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Ruedi und Sabine Lüthy

«Wir sind aus dem gleichen Holz»

Als Pionier baute Ruedi Lüthy vor 20 Jahren in Afrika eine Klinik für HIV-Patienten auf. Tochter Sabine führt das Werk des Vaters fort. Wer von ihnen sturer ist, wie sie sich gegenseitig motivieren – und wo sie an Grenzen stossen.

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Ruedi Luethy, Tochter Sabine Luethy, Ruediluethyfoundation, 80 Jahre, Muntelier FR, 2021

Arbeitsbesuch ums Eck: Ruedi Lüthy bei seiner Tochter Sabine und Haushund Juna in Muntelier FR. Lüthy wohnt nur 100 Meter Luftlinie entfernt.

Geri Born

Seit bald einem Jahr ist Ruedi Lüthy, 79, nicht mehr in Simbabwe gewesen. «Im März kehrte ich zurück», seufzt er wehmütig im Wohnzimmer seiner Tochter Sabine, 51, in Muntelier FR. So lange ist der Arzt noch nie weggeblieben von seiner vor 17 Jahren in Harare gegründeten Newlands Clinic. Lüthy sitzt in der Schweiz fest, aber er weiss, dass trotz grassierender Pandemie der medizinische Betrieb weiterläuft. Seine Patienten haben weiterhin Zugang zu überlebenswichtigen HIV-Behandlungen – wenn nötig, werden sie auch mit Grundnahrungsmitteln versorgt. Dafür gibts ein Team vor Ort – und eben seine Tochter, die seit 2012 die Geschäfte der Ruedi Lüthy Foundation führt.

Ruedi Lüthy, in wenigen Tagen werden Sie 80, Ihre Stiftung feiert 2023 das 20-Jahr-Jubiläum. Stolz?
Ach, mein Geburtstag spielt doch keine Rolle. Das ist einfach irgendein Tag, nur machen wir in unserer Gesellschaft aus so runden Zahlen etwas Spezielles. Dass die Stiftung seit bald zwanzig Jahren erfolgreich ist – und ich gehe fest da- von aus, sie wird es auch in zwei Jahren sein – das ist für mich ein toller Erfolg.

Rechneten Sie damit?
Nein. Meine Tochter ist die Vorausplanende. Ursprünglich wollte ich ja gar keine Klinik aufbauen. Meine Idee war, das Wissen, das ich als Aidsspezialist seit Anfang der 1980er-Jahre gesammelt hatte, nach Afrika zu bringen und dort anzuwenden. Mit ein entscheidender Punkt war, dass die ersten Generika von HIV-Medikamenten zu bezahlbaren Preisen verfügbar waren. Aus dieser Kombination, Wissen zu vermitteln und Medikamente zu haben, entstand die heutige Klinik.

Ruedi Luethy, Tochter Sabine Luethy, Ruediluethyfoundation, 80 Jahre, Muntelier FR, 2021

Zuneigung: Auch wenn es hin und wieder Diskussionen gibt – Vater und Tochter eint das Ziel, die Arbeit in Afrika fortzusetzen.

Geri Born

Ihre Tochter ist die, die vorausplant. Herrschen da grosse Unterschiede zwischen Ihnen beiden?
Sabine Lüthy: Ich sags mal so – wir sind aus dem gleichen Holz, unsere Werte sind identisch. Mein Vater ist der Typ Pionier: Er kommt und macht einfach. Meine Aufgabe dagegen ist es, vorauszuschauen, dafür zu sorgen, dass alles, was mit der Stiftung und mit der Klinik in Harare zu tun hat, korrekt aufgebaut und für die Zukunft abgesichert ist. Für meinen Vater ist das manchmal mühsam – und für mich wirds anstrengend, wenn er dreinfährt und etwa fragt: Hast du dir das gut überlegt? Wir beide können manchmal sehr stur sein.
Ruedi Lüthy: Mit dem meisten von dem, was du sagst, bin ich einverstanden. Aber dass ich sehr stur sein soll, ist nicht wahr.
Sabine: Okay, sehr stur nicht.

Aber ein bisschen schon?
Ruedi: Ich habe Prinzipien, die ich ungern verlasse. Bei Gerechtigkeit und Respekt mache ich keinerlei Abstriche.

Ruedi Luethy, Tochter Sabine Luethy, Ruediluethyfoundation, 80 Jahre, Muntelier FR, 2021

Ruedi Lüthy: «Ich habe Prinzipien. Bei Gerechtigkeit und Respekt mache ich keinerlei Abstriche.»
 

Geri Born

Erinnern Sie sich ans erste Budget, als Sie 2003 in Simbabwe starteten?
Da ging es um rund 4000 US-Dollar. Ich wollte zunächst eine kleine Gruppe von Krankenschwestern ausbilden, die ihr Wissen dann weitergeben. Als wir begannen, gingen wir von einem Monatsverdienst einer Krankenschwester von 30 Dollar aus. Im Jahr drauf war er bereits auf 150 Dollar gestiegen – auch wegen der Inflation. In so einer Situation planen zu wollen, ist schwierig. Zumal ich keinerlei Erfahrung mit afrikanischen Verhältnissen hatte. Und nicht selten bereiteten uns amtliche Stellen Schwierigkeiten.

Sie arbeiten als Vater und Tochter eng zusammen?
Ruedi: Bis vor ein paar Jahren war es intensiver, vor allem, als ich noch öfter vor Ort war. Ich habe mich etwas zurückgezogen – oder fast schon ganz.
Sabine: Halt, das stimmt so aber nicht!
Ruedi: Ich bin eine Art Berater für Sabine geworden. Und nach wie vor sehr interessiert daran, was vor Ort in Harare läuft. Aber ich muss mich schon etwas zusammennehmen, um mich nicht in Sachen einzumischen, die jetzt andere Leute machen.

