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  4. Remo Freuler spricht vor dem Schweizer Nati-Spiel gegen Italien über seine neue Heimat und Trainer Murat Yakin

Zu Besuch in Bergamo

Nati-Star Remo Freuler gibt Gas auf allen Ebenen

Er fühlt sich pudelwohl in Italien – und in der Schweizer Nati. Bevor die alte und die neue Heimat von Remo Freuler in der WM-Quali aufeinandertreffen, spricht er über die italienische Fussballbegeisterung, Murat Yakin und die schwere Corona-Zeit in Bergamo.

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Freuler Remo, Fussball Nati, Atalanta Bergamo, SI 35/2021

«Langsam erholt sich die Stadt wieder.» Remo Freuler vor der Porta San Giacomo, am Eingang des mittel-alterlichen Stadtteils. 2020 war Bergamo Corona-Hotspot von Europa. 

Kurt Reichenbach

Der Fahrer eines Lieferwagens an der Viale Papa Giovanni XXIII in Bergamo lehnt sich aus dem Fenster und ruft laut: «Grande Remo!» Remo Freuler lacht und winkt ihm zu. «Wir haben tolle Fans hier», sagt der 29-Jährige. Begeistert, aber freundlich. Bergamo erlebt seit vier Jahren ein Fussball-Märchen. Statt wie früher um den Verbleib in der Serie A zu kämpfen, ärgern die Norditaliener die ganz Grossen des italienischen Fussballs, und sie trumpfen auch in der Champions League auf. 

In Italien eine zweite Heimat gefunden

Genauso stark, wie die Stadt die Fussball-Euphorie gepackt hat, hat Freuler in der Lombardei Wurzeln geschlagen. Vor fünfeinhalb Jahren ist der Zürcher Oberländer hier angekommen, ohne ein Wort Italienisch zu sprechen. Im Gepäck das Gefühl, dass es genau der richtige Schritt sein könnte nach guten Leistungen beim FC Luzern. «Man sagt schnell mal: ‹Das ist meine zweite Heimat.› Aber bei mir ist das mittlerweile wirklich so», sagt er, als er entspannt im Café Balzer sitzt.

Nicht nur sportlich läufts ihm hervorragend, auch privat ist Freuler in der 120 000-Einwohner-Stadt glücklich: Essen, Wetter, Leute – «es ist mir wichtig, dass ich nicht einfach irgendwo bin, um Fussball zu spielen, sondern dass ich Freude am Leben hier habe.»

Freuler Remo, Fussball Nati, Atalanta Bergamo, SI 35/2021

Die blauen Augen sind sein Markenzeichen: Remo Freuler.

Kurt Reichenbach

«Es ist mir wichtig, dass ich Freude am Leben hier habe»

Remo Freuler

Seit zweieinhalb Jahren lebt auch seine Frau Kristina hier, die zuvor die Höhere Fachschule für Wirtschaft in St. Gallen abgeschlossen hat. Zum Zeitpunkt des Treffens weilt sie gerade in der Schweiz mitsamt dem dreijährigen Zwergspitz Smoki, «dem war es hier zu heiss in den letzten Wochen». 

Gemeinsam leben sie immer noch in derselben relativ simplen Wohnung, die er zu Beginn hier – bereits möbliert – bezogen hat. Die Parks für den Hundespaziergang sind gleich um die Ecke, und zu Fuss oder mit dem Elektroscooter ist auch die Città Alta nah, der mittelalterliche Stadtteil von Bergamo mit den kleinen Gassen und vielen lauschigen Restaurants. «Das reicht für uns, ich hab noch keinen Grund gesehen, hier wegzuziehen.»

Eine Revanche für das 0:3 an der EM

Diesen Sonntag verbinden sich Freulers neue und alte Heimat miteinander: Die Schweiz trifft in Basel im Rahmen der WM-Qualifikation auf Italien. Eine Revanche für das 0:3 an der EM. «Zwar war in Bergamo vor allem die relativ gute EM der Schweiz ein Thema, aber es gab schon ein paar Sprüche in der Kabine», sagt Freuler. 

Freuler Remo, Fussball Nati, Atalanta Bergamo, mit Freundin Kristina, SI 35/2021

Mit Kristina Sivcic ist er seit bald fünf Jahren zusammen, seit 2019 sind sie verheiratet.

