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  4. Ruedi Noser verlässt den Ständerat: Der FDP-Politiker über Vermächtnis, Freundschaft und Karriere

Rudi Noser verlässt den Ständerat

«Ich stehe zu meinen Fehlern»

Ein Schwergewicht der Politik tritt ab. Der freisinnige Zürcher Ständerat Ruedi Noser über sein Vermächtnis, die Freundschaft mit SP-Kollege Daniel Jositsch und darüber, wie er trotz Legasthenie Karriere machte.

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Ruedi Noser

Ruedi Noser beim Viadukt im pulsierenden Kreis 5 in Zürich. 

Geri Born

Nach fast 20 Jahren in der Bundespolitik zieht sich Ruedi Noser, 61, zurück. Wenn die Schweiz im Oktober 2023 das Parlament neu wählt, steht der Wahlzürcher als Ständerat nicht mehr zur Verfügung. Zum Interview auf der Josefwiese kommt der Unternehmer locker in Turnschuhen. Später stösst sein jüngster Sohn David, 18, auf ein Bier dazu. «Eigentlich mag ich lieber Wein – doch bei der Hitze mach ich eine Ausnahme», sagt Noser.

Ruedi Noser, wir treffen uns auf der Josefwiese im früheren Zürcher Industriequartier. Was bedeutet Ihnen dieser Platz?
Es ist für mich ein Ort voller Sentimentalitäten. Ich habe lange gleich in der Nachbarschaft gewohnt und bin während zehn Jahren jeden Sommer hierhergekommen. Viele Stunden habe ich hier mit Bücherlesen verbracht.
Was sagt ein solches Quartier über eine Stadt?
Es ist schade, dass die grosse SBB-Überbauung zwischen Gleisfeld und Wiese mit günstigen aber auch marktpreisüblichen Wohnungen blockiert ist. Sie würde frischen Wind und neue Menschen ins Quartier bringen. In der aktuellen Situation ist es leider oft so, dass nur immer ähnliche Menschen hier wohnen – nach dem Motto: Die Gleichen bleiben unter sich. So gesehen ist es ähnlich wie in einem Dorf. Die Weltoffenheit beschränkt sich auf die Gleichdenkenden.
Aber ist das nicht auch politisches Kalkül der Stadtregierung – quasi nach dem Motto: Wenn man nur Gleichdenkende anzieht, wird die eigene Macht zementiert?
Das würde ich nie so sagen. Denn dann müsste man von Korruption sprechen. Ich vermisse vielmehr bei einigen Stadtbewohnern die Bereitschaft zum grossen Denken. Viel öfter trifft man das Kleinkarierte. Der Kreis 5 ist viel näher an meinem Heimatort Niederurnen in Glarus, als man denken würde.
Apropos: ein Glarner in Zürich. Wie haben Sie sich anfangs hier zurechtgefunden?
Ich denke, dass ich mit meiner Vita den Kanton Zürich ziemlich gut vertrete. Schliesslich sind die meisten Menschen von irgendwoher zugezogen. Ich kann mit Fug und Recht sagen: In Glarus wäre meine Karriere nie möglich gewesen – weder geschäftlich noch politisch. Weil in Zürich die Leistung zählt – und nicht das Beziehungsnetz. Ich habe Zürich in dieser Hinsicht als sehr offen erlebt. Mein Vorgänger als Zürcher Ständerat, Felix Gutzwiller, war ein Basler. Das sagt einiges aus – im Positiven.

Ruedi Noser

Schwungvoll auf der Josefswiese: Noser will künftig neue Wirtschaftsmandate annehmen.

Geri Born

Sie vertreten seit sieben Jahren Zürich im Ständerat. Lässt sich die heutige Welt mit derjenigen von 2015 noch vergleichen?
Es hängt davon ab, was man alles vergessen hat. Vieles war damals schon ähnlich problematisch wie heute: die Finanzkrise, die Schwarzgeldthematik, die Problematik mit den USA. Es gab immer schwierige Zeiten mit grossen Problemen. Was man aber bedenken muss: Im Jahr 2000 wiesen wir in der Stadt Zürich das grösste Pro-Kopf- Einkommen der Schweiz aus. Mittlerweile hat uns Basel-Stadt überholt.
Aber in den letzten drei Jahren wurde alles auf den Kopf gestellt …
Die Summe der Probleme ist gleich geblieben, aber wir haben jetzt viele reale und unmittelbare Sorgen. Mit der Pandemie und dem Ukraine-Krieg sind wir mit Problemen konfrontiert, vor denen sich niemand verschliessen kann. Nehmen wir die Energiekrise: In der Stadt Zürich dominiert seit 20 Jahren eine rot-grüne Mehrheit, dennoch gibt es kaum öffentliche Gebäude mit Solarzellen, und bei den Null-Energie-Häusern ist die Stadt noch nirgends.
Sie sind erst 61. Weshalb treten Sie zurück?
Nicht wegen des Alters, sondern wegen der Amtsdauer. Ich werde auch nach meinem Rücktritt ein politischer Mensch bleiben, aber die Zeit als gewählter Politiker ist vorbei. Meine Schaffenskraft soll künftig vermehrt in andere Projekte fliessen – vor allem möchte ich wieder mehr Mandate in der Wirtschaft wahrnehmen. Und politisch übernimmt mein Sohn David Noser vielleicht dereinst die Nachfolge. Er kandidiert in Winterthur bei den Jungfreisinnigen für einen Sitz im Kantonsrat – auf dem hoch respektablen letzten Listenplatz.
Wie unterstützen Sie ihn?
Mit Rat und Tat. Alles andere hat er nicht nötig. Ich musste meinen Weg damals auch alleine machen.

