Überrascht nimmt Alexandra Prusa (65) die Tüte entgegen, die Ehemann Rudolph Straub (71) ihr überreicht. Gerade spazieren sie aus der Parfümerie The Merchant of Venice. Der Flacon, dessen stolze Besitzerin die Schauspielerin nun ist, erinnert an die berühmte Muranoglas-Tradition – genau nach Alexandra Prusas Gusto. «Mein Geburtstag war doch gestern», sagt sie. «Trotzdem sollst du gefeiert werden», entgegnet ihr Mann und legt seinen Arm um sie. Die beiden schlendern durch die Strassen Venedigs, wirken dabei wie frisch verliebte Teenager. Vier Tage verbringt das Paar im italienischen Paradies für Kunstliebhaber, um Prusas Geburtstag zu feiern. «Die Italiener sind doch verrückt. Wer baut schon eine Stadt auf dem Wasser?», fragt sie sichtlich begeistert. Alexandra Prusa, die als Tochter eines russischen Bildhauers und einer Schweizer Malerin in Florenz aufgewachsen ist, hat die Stadt durch Erzählungen ihrer Mutter kennengelernt. Und kann bis heute nicht genug von ihr kriegen.
Umso schöner, dass die Actress, die 2008 in Marc Forsters Bond-Film «Quantum of Solace» zu sehen war, das Älterwerden nun in dieser legendären Stadt zelebrieren darf. «Ich schätze das Alter. Jeder Tag, den ich erlebe, ist irrsinnig toll.» Alexandra Prusa weiss, wovon sie spricht – vor einiger Zeit hätte sie wohl nicht darauf gewettet, ihren 65. Geburtstag zu erleben. Als sie 2014 zu Hause in Zürich nach dem Duschen beim Blick in den Spiegel eine Delle in der Brust entdeckt, spürt sie intuitiv, was es ist. Die ärztliche Bestätigung eines Tumors ist ein Schock für das Paar. Es hat beruflich gerade so viel am Laufen. Prusa: «Ich glaube, solche Dinge machen sich bemerkbar, wenn der Körper etwas sagen will. Zum Beispiel dass er Ruhe braucht.» Die Diagnose seiner Frau wirft auch Rudolph Straub aus der Bahn. Er hat bereits vier Frauen aus seinem Umfeld an Brustkrebs verloren, darunter seine Mutter. «Ich hatte wahnsinnig Angst um sie.» Der Regisseur lenkt sich ab, stürzt sich in die Arbeit, unterstützt seine Liebste dennoch, so gut es geht. «Ruedi hat mir extrem viel Kraft gegeben in dieser Zeit», sagt sie.
Ihr Leben nach Chemos und Bestrahlungen
Das scheint lange her zu sein. Heute ist sie voller Lebensmut. Alexandra Prusa steigt in eine venezianische Gondel, schmiegt sich an ihren Mann. Die beiden lernen sich 1983 an einem Filmset kennen. Er ist der Autor, sie Schauspielerin und Choreografin. «Ich wurde immer ganz nervös, wenn ich ihn gesehen habe», erzählt Alexandra lächelnd. Dabei sind beide zu diesem Zeitpunkt in anderen Liebesbeziehungen. «Es hat einfach so sein müssen», meint sie. Kinder wollten sie nie. Ihre Arbeit ist ihre Leidenschaft, der sie oft auch gemeinsam frönen. «Privates und Geschäftliches zu trennen, ist nicht immer einfach. Konflikte sind programmiert», sagt Straub. Prusa stimmt zu: «Als Regisseur war er zu mir immer besonders streng.» Ob er auch in ihrer Ehe Regie führt? Sie lacht. «Natürlich! Vor allem in der Küche.» Die Partnerschaft habe sich durch den Krebs sehr verändert. «Wir sind erwachsener geworden, obwohl wir als Künstler dazu tendieren, verspielt zu sein und kindlichen Impulsen nachzugeben», sagt Rudolph Straub. «Zum Glück sind wir trotzdem immer noch sehr neugierig aufeinander.»
Der Gondoliere setzt zur Kurve an. Alexandra Prusa greift vorsichtig nach ihren Haaren, die leicht im Wind wehen. 20 Chemotherapien und 35 Bestrahlungen hat sie hinter sich. «Ich fühlte mich elend, hätte in jede Ecke kotzen können.» Der Verlust ihrer Haare bedeutet für sie ein Stück weit auch der Verlust der Weiblichkeit: «Das war sehr schwierig für mich.» Sie trägt einen Turban, malt Augenbrauen auf und klebt sich Wimpern an. «Auch schön!», meint sie pragmatisch. Ihr Mann nickt. «Ich sagte ihr damals: ‹Du hast den schönsten Kopf, den ich je gesehen habe›». Im vergangenen Sommer, über neun Jahre nach der Diagnose, die erlösende Nachricht: Alexandra Prusa ist offiziell krebsfrei. «Ich hätte die ganze Welt umarmen können.»
Ihr Essen teilt Alexandra Prusa nur ungern
Die Schauspielerin ist hungrig. «Schnell ins Restaurant!», sagt Straub grinsend. «Bei Hunger werde ich unangenehm», gibt sie zu. Ein Teller Pasta ist die Rettung. Darf Ruedi probieren? «Ausnahmsweise!», meint sie und lacht. «Mein Essen teile ich ungern.» Dafür holt sich Rudolph Straub Tipps vom Personal. Er kocht leidenschaftlich gerne. Seine Spezialität: thailändisches Essen. «Ich möchte unbedingt noch einmal nach Thailand», sagt Prusa. Dort pflegt sie jeweils Elefanten. «Das steht als Nächstes nun definitiv ganz oben auf meiner Wunschliste.» Eine Liste, die noch viel mehr Gewicht hat, seit sie gesund ist.
Was sonst noch drauf steht? «Endlich wieder Ski fahren, Freunde in Hamburg besuchen, nach Frankreich und Buenos Aires reisen oder ans Sanremo-Festival.» Arbeitsaufträge nimmt sie nur noch selten an – leben hat jetzt Priorität. «Ich bin radikaler geworden im Neinsagen.» Es wird dunkel, das Highlight des Städtetrips steht bevor: ein Konzert im Teatro La Fenice. In Abendrobe beginnt das Paar, spontan vor dem Gebäude zu tanzen. Es sei nicht einfach gewesen, die körperlichen Einschränkungen zu bewältigen, die der Krebs mit sich bringe, sagt Alexandra Prusa. «Und dennoch waren es die Musik, die Bewegung und meine liebsten Menschen, die mich da hindurchgetragen haben.» Sagts und dreht sich an der Hand ihres Liebsten um die eigene Achse. Was für ein Abend. Was für eine Reise. Was für ein Leben!