Die Nähmaschinen rattern, konzentriert wirkende Gesichter beugen sich über Stoffbahnen. Aus Schnittmustern werden Formen, aus Formen Kleider. Rund 150 Winterjacken entstehen derzeit in Rothrist AG, mitten in der Schweiz. Eine Seltenheit.

Fünf Näherinnen und Näher stellen die Winterjacken von Rotauf in Rothrist AG her.
Véronique HoeggerRemo Frei (48), Gründer der Firma Rotauf, geht mit Jessica Fehr (37), der Geschäftsführerin des Outdoorbrands, durch die Produktionshalle. Die beiden sind zu Besuch bei der Wimo AG, einem Textilhersteller, der Jacken, Hosen und Shirts für Rotauf näht – und der einer der über 20 Produktionspartner in der Schweiz ist. «Dass wir hier produzieren können, ist nicht selbstverständlich», sagt Frei. «Aber es gibt in der Schweiz das Potenzial – und genug Menschen, die bereit sind, für Schweizer Handarbeit zu zahlen.» Die Firma mit Sitz in Chur GR macht jährlich einen Umsatz im unteren siebenstelligen Bereich.
Die Textilbranche zählt zu den grössten Umweltsündern. Als der Industriedesigner Remo Frei und der Maschinenbauingenieur Curdegn Bandli (48) 2013 die Marke gründeten, wollten sie beweisen, dass nachhaltige Outdoorbekleidung nicht nur in den Alpen funktioniert, sondern dort auch entstehen kann.
Rotauf gehört zu den ersten Labels, die vollständig PFAS-freie Kleidung herstellten – also ohne die «Ewigkeitschemikalien», die sich kaum abbauen, sich im Körper anreichern und Leber, Nieren und Schilddrüse schädigen können. Drei Jahre nach der Gründung unterzeichnete Rotauf als eine von nur drei Outdoormarken weltweit das Greenpeace Detox Commitment und verzichtet seither – anders als in der herkömmlichen Herstellung üblich – auf rund 430 gefährliche Chemikalien.«Bergsport und Umweltschutz gehören zusammen», sagt Frei. «Es ist absurd, draussen unterwegs zu sein und dabei die Natur zu zerstören.»

Der neuste Stoff von Rotauf ist elastisch wie Elastan, besteht aber nicht aus Erdöl, sondern hauptsächlich aus nachwachsendem Maiszucker.
Véronique HoeggerNeu arbeitet Rotauf mit Sorona, einem elastischen Material aus Maiszucker. «In unserer Branche wird extrem viel Elastan verwendet – dieses lässt sich aber kaum recyceln, wenn es etwa mit Baumwolle gemischt ist», erklärt Jessica Fehr. «Sorona besteht nicht aus Erdöl, sondern aus Maisstärke, also einem nachwachsenden Rohstoff. Wir suchen immer weiter nach besseren Lösungen.»
Bei Rotauf gibt es zwei Kollektionen. Die erste wird fast vollständig in der Schweiz produziert – vom Schnitt bis zum Stoff, von der Wolle bis zur Naht. Ein Reissverschluss aus der Schweiz kostet 25 Franken, ein vergleichbarer aus Europa drei bis acht Franken. «Das ist die Realität, mit der wir arbeiten», sagt Fehr. «Darum sind 1450 Franken für einen Mantel auch ein guter Preis. Wir wollen nicht das Minimum an Swissness – wir wollen das Maximum.»
Die zweite Kollektion ist vor allem für Bergsportler gedacht und etwas günstiger. Sie wird in der Schweiz und in Europa gefertigt, hauptsächlich in Litauen. «Wir arbeiten dort mit einer mittelgrossen Firma, die Näherinnen erhalten faire Löhne und müssen nicht in Schichten arbeiten», sagt Jessica Fehr, die vor ihrer Zeit bei Rotauf zehn Jahre in der Luxusbranche tätig war, etwa bei Akris und Vetements.

Eine Winterjacke hat 53 Schnittteile. Sie herzustellen, dauert etwa zwei Stunden.
Véronique Hoegger«Die Outdoorbranche bewegt sich in eine fragwürdige Richtung: Alles muss leichter und leistungsstärker werden. Wir machen da nicht mit», erklärt Remo Frei. «Nachhaltigkeit ist wichtiger als maximale Funktionalität. Unsere Kunden tragen lieber einige Gramm mehr mit sich und verzichten auf maximale Wasserabweisung, als Tiere zu quälen oder die Natur zu vergiften.» Ein Beispiel: Daunen versus Wolle. Wolle ist schwerer, dafür antibakteriell, und sie reguliert sowohl Wärme als auch Feuchtigkeit besser. «Oft wird Wolle einfach verbrannt, weil sie nicht gebraucht wird», sagt Frei, «darum füttern wir unsere Jacken nicht mit Daunen, sondern mit Wolle aus Graubünden – auch wenn sie dadurch leicht schwerer werden.»

Die Firma füttert ihre Jacken mit Bündner Wolle statt Daunen – sie ist zwar schwerer, dafür tierfreundlicher.
Véronique HoeggerImmer wieder sucht die Firma neue Wege. Während der Pandemie arbeitete Rotauf mit einem Trachtenatelier aus dem Toggenburg zusammen. «Wegen Corona gabs keine Trachtenfeste mehr, das Atelier hätte schliessen müssen», erzählt Frei. Die Schneiderinnen nähten statt Mieder dreilagige Funktionsjacken – präzis und wasserdicht. «Für uns war diese Zusammenarbeit ein Lichtblick – Hightech traf auf Tradition.» Oder kürzlich: Aus überschüssigem Garn aus ihrer Hoodie-Produktion entstanden in Zusammenarbeit mit dem Glarner Traditionsunternehmen Weseta 400 Badetücher – made in Switzerland natürlich.
Und Rotauf macht weiter. Um sichtbar zu machen, wie gross das Umweltproblem der Outdoorbranche ist, liess die Firma Schnee- und Wasserproben aus den Alpen analysieren – von Arosa über das Jungfraujoch bis zum Oeschinensee. Das Resultat ist alarmierend: Alle Proben enthielten PFAS, die höchsten Werte wurden auf dem Matterhorn gemessen. «PFAS sind nur die Spitze des Eisbergs. Verantwortung tragen wir alle – Marken und Kundschaft. Wer bewusst einkauft, kann die Zukunft mitgestalten.»