Foto: Joseph Khakshouri 26.07.2022 Ruedi Noser Trifft seinen juengsten (18) Sohn David (Kantonsrat-Kandidat) bei der Josef Wiese. Zürich (ZH)

Nosers Sohn David macht das KV bei der Axa-Versicherung – und will in die Politik.

Joseph Khakshouri

Sie hatten keine Schützenhilfe?
Nicht direkt. Aber ich habe mich auch deshalb durchgesetzt, weil mir meine Eltern eine gute Erziehung und ein intaktes Selbstvertrauen mitgegeben haben. Mein Vater war ein typischer Handwerker. Er war überzeugt, dass er alles mit den eigenen Händen tun konnte – und setzte sich damit generös für die ganze Familie ein. Nach der sechsten Klasse musste er in der Fabrik arbeiten, danach kam der Aktivdienst während des Zweiten Weltkriegs. Erst mit 27 Jahren konnte er eine Lehre als Automechaniker absolvieren.
Sie leiden an Legasthenie. Wie haben Sie es dennoch geschafft, Karriere zu machen?
Hier spielt das erwähnte Selbstvertrauen eine Schlüsselrolle. Und ich habe immer viel gelesen. In Aufsätzen erhielt ich inhaltlich oft die Bestnote, was die Abstriche bei der Rechtschreibung teilweise kompensierte. Meine politischen Reden schreibe ich alle selbst. Wenn ich den Text mündlich vortrage, bemerkt ja niemand die Schreibfehler. Grundsätzlich habe ich gelernt, zu meinen Fehlern zu stehen – und ich möchte meine Mitmenschen dazu ermuntern, dass sie das auch tun. Viele Leute haben eine perfekte Rechtschreibung, aber nichts zu sagen. Da sind mir meine Fehler lieber.
Ihr Ständeratskollege Daniel Jositsch hat als Professor der Rechtswissenschaften eine ganz andere Vita. Harmonieren Sie deshalb so gut mit ihm?
Vielleicht. Aber in erster Linie denken wir beide nicht im Links-rechts-Schema. Daniel Jositsch bezeichnete sich selbst einmal als Sozialliberalen – und mich als sozialen Liberalen. Das bringt es auf den Punkt. Wir beide fühlen uns stets dem gesamten Kanton verpflichtet, weil wir von unserem Werdegang als «nicht waschechte Zürcher» einiges gemeinsam haben und so für die Mehrheit stehen. Wie gesagt: 60 Prozent der Einwohner Zürichs stammen von ausserhalb.

Ruedi Noser, zeigt erstmals seine Partnerin Lisa Kneubuehler 18. Zuecher Opernball im Opernhaus in Zuerich am 10.03.2018 (c) Alexandra Pauli

Ruedi Noser mit seiner Partnerin, Kommunikationsberaterin Lisa Kneubühler, am Opernball 2018.

(c) Alexandra Pauli

Mit der Noser Group besitzen Sie ein Grossunternehmen mit 700 Angestellten und einem Umsatz von 120 Millionen Franken …
Manchmal wird mir beinahe schwindlig, wenn ich sehe, wie viele Löhne wir ausbezahlen – nicht wegen der Summe, sondern wegen der sozialen Verantwortung, die wir tragen. Das ist eine Verpflichtung. Mein Bruder Hans und ich gründeten das Unternehmen 1984 in einem Hinterhof in Winterthur. Seither sind wir kontinuierlich gewachsen. Heute umfasst die Noser Group zahlreiche Unternehmen, die in verschiedenen IT-Bereichen tätig sind. Wichtig ist, dass ich die Nachfolge bereits in gute Hände übergeben konnte. Herbert Ender führt die Noser-Gruppe bereits seit 2015 als CEO, und seit dem 1. Januar 2022 hat mit Remo Noser ein Vertreter der nächsten Generation eine wichtige Führungsrolle inne. Ausserdem verfügen wir mit Roland Köhler über einen VR-Präsidenten, der nicht aus der Familie stammt.
Ist Ihre Erfahrung als Unternehmer auch in der Politik wichtig?
Definitiv. Bei gewissen Politikern fehlt mir gelegentlich der Bezug zur realen Wirtschaft. Man bemerkt ziemlich schnell, ob jemand auch geschäftlich Verantwortung übernehmen muss. Unlängst wurde beispielsweise ein Geschäft in der Kommission für Soziales und Gesundheit per Mehrheitsentscheid durchgewinkt – und erst nachträglich entdeckt, dass dieser Entscheid 20 Milliarden Franken kostet. Als Unternehmer weiss man, dass die Kosten für Entscheide bekannt sein müssen.
Nochmals zurück zu Ihrer Familie. Sie haben fünf Kinder, aber leben seit Längerem von Ihrer Ehefrau getrennt. Weshalb kam es zum Bruch? Als wir heirateten, schworen wir uns keine Beziehung, bis dass der Tod uns scheidet, sondern solange wir beide wollen. Irgendwann bemerkten wir, dass wir an einem Punkt angelangt waren, an dem wir etwas anderes wollten. Wir sind aber nach wie vor gute Freunde und tauschen uns sehr regelmässig aus.
Ihre neue Partnerin halten Sie aus der Öffentlichkeit fern. Weshalb?
Das habe ich mit meiner ganzen Familie immer so gehandhabt. Als Politiker gibt man durch sein Schaffen schon viel Intimes preis. Man steht praktisch permanent in der Öffentlichkeit und wird von allen beurteilt. Deshalb ist es wichtig, dass meine Familie geschützt wird. Von Lisa und mir gibt es genau ein öffentliches Foto – vom Opernball 2018. Und das wird sich nicht ändern.

Interview: Thomas Renggli am 29. Juli 2022 - 11:44 Uhr