Rrratsch! Der seitliche Hebel des einarmigen Banditen rasselt nach unten, und zwischen tausend blinkenden Lichtlein auf dem Display vollführen farbige Symbole auf drehenden Rollen einen wilden Tanz. Bis das Gebimmel einer virtuellen Glocke aufhört und alle Rädlein der Slotmaschine stillstehen. «Mist, wieder nix!», ruft Remo Käser, 22. Der Ärger indessen ist nur gespielt. Käser hat sein typisches Lausbubengesicht mit dem verschmitzten Lachen aufgesetzt.
Hier drin, im endlos grossen Casino des Hotels Luxor, würde ohnehin jeder noch so lautstarke Fluch wirkungslos verpuffen. Es ist zwar erst Wochenmitte, aber trotzdem herrscht unter dem Pyramidendach am südlichen Ende von Las Vegas’ berühmtem Strip Hochbetrieb und entsprechender Lärm zwischen Spielautomaten, Roulettetischen und Blackjack-Theken.
Remo Käser hat alles ausprobiert. «Aber kleine Gewinne sind gleich beim nächsten Spiel wieder versickert», gesteht er lachend. Der finanzielle Schaden ist überschaubar; Käser hat sich ein ziemlich enges Dollar-Limit gesetzt. «Ist es aufgebraucht, ist fertig mit Spielen. Aber wenn man hier in Vegas ist, muss man einfach ein bisschen zocken.»
Pech im Spiel, Glück in der Liebe. Rebecca steht neben dem Automaten und strahlt ihren Schatz an. Vor fünf Jahren hat sie Remo kennengelernt, seit drei Jahren ist sie die Frau an der Seite des Schwingers, und seit zwei Jahren wohnt das Paar zusammen in Burgäschi SO, nahe der emmentalischen Heimat Käsers.
Seit einem Jahr haben Remo und die drei Jahre ältere Rebecca eine grosse Reise nach dem Eidgenössischen in Zug geplant. Dafür hat die Fachangestellte Gesundheit am Berner Inselspital ihr Ferienkonto 2019 geplündert und dazu drei Wochen unbezahlten Urlaub genommen. Der gelernte Spengler Remo arbeitet derzeit im Stundenlohn beim gleichen Futtermittelhersteller wie Papa Adrian und konnte sich deshalb sechs Wochen frei nehmen.
Nun also der grosse USA-Trip. Und das zu viert: Remos Eltern Elisabeth und Adrian begleiten das junge Paar während drei von sechs Reisewochen. Zu ihrem 50. Geburtstag wünschte sich Mama Lisi eine Malediven-Reise. Doch Papa Ädu, 48, der jüngste Schwingerkönig der Geschichte (1989 in Stans NW), konnte sie vom Mittleren Westen Amerikas überzeugen, den er früher schon verschiedentlich mit Schwingerkollegen bereist hatte. Und als am Käser-Familientisch zur Sprache kam, ob man die Reisepläne nicht gemeinsam realisieren wolle, waren Remo und Rebi sofort einverstanden.
Dass seine Schwestern Rahel, 21, und Sina, 20, den Trip nicht mitmachen konnten, war Remo nur recht: «Ich habe wegen des Sports oft auf Ferien mit meinen Eltern verzichten müssen. Jetzt war es umso schöner, sie einmal ganz für mich zu haben.»
Mit der Swiss nach San Francisco, im Mietauto die US-Westküste hinunter, durch die Nationalparks und via Las Vegas zurück nach Kalifornien führte der Weg. Von dort flogen die Eltern zurück in die Schweiz, während Remo und Rebecca noch drei Wochen Hawaii anhängten.
«Wir wohnten hauptsächlich in Airbnb-Apartments und Motels, lieber auch mal etwas einfacher, und investierten dafür gerne etwas mehr in Attraktionen wie Whale-Watching, Vergnügungsparks oder einen Heliflug im Grand Canyon», erzählt Adrian Käser.
Vereinzelt belegte man sogar zu viert ein gemeinsames Zimmer. Kein Problem für Rebecca, die erstmals mit der Familie verreiste? «Nein, die Käsers sind sehr unkompliziert und herzlich. Ich hoffe einfach, sie haben mich nach der Reise noch gleich gern wie vorher …»
Für Remo Käser hatte die Reise mehr als «nur» Ferienwert. Der Schwinger, der auf dem Trip den innerfamiliären Reisekosten-Ausgleich via Twint koordinierte, hat eine sportlich schwierige Zeit hinter sich.
Im Juni verletzt er sich während eines Kampfes an der Halswirbelsäule. Für das Eidgenössische fühlt er sich Ende August zwar wieder einsatzbereit, doch das ist ein Trugschluss. Nach vier Gängen muss er in Zug aufgeben. Weil eine Bandscheibe auf den Nerv drückt, kann er mit dem linken Arm nicht richtig ziehen. Und nun geht das Gerede in der Schwingwelt erst richtig los.
Remo, der anders als die meisten Zunftkollegen sehr extrovertiert und in der Öffentlichkeit aktiv ist, wird vorgeworfen, er verzettle sich, würde besser seine Verletzung auskurieren, als eine solche Reise anzutreten. «Ich musste mir in Zug am Rande des Wettkampfplatzes sogar anhören, Remo simuliere nur», sagt Mutter Elisabeth. «Das tat richtig weh. Ich weiss doch, wie sehr er mit seiner Situation kämpfte.»
Auch Adrian Käser litt mit seinem Sohn. Als SRF-Experte muss er sich am Mikrofon stets um Neutralität bemühen, «dabei wusste ich genau, wies in Remo aussieht».
Dass in den Medien sogar spekuliert wurde, Remo Käser würde nicht mehr zum alten Leistungsvermögen finden, seine Karriere sei gefährdet, ärgert den Schwinger am meisten: «Ich klärte alles vor der Reise mit den Ärzten ab. Meine Verletzung ist nicht wie bei Sempach eine chronische, die ihn zum Rücktritt zwang, sondern eine traumatische, die voll ausheilen sollte. Ich werde auch meine Spezialität, die Nackenbrücke, mit Sicherheit wieder voll anwenden können.»
Und im Gegensatz zu gewissen Spekulationen sieht Remo Käser die lange USA-Reise als Gewinn für seine Gesundheit: «Wir haben vor dem Trip vereinbart, dass wir unterwegs möglichst nicht übers Schwingen reden. So konnte ich meinen Kopf komplett auslüften. Jetzt bin ich wieder fit und ‹giggerig› aufs Sägemehl.»
Zur grossen Reise als Auszeit vom Sport hat Remo Käser übrigens auch Mättu Sempach geraten. Den zog es 2013 nach dem Titelgewinn in Burgdorf nach Südamerika. So ein königliches Beispiel kann nicht falsch sein.
Mit Einschränkungen allerdings: Kurz nach der Argentinien-Reise wurde Sempachs Partnerin Heidi schwanger. Da wollen Remo und Rebi noch nicht mithalten: «Es pressiert nicht. Drum haben wir auch um die Hochzeitskapellen in Las Vegas noch einen Bogen gemacht», sagt Remo lachend. Das gemeinsame Reiseglück reicht fürs Erste. So viel Pech im Spiel hat er dann auch wieder nicht.