Remo Freuler Privat

Umso mehr ärgert es ihn, dass er ausgerechnet fürs Spiel gegen Italien gesperrt ist und erst drei Tage später gegen Nordirland wieder auflaufen darf. Die umstrittene Rote Karte aus dem EM-Viertelfinal wirkt sich auf die WM-Quali aus. Dafür freut er sich auf das neue Kapitel mit der Nati, das mit dem Trainerwechsel zu Murat Yakin beginnt. Ihn kennt er noch nicht persönlich, aber «es tut der Mannschaft sicher gut, dass wir wieder mal neue Inputs kriegen. Mich nimmts auch wunder, wie er spielen will.» Was erwartet er von Muri? «Für mich ist wichtig, dass wir es innerhalb der Mannschaft gut haben, dass er ehrlich ist mit den Spielern und seine eigene Spielphilosophie hat und uns diese weitergeben kann. Egal, was vorher war.»

In der Nati und im Verein zur wichtigen Stütze geworden

Und dann gibt es für Freuler im September und November noch zwei weitere spezielle Begegnungen: In der Champions League trifft Atalanta Bergamo auf die Berner Young Boys. «Das wird sicher ein interessantes Duell mit YB. Ich freue mich natürlich, wieder mal in der Schweiz zu spielen», sagt der Hinwiler, der mit seiner Lauffreudigkeit, Ballsicherheit und Übersicht in Verein und Nati zur wichtigen Stütze geworden ist. 

Freuler Remo, Fussball Nati, Atalanta Bergamo, SI 35/2021

Remo Freuler beim Café Balzer in Bergamo. In der Stadt bewegt er sich meistens mit dem Elektroscooter fort.

Kurt Reichenbach

«Es muss schon etwas Gutes kommen, damit ich von hier weggehe»

Remo Freuler

Ruhig, offen und bodenständig wirkt er, während er «sein» Bergamo zeigt und alle paar Minuten mit Fans für ein Foto posiert. Die Verbundenheit des Klubs mit der Stadt zeigt sich an jener süssen Geste: Jedes neugeborene Baby erhält ein Paket mit einem Mini-Atalanta-Trikot. Wie eine grosse Familie sei der Verein. Besonders befreundet sind die Freulers, die seit 2019 verheiratet sind, mit dem Arzt, den Physios und dem Koch des Vereins, gemeinsam haben sie gerade erst ein paar Tage in einer Hütte in den Bergen oberhalb Bergamos verbracht. Im Fussball kann es zwar schnell gehen, aber «es muss schon etwas Gutes kommen, damit ich mich von hier wegbewege».

Plötzlich waren die Grenzen zu – und Kristina in der Schweiz

Der Mittelfeldspieler hat mit Bergamo im vergangenen Jahr allerdings eine schwere Zeit durchgemacht. Zu Beginn der Corona-Krise war hier der europäische Hotspot; die Bilder aus den Spitälern und der Leichentransporte liessen den Schrecken des Virus real werden. «Es war hart», sagt Freuler über diese ersten Wochen, in denen niemand recht wusste, was zu tun ist. Seine Frau war kurz vorher in die Schweiz gereist, um von dort aus zum Champions-League-Spiel nach Valencia zu fliegen. Dann gingen die Grenzen zu – und sie konnte anderthalb Monate lang nicht mehr nach Hause. 

Freuler Remo, Fussball Nati, Atalanta Bergamo, SI 35/2021

Bergamo – hier die Città alta – hat für Freuler genau die richtige Grösse. Im nahen Mailand hat es ihm zu viele Menschen.

Kurt Reichenbach

Freuler verbrachte diese Zeit mit fünf anderen Spielern im Trainingszentrum von Atalanta, wo er wenigstens ab und zu ausserhalb des Zimmers frische Luft schnappen durfte. Alle kannten jemanden, der gestorben war, auch innerhalb des Vereins. «Deshalb sah man später auch kaum jemanden ohne Maske, als diese draussen Pflicht war. Alle haben sich an die Regeln gehalten.» Nun erhole sich die Stadt langsam, auch die Touristen kommen wieder zurück. Doch in den Seitengassen erinnern Dutzende geschlossene kleine Geschäfte an die Auswirkungen der Pandemie.

«Das Trikot muss immer verschwitzt sein»

Umso heller leuchteten die Siege von Atalanta Bergamo! Sie brachten etwas Freude in die dunkle Zeit, auch wenn den Fans Livespiele gegen Madrid oder Liverpool entgingen. Dabei sagt man hier «La maglia sudata sempre», «das Trikot muss immer verschwitzt sein» – solange die Spieler alles geben und Einsatz zeigen, ist man zufrieden. Freuler hat das intus, er spult auf dem Platz so viele Kilometer ab wie sonst kaum einer und fühlt sich wohl in seiner Rolle als Vize-Captain. Grande Remo eben. 

Von Eva Breitenstein am 5. September 2021 - 18:09 Uhr