Frau Rytz, nach der Sondersession im Mai treten Sie aus dem Nationalrat zurück. Was werden Sie nicht vermissen?
Die zunehmende Polarisierung in der Politik. Und das ständige Ellbögeln.
Worauf freuen Sie sich?
Ich werde mich selbstständig machen und deshalb mehr Freiraum haben. Auch für meine Familie.
Was ist Ihre früheste Erinnerung?
Wie ich mit meinen Brüdern auf dem Feld neben unserer Wohnsiedlung in Thun einen grossen Schneemann machte. Heute ist das Feld überbaut, und Schnee vor der Haustür gibt es höchstens noch zweimal pro Jahr.
Als Sie Kind waren: Was haben Ihre Eltern da immer zu Ihnen gesagt?
«Schau genau hin!» Sie wollten, dass ich den Menschen offen und neugierig begegne, keine Vorurteile habe und andere Meinungen akzeptiere.
Als Sie 16 waren: Wie sah Ihr Zimmer aus?
Aufgeräumt! Alles hatte seinen festen Platz. Mein grösster Stolz war meine Büchersammlung, darunter das «Tagebuch der Anne Frank». Ich interessierte mich sehr für die europäische Geschichte. Meine Mutter stammt ursprünglich aus Deutschland und hatte den Zweiten Weltkrieg miterlebt. Ich wollte alles wissen über diese Zeit.
Ihr Spitzname als Kind?
Regula ist ein typischer Zürcher Name. Es gibt keine französische Übersetzung. Darum hat mein Französischlehrer mich kurzerhand Régule getauft. Diesen Namen haben dann auch meine Schulkollegen übernommen.
Erinnern Sie sich an Ihren ersten Schulschatz?
Er hiess Beni, und seine Eltern haben in unserem Dorf die SJW-Hefte vertrieben. Die habe ich heiss geliebt – fast mehr noch als Beni (lacht).
Ihr schönstes Geschenk als Kind?
Mein erstes Velo! Endlich konnte ich die Welt selbst entdecken.
Ihr Lieblingsbild im Fotoalbum aus Kindertagen?
Ich hatte zu Weihnachten ein Kondukteur-Set bekommen. Es gibt ein lustiges Bild von mir in Vollmontur: mit Mütze, Kelle und Trillerpfeife. Schon als Kind war ich ein Eisenbahn-Fan.
Welcher Film hat Ihr Leben massiv beeinflusst?
«Missing» aus dem Jahr 1982 mit Jack Lemmon und Sissy Spacek. Der Film handelt vom Militärputsch in Chile und dem zynischen Spiel der Grossmächte. Er hat meinen Gerechtigkeitssinn gestärkt und mir klargemacht: Gewalt ist nie eine Lösung.
Ihr träfstes Mundartwort?
Bajere – das heisst Badehose auf Matteänglisch. Matteänglisch ist eine Geheimsprache, die früher im Berner Mattequartier gang und gäbe war. Ich habe eine Zeit lang dort gelebt. Im Sommer packte ich jeweils die Bajere ein und ging ins Marzili.
Ihre liebste App?
Ich kann ja nicht Auto fahren, darum benütze ich gern die Mitfahr-App von Mobility. Sie ist vor allem dann gäbig, wenn keine Züge mehr fahren.
Die beste Idee Ihres Lebens?
Dass ich mich entschieden habe, unsere Demokratie aktiv mitzugestalten.
Und die dümmste?
Um es mit den Worten von Edith Piaf zu sagen: Je ne regrette rien – ich bereue nichts.
Welches Geräusch lieben Sie?
Regen! Und zwar in allen Nuancen: vom Tröpfeln bis zum Platzregen.
Welches hassen Sie?
Frisierte Automotoren bringen mich auf die Palme. Sie überziehen ein ganzes Quartier mit Lärm.
In welcher Situation in Ihrem Leben hatten Sie so richtig Schwein?
In den italienischen Bergen blieb ich einmal bei Blitzhagel in einer offenen Sesselbahn stecken. Ich dachte: Das ist das Ende. Was war ich froh, als ich wieder festen Boden unter den Füssen hatte.
Was war der unangenehmste Job, den Sie je verrichtet haben?
Früher, als Gemeinderätin der Stadt Bern, musste ich auch einige schwierige Personalentscheide fällen und mich von Mitarbeitern trennen. Das hat mir schlaflose Nächte bereitet.
Haben Sie ein besonderes Talent, von dem niemand weiss?
Ich singe sehr gern: unterwegs auf dem Velo, zusammen mit Freunden oder an Weihnachten.
Angenommen, Sie könnten Wunder vollbringen: Was sind Ihre ersten drei Taten?
Zuerst würde ich alle bewaffneten Konflikte stoppen, dann die Politik von einem raschen und griffigen Klimaschutz überzeugen. Und drittens Respekt und Solidarität säen.
Wie alt wären Sie gern für immer?
Am liebsten 60 – beschenkt mit Lebenserfahrung, aber noch immer offen für Neues.
Welchen Tag möchten Sie noch einmal erleben?
Den Tag des Mauerfalls – den Tag der Hoffnung! Als diese Nachricht die Welt erreichte, herrschte das Gefühl: Wenn das möglich ist, ist alles möglich!
Sie erhalten einen Preis für Ihr Lebenswerk. Wer soll die Hommage halten?
Die ungarisch-schweizerische Schriftstellerin Melinda Nadj Abonji. Ihre Sprachkunst und ihre Zuneigung für die Menschen berühren mich sehr.