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Speed-Painterin Corinne Sutter

Kunst ist ihre Droge

Startet international als Speed-Malerin durch: Corinne Sutter zaubert Gesichter im Eiltempo auf die Leinwand und verblüfft damit sogar die Prominenz. Nun gibt die 38-Jährige auf einem riesigen Wandbild Einblick in ihre Gedankenwelt.

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Corinne Sutter, Künstlerin

Operation auf der Leinwand: Wenn Corinne Sutter in ihrem Atelier in Aarwangen BE ihre Kreativität auslebt, fliesst Farbe so rot wie Blut.

Kurt Reichenbach

Die Frau hat Power wie ein Vulkan. Und einen Durchhaltewillen, der beeindruckt. Seit Stunden steht Corinne Sutter eingepfercht in einem Schacht, um ihre Lebensvision an die Wand zu malen. Hat sie einen Krampf im Arm, schüttelt sie ihn lachend weg. Das 80 Quadratmeter grosse Gemälde im Foyer eines Mehrfamilienhauses im aargauischen Gränichen erstreckt sich über vier Etagen. Wer der Künstlerin bei der Arbeit zuschaut, wird mitgerissen von ihrem inneren Feuer. Pinselstrich um Pinselstrich erzählt sie ihre Sicht des Menschseins – mit allen Höhen und Tiefen.

Die Geburt findet im Parterre statt. Die Kindheit: Sie ist hell und leicht. Man scheint in einem imaginären Paradies zu schweben. Im zweiten Stock werden die Formen enger, die Zwänge sichtbarer. Hier hat Corinne Sutter die Jugendjahre festgehalten. Die Symbolik des Erwachsenendaseins im dritten Stock ist grau – es sei denn, man bricht aus und gestaltet sich den Alltag bunt. Im vierten Stock sind die Alten und Weisen zu Hause. Ein Greis läuft ins Beinhaus, es ist sein letzter Gang. Der dünne Körper wirft einen langen Schatten. «Dieser Mann nimmt nicht nur viel mit, es wird auch viel von ihm zurückbleiben. Er hat den Tod akzeptiert und klammert sich nicht ans Leben. Das sollten wir alle beherzigen, wenn es einmal so weit ist. Ich habe lange überlegt, wie ich diesen Gedanken konkretisieren kann.»

Corinne Sutter, Künstlerin

Für ein Mehrfamilienhaus in Gränichen schuf Corinne Sutter im Auftrag von Unternehmer René Brogli ein 80-Quadratmeter-Wandbild auf vier Etagen.

 

Kurt Reichenbach
Der Tod ist ihr nicht fremd

Corinne Sutter wohnt privat in Aarwangen an der Friedhofstrasse. In einem kunterbunten Atelierhaus, das sie und ihr Mann selber gebaut haben. Vom Arbeitsplatz aus blickt sie auf Gräber, die mit Blumen geschmückt sind. Es ist ein friedvoller Anblick. Menschen kommen und gehen. «Schon als Kind habe ich das Leben immer lieber fertig gedacht und versucht zu begreifen, dass das Sterben ein Teil davon ist. Diese Erkenntnis hat mich lange beschäftigt und traurig gemacht. Dann habe ich in der Sinnlosigkeit des Lebens die Lebensfreude entdeckt. Das erspart mir den Psychiater und lässt mich jeden Tag dankbar geniessen.» 

In ihrem Schlafzimmer hängen die Skizzen für den Grossauftrag. «Vier Stockwerke, vier Tageszeiten, Jahreszeiten, Himmelsrichtungen, Lebenszyklen: Ich wollte eine Theorie entwickeln, wie sich unser Dasein auf metaphorischer Ebene umsetzen lässt. Nun können Bewohner und Besucherinnen im Treppenhaus hoch- und runterlaufen und die ganze Fülle des Lebens geniessen.» Unternehmer René Brogli, der im Juni in die 330 Quadratmeter grosse Penthouse-Wohnung zügelt, liess Sutter komplett freie Hand. Dass die Liegenschaft «Suterguet» heisst, ist reiner Zufall. Er ist begeistert vom Werk, das ihn entfernt an das Symbolbild «Guernica» von Pablo Picasso erinnert.

Die heimliche Gewinnerin

Der Kunstsammler (Ferdinand Hodler, Cuno Amiet, William Turner, Gustav Klimt) wurde dank der TV-Show «Die grössten Schweizer Talente» auf die Mutter dreier Kinder aufmerksam. Dort wurde sie beim Speedpainting (so heisst die Disziplin, in der man blitzschnell Gemälde anfertigt) von der Jury aus dem Rennen geworfen. Doch ihr emotionaler Auftritt machte sie zur Siegerin der Herzen. Seither inszeniert sie eigene Shows. Königin Margrethe II. lud Sutter zum 50. Thronjubiläum ein. Das Porträt von Johnny Depp übergab sie ihm während seiner «Hollywood Vampires»-Tour. «Es bricht alles aus mir heraus, wenn ich arbeite», sagt sie. «Der kreative Wahnsinn ist wahnsinnig inspirierend.» Inspirierend ist auch ihre Wohnoase. Zwei alte, graue Parkgaragen wurden plattgewalzt, um Platz für neue Botschaften zu schaffen. Ein guter Entscheid. Der Alltag braucht Farbe – dank Visionärinnen wie Corinne Sutter. 

Corinne Sutter, Künstlerin

«Ich hatte freie Hand für meine Interpretation des menschlichen Lebenszyklus.» Ein Jahr lang brütete Sutter im Schlafzimmer am Entwurf.

Kurt Reichenbach
Von Caroline Micaela Hauger am 13. Mai 2023 - 09:11 Uhr