Fällt Ihnen das schwer?
Natürlich!

7000 PATIENTEN

werden von einem 75-köpfigen Team, davon 72 einheimische Mitarbeiter, jährlich behandelt. Die Klinik (Jahresbudget sieben Millionen Franken) wird von der Deza unterstützt.

www.ruedi-luethy-foundation.ch

Sabine Luethy, Tochter von Ruedi Luethy, Ruediluethyfoundation, 2012, SI 06/2021

Sabine Lüthy in Harare, wo auch kindgerechte Gruppentherapien angeboten werden.

Hervé le Cunff
Ruedi Luethy, Ruediluethyfoundation, Simbabwe 2012, SI 06/2021

Ruedi Lüthy bringt für Patienten der Klinik bei Bedarf auch Vorräte an Grundnahrungsmitteln.

Hervé le Cunff

Anfang der 1980er-Jahre ist Ruedi Lüthy einer der ersten Ärzte in der Schweiz, die Aids am Patienten diagnostizieren. Zunächst muss er mit ansehen, wie HIV-Patienten wegsterben, ohne etwas dagegen tun zu können. Dann ist er dabei, als in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre Fortschritte bei der Behandlung HIV-positiver Menschen erzielt werden – und engagiert sich als Gründer und Leiter im Zürcher Lighthouse, wo Aidskranke bis zu ihrem Tod begleitet werden. 2003 geht er nach Simbabwe und eröffnet kurze Zeit später in der Hauptstadt Harare die Newlands Clinic.

Ruedi Lüthy, gabs in all den Jahren auch mal einen Moment, wo Sie ans Aufhören dachten?
Den gabs in der Tat. 2005 liess der damalige Machthaber Robert Mugabe die Siedlungen rund um die Städte räumen. Das war für die Menschen etwas vom Grausamsten, was man sich vorstellen kann. Ich hörte vor allem von Patientinnen, wie das Militär und die Polizei mit den Bewohnern umgingen – einfach unglaublich. Für mich war das ein Moment, wo ich nicht mehr wollte und konnte und mir sagte: Jetzt muss ich heim in die Schweiz. Es war das einzige Mal, dass mir der Geduldsfaden riss.

Wie motivierten Sie sich, dennoch weiterzumachen?
Ich kehrte für sechs Wochen in die Schweiz zurück. Die Ruhe hier und die Distanz halfen mir, neue Kraft zu schöpfen. Vor allem ein Spruch wurde mir zur Kraftquelle – das Gelassenheitsgebet: Gott, schenke mir die Kraft, das zu tun, was ich vermag, zu lassen, was ich nicht ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Sabine, wie erlebten Sie damals Ihren Vater?
Obwohl es nur wenige Wochen waren, ist es schwierig gewesen, ihn so zu erleben. Es herrschte eine gewisse Ohnmacht: Aber er rappelte sich selbst wieder auf. Es war auch ein Schnitt, der uns damals bewusst machte, dass wir manches einfach nicht ändern können, weil das Elend zu gross ist. Dies ist das Schwierigste an unserer Arbeit – heute noch.

Sabine Luethy, Tochter von Ruedi Luethy, Ruediluethyfoundation, 80 Jahre, Muntelier FR, 2021

Sabine Lüthy: «Ich sorge dafür, dass das Werk meines Vaters für die Zukunft abgesichert ist.» 

Geri Born

Wie gehen Sie damit um?
Sabine: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich einiges an Schmerz ertrage, solange ich mit meinem Vater oder anderen darüber sprechen kann. Aber es gibt Momente, da muss ich abschalten.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Vergangenen Dezember stand ich in der Hütte eines HIV-Patienten und hörte ihm zu. Die Geschichte des Mannes tat mir so weh, ich musste mich für einige Minuten abkapseln.

Ruedi Lüthy, wie berühren Sie solche Schicksale?
Sabine spricht besser über Emotionen als ich. Ich behalte es mehr für mich. Das hat sicher mit meiner Persönlichkeit zu tun. Ich bin eher einer, der sich zurückzieht. An einem Tisch mit fünf Personen bin garantiert ich der, der schweigt.
Sabine: Und die, die redet, bin ich ...
Ruedi (lacht): Das habe ich damit nicht sagen wollen. Es gibt einfach Leute, die das Bedürfnis haben, ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Ich mache das halt nicht so, wobei sich das etwas geändert hat, seit ich im Lighthouse tätig war. Dort musste ich meine Verschlossenheit ändern, sonst wäre ich an dem Leid erstickt. Statt zu reden, gehe ich lieber ein bisschen am See laufen.

Ruedi Luethy, Tochter Sabine Luethy, Ruediluethyfoundation, 80 Jahre, Muntelier FR, 2021

Vertraut: Ruedi und Sabine Lüthy am Ufer des Murtensees. Für den Aidsarzt und Pionier eine Kraftquelle.

Geri Born

Gibt es bleibende Erinnerungen?
Ruedi: O ja! Zum Beispiel an einen kleinen Buben, der als einer der Ersten von unseren HIV-Medikamenten bekam. Er ist jetzt 23 und strahlt eine Lebensfreude aus, die ansteckt. Die positiven Erfahrungen und Erlebnisse überwiegen schon.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten bei der guten Fee ...
... dann wäre es der, dass die Ungerechtigkeit und der fehlende Respekt gegenüber Menschen aufhören.

Von René Haenig am 14. Februar 2021 - 12:00 Uhr