lärm produziert jeden Tag, dass es einem das klare Denken erschwert. Mein Tag ist gefüllt mit der Führung des Departements, mit Kontakten in der Welt – da bleibt dafür keine Zeit.»

Auf dem Weg ­zurück in die ­Heimat. «Unsere Sicherheit und Unabhängigkeit hängen davon ab, wie nützlich wir für die Welt sind.»

Auf dem Weg zurück in die Heimat. «Unsere Sicherheit und Unabhängigkeit hängen davon ab, wie nützlich wir für die Welt sind.»

Kurt Reichenbach

Im Jet zurück in die Schweiz blickt Cassis aus dem Fenster auf die Erde unter ihm. Es sind stürmische Zeiten, politische Beben erschüttern den Globus. «Heute herrscht eine andere Weltordnung als noch vor einigen Jahren. Eine Weltunordnung. Ich verstehe die Unsicherheit der Bevölkerung.»

Wo hat die Schweiz ihren Platz in der Welt? «Wir haben einen wichtigen Platz im Herzen Europas», sagt der Aussenminister. «Unsere Sicherheit und Unabhängigkeit hängen davon ab, wie nützlich wir für die Welt sind. Wir müssen unsere Beziehung zur EU stabilisieren und Schritt für Schritt angehen – aber es bringt nichts, jetzt etwas zu überstürzen.» Kaum gelandet, geht die Reise weiter – oder die Suche nach dem sicheren Pfad durch eine unsichere Welt.

 

Silvana Degonda
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Von Silvana Degonda am 5. Mai 2025 - 06:00 Uhr