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Dienstpflicht für alle

Noémie Roten will die Rollenbilder sprengen

Armee- oder Zivildienst für alle! Das fordert Noémie Roten, die Frau hinter der Service-Citoyen-Initiative. Warum sie das für wahre Gleichstellung hält – und was ihr Partner dazu sagt.

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<p>Sie ist Militärrichterin, er hat Zivildienst gemacht: Noémie Roten und ihr Partner Michel Rickhaus vor ihrer Wohnung in Yverdon-les-Bains.</p>

Sie ist Militärrichterin, er hat Zivildienst gemacht: Noémie Roten und ihr Partner Michel Rickhaus vor ihrer Wohnung in Yverdon-les-Bains.

Nicolas Righetti

Der Mann verteidigt das Land – die Frau kümmert sich um Herd und Kind: Die Vorstellung geistert bis heute in den Köpfen von Herr und Frau Schweizer herum. Noémie Roten (36) will diese Rollenverteilung ein für allemal aus der Welt schaffen.

«Mit 18 bin ich ins Militär – nicht, weil ich ein grosser Armeefan war», sagt sie. «Sondern weil ich fand: Wenn meine Schulkollegen müssen, dann muss ich auch.»

Noémie Roten ist der Kopf hinter der Service-Citoyen-Initiative, über die am 30. November abgestimmt wird. Die Idee in einem Satz: Künftig sollen alle – Männer und Frauen – einen bezahlten Dienst leisten, sei es im Militär, im Zivilschutz oder im Zivildienst. Ein Anliegen, das Roten seit über zehn Jahren beschäftigt – und das sie nun so sehr vereinnahmt wie noch nie.

«Entschuldigung für das Puff», sagt sie bei der Begrüssung. Der Umzug vor wenigen Monaten fiel genau in die Zeit des Abstimmungskampfes, einige Kisten sind noch nicht ausgeräumt. «Bis zum 30. November wird das auch so bleiben», sagt Roten lachend.

<p>Kater Bagheera fühlt sich in der zweistöckigen Altbauwohnung wohl – auch wenn noch nicht alles eingerichtet ist.</p>

Kater Bagheera fühlt sich in der zweistöckigen Altbauwohnung wohl – auch wenn noch nicht alles eingerichtet ist.

Nicolas Righetti

Lastwagenfahren dank Militär

Die Walliserin wuchs in Winterthur und Genf auf, studierte Volkswirtschaft an der HSG in St. Gallen, wohnt seit dem Sommer in Yverdon. Mühelos wechselt sie von einer Seite des Röstigrabens auf die andere und vom Französischen ins Schweizerdeutsche.

Die Idee eines Service Citoyen entstand nach Rotens eigenem Militärdienst. «Mein Grossvater war Oberstleutnant im Zweiten Weltkrieg. Mein Vater war Gebirgsgrenadier, hat es aber gehasst. Alle Männer in meiner Familie hatten eine starke Meinung zur Armee.»

Roten wollte sich ein eigenes Bild machen und begann nach der Matura die Rekrutenschule. Sie war die einzige Frau in der Kaserne.

Ein Moment ist ihr besonders geblieben: «Als ich nach einem Vorkurs mit meinen Kameraden in die Mensa kam, begannen die Männer zu klatschten. Sie pfiffen und machten Witze. Ich fühlte mich ganz allein. Es hörte erst auf, als ein Vorgesetzter die Rekruten zurechtwies.»

Als Frau habe sie im Militär nie richtig dazugehört, sagt Roten. «Es ist eine Organisation von Männern für Männer.»

Dennoch sei es für sie eine positive Erfahrung gewesen: «Dank dem Militär kann ich Lastwagen fahren und habe viele wichtige Menschen kennengelernt. Ausserdem konnte ich in der Zeit Geld sparen und danach reisen gehen.»

«Den Frauen entgeht einiges»

Ganz anders war es bei Rotens Partner Michel Rickhaus (40). «Ich bin überhaupt nicht der Typ fürs Militär!», sagt der Emmentaler. Er ist seit fünf Jahren mit Noémie Roten zusammen, hat zwei Kinder aus erster Ehe, welche jedes zweite Wochenende bei ihnen in Yverdon sind.

