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Kitesurf-Weltmeisterin Camille Losserand

Nur im Wasser ist ihr wirklich wohl

Sie wagte einen Sprung, den sie noch nie zuvor gemacht hatte. Und katapultierte sich damit zum Weltmeistertitel im Kitesurfen: Camille Losserand bei einem Zwischenstopp in Lausanne, bevor sie sich wieder in Spanien den Winden stellt.

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Camille Losserand, Kitesurf-Weltmeisterin

Für einmal in heimischen Gewässern. Camille Losserand im Genfersee in Lausanne-Vidy. Sie lebt und trainiert hauptsächlich in Spanien.

Blaise Kormann

Camille Losserand braucht das Wasser wie die Luft zum Atmen. «Das Wasser fehlt mir ultraschnell. Nach einigen Tagen an Land verlangt mein Körper regelrecht danach.» Die Waadtländerin besucht gerade ihre Familie in Lausanne, gemeinsam sind sie auf der Suche nach Sponsoren und Partnern für Camilles Leidenschaft. Im Juni hat sie an den Big Air World Championships der Kitesurfer den Weltmeistertitel errungen. Er reiht sich ein in erste Plätze bei den Junioren, schweiz- und europaweit. Mit grossem Spektakel hatte sich Camille vor die Favoritinnen des Turniers gesetzt. «Ich wagte einen Sprung, den ich noch nie geprobt hatte», erzählt sie mit Schalk in den Augen. Und nicht nur das: Noch nie hat sich eine Frau an den im Fachjargon genannten «frontroll rodeo contraloop» getraut. Wie der aussieht? Vom Kite in die Höhe gezogen, presst die Athletin das Board gegen den Körper und macht eine 360-Grad-Drehung. Während des Finals habe sie ihr Coach Fabio Ingrosso gedrängt, den Sprung zu versuchen. «Ich hatte ihn im Kopf gut visualisiert. Und es klappte einfach», resümiert Camille. Mit den anderen perfekten Sprüngen reichte es ihr dann, als Siegerin aus dem Wasser zu steigen.

Kitesurfen ist schon lange nicht mehr nur eine Sportart, die man so nebenbei betreiben kann. Die Konkurrenz ist hart, und das Training muss professionell aufgebaut sein. So lebt Camille die meiste Zeit im spanischen Tarifa, dem südlichsten Zipfel des europäischen Festlands. Und dem windigsten. Deshalb gilt der Ort in Andalusien als das Mekka der Kitesurfer. Morgens konzentriert sich die 19-Jährige auf das Fernstudium, um die Matur zu machen. Jeden Nachmittag schlüpft sie in einen ihre Neoprenanzüge und steigt aufs
Brett. Sie ist umgeben von anderen Sportlerinnen und Sportlern, die derselben Leidenschaft frönen. «Wir sind beseelt von der gleichen Passion, haben alle eine ähnliche Sicht aufs Leben und fühlen uns wie eine Familie», so Camille.

Camille Losserand, Kitesurf-Weltmeisterin

Die Freiheit, die sie meint: Camille gleitet bei einem Wettkampf in Ägypten übers Meer.

Toby Bromwich

In Tarifa trifft sie auch auf ihre Idole James Carew oder Airton Cozzolino, von denen sie sagt, sie würden die Grenzen des Kitesurfens immer wieder verschieben. Sie tauschen sich aus, geben sich Tipps. Einmal auf dem Wasser, ist Camille dann mit den Wellen, dem Wind und ihrem Brett allein. Das verlangt Hartnäckigkeit und Mut: Einige Sprünge katapultieren sie sechs bis sieben Meter über Wasser, es braucht Monate, bis sie sitzen. «Nein, Angst habe ich nicht. Bis zu einer Verletzung am Knöchel ist mir nichts passiert. Ausgenommen natürlich die paar Male, in denen ich aus hoher Höhe aufs Wasser donnerte.»

Camille Losserand, Kitesurf-Weltmeisterin

Camille Losserand ist Schweizer Meisterin, aber auch in Spanien national die Beste.

Blaise Kormann

Camille stellte Ultimatum

Die ganze Familie Losserand lebt mit Camille mit. Als sie zwölf war, wurde sie bei Sommerferien im südfranzösischen Hyères vom Kitesurf-Virus gepackt. 2019 beschliessen ihr Vater Fabien, der als Vermögensverwalter arbeitet, und Mutter Bettina, ein Jahr Auszeit mit der Familie in Málaga zu nehmen. Die drei Kinder werden aus der Schule genommen. «Wir wollten aus dem Alltagstrott ausbrechen», begründet Fabien.

Für Camille es ein Jahr im Paradies. Als es um die Rückkehr in die Schweiz geht, gibt sie klipp und klar zu verstehen, dass sie sich voll dem Kitesurfen verschreiben will. «Sie sagte, sie würde eingehen, wenn sie das nicht dürfe», erinnert sich Mutter Bettina.

Camille Losserand, Kitesurf-Weltmeisterin, mit Eltern und Schwester

Alle für eine: Camille (2. v. r.) mit ihrer Schwester Charlotte (r.) und ihren Eltern Fabien und Bettina Losserand am Genfersee. Zurzeit hilft die Familie bei der Sponsorensuche.

Blaise Kormann

Der Entscheid fiel den Eltern nicht leicht, aber sie kamen zum Schluss, dass Camille genügend selbstständig ist, ihren Traum zu leben. Einzige Bedingung: Sie muss die Matura machen. Heute wird sie von ihren Eltern oft an Wettkämpfe begleitet. Letztes Jahr hat sich Vater Fabien gar einen Monat Ferien gegönnt – das erste Mal in seinem Leben – und ist mit der ganzen Familie nach Brasilien gereist. «Wir sind sehr stolz auf Camille», sagt er. «Sie organisiert sich selbst, sie arbeitet viel. Es ist nicht einfach, mit erst 19 Jahren Gespräche mit Sponsoren zu führen, jedes Training zu absolvieren, um sich an der Weltspitze halten zu können», meint Fabien bewundernd.

Einsatz gegen Plastik im Meer

An die Olympischen Spiele in Paris 2024 wird Camille Losserand nicht reisen: Ihre Disziplin Big Air ist nicht olympisch, gekämpft wird um Medaillen in der Disziplin «race foil», also Rennen ähnlich der Segelrennen. «Ich fokussiere auf die internationalen Formate mit Sprüngen und Kunststücken. Das ist eine andere Welt.» Täglich auf dem Meer, will sie sich auch für den Schutz der Ozeane einsetzen. «Es macht traurig zu sehen, wie viel Plastik rumtreibt. Manchmal sammle ich vor der Rückkehr an Land Flaschen ein, um sie richtig zu entsorgen.» Je grösser der Erfolg von Camille, je mehr wird ihre Stimme gehört werden. Nicht nur, um ihren Sport zu promoten, sondern auch den Umweltschutz.

Camille Losserand, Kitesurf-Weltmeisterin

Ohne Fussschlaufen auf dem Board: Camille hat sich für «strapless» Kitesurfen entschieden.

Toby Bromwich
Von Marc David am 6. August 2023 - 07:00 Uhr