«Mit 18 machte ich meinen ersten Zivildienst in einem Heim für Kinder aus schwierigen Verhältnissen», erzählt Rickhaus. «Eine Erfahrung, die meinen Horizont erweiterte und mich geprägt hat.»

<p>«Im Moment schmeisst Michel den Haushalt», sagt Roten. «Ausserdem ist er Sorgenonkel, Grafiker und Webmaster der Abstimmungskampagne.»</p>

«Im Moment schmeisst Michel den Haushalt», sagt Roten. «Ausserdem ist er Sorgenonkel, Grafiker und Webmaster der Abstimmungskampagne.»

Nicolas Righetti

Später leistet er Dienst bei der Heilsarmee und in einem Schlaflabor unter anderem für Menschen, die an Depressionen leiden. «Seither bin ich feinfühliger, wenn es um mentale Gesundheit geht.» Rickhaus ist Professor für Organische Chemie an der Uni Genf. «Mir fällt auf, dass viele meiner Studenten in der Pause alleine dasitzen und sich gar nicht mehr richtig kennenlernen.»

Auch Noémie Roten glaubt, dass unsere Gesellschaft zunehmend individualisiert ist und die Jungen oftmals keinen Dienst für die Allgemeinheit mehr leisten. «Nicht, weil sie es nicht wollen, sondern weil sie nicht wissen, wo und wie!», betont sie.

Der Service Citoyen wäre aus Rotens Sicht pure Gleichstellung, da Männer und Frauen dieselben Pflichten, Chancen und die gleiche Entlöhnung erhalten. «Im Moment entgeht den Frauen diesbezüglich einiges», sagt Roten.

Ganz anders sieht es der Bundesrat und eine Mehrheit des Parlaments. SVP und SP bilden gar eine unheilige Allianz und lehnen Rotens Anliegen geradeheraus ab. Hauptargument: Die Frauen in der Schweiz sind durch unbezahlte Erziehungs- und Care-Arbeit heute schon «genug gestraft» und sollten nicht auch noch einen Landesdienst verrichten müssen.

«Ist es nicht verrückt, dass Linke wie Rechte die Frauen mit diesem Argument in ihrer alten Rolle behalten wollen?», kontert Roten schlagfertig. Sie weist darauf hin, dass der Service Citoyen vor allem Männer und Frauen zwischen 18 und 25 betreffen würde und deshalb nicht primär Eltern. Und falls doch, könne ein Elternteil sich von der Dienstpflicht befreien lassen, damit die Familie nicht zu sehr belastet wird.

<p>Voller Einsatz: Um sich ganz der Initiative zu widmen, kündigte Noémie Roten ihren Job bei der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft.</p>

Voller Einsatz: Um sich ganz der Initiative zu widmen, kündigte Noémie Roten ihren Job bei der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft.

Nicolas Righetti

«Warum sieht man diesen Dienst denn überhaupt als Last oder als Strafe?», fragt Roten. «Ist es nicht besser, etwas darüber zu lernen, wie man sich im Notfall verhält, wie man die Sicherheit unseres Landes garantieren kann oder wie Einsätze in ganz anderen Bereichen der Gesellschaft ablaufen, statt einfach ein unbezahltes Praktikum nach dem anderen zu machen?»

Apropos Geld: Fast eine Milliarde Franken, schätzt der Bundesrat, würde der Service Citoyen kosten. «Die Sicherheit, Gesundheit und der Zusammenhalt unserer Gesellschaft sollten uns das wert sein», sagt Noémie Roten.

«Ich hoffe, dass irgendwann sowohl mein Sohn wie auch meine Tochter einen Service Citoyen leisten dürfen», ergänzt Michel Rickhaus. Unser aktuelles System zementiere die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, finden beide. «Vielleicht braucht es einen Armeepanzer, um diese aufzubrechen.»

Jessica Pfister
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Von Jessica Pfister vor 3 Minuten