An einem Anlass für Donatoren verrät Stéphanie Mérillat (54) Pikantes: Eishockey und Sex lösen bei ihr die grössten Emotionen aus. «Ich bin eine Frau mit viel Leidenschaft», bestätigt die Co-Präsidentin des EHC Biel. Sie lacht laut heraus.
Treffpunkt ist an einem Matchtag um neun Uhr morgens in der Tissot Arena in Biel in der Garderobe. Die ersten Spieler treffen ein. Stéphanie Mérillat herzt Stürmerstar Damien Brunner. Noch ist nichts von Nervosität zu spüren. «Das kommt schon noch», verrät sie. Am Abend trifft ihr Team im zweiten Spiel der Playoff-Finals auf den Genève-Servette Hockey Club. Es sind die wichtigsten Augenblicke des Jahres. Darauf haben Mannschaft, Staff und Vorstand über Jahre hingearbeitet.
«Mein grosser Schwarm war Cattaruzza»
Das Spiel mit dem Puck ist seit Kindsbeinen ihre grosse Liebe. «Mein Grossvater Mario nahm mich immer an die Spiele mit», erinnert sie sich. «Mein Vater Serge war bereits als Sponsor dabei.» Schon als Teenie sind ihr Powerplay und Boxplay geläufig. «An den Wänden im Kinderzimmer hängte ich Fotos von Spielern auf. Mein grosser Schwarm war Beat Cattaruzza, ich war richtig verliebt in ihn», erzählt sie. Wieder lacht sie laut los, wenn sie davon erzählt. Viele sagen, man würde die aufgestellte Powerfrau zuerst hören – und erst dann sehen. «Ja, stimmt. Und das stört mich überhaupt nicht.» Weniger gern hört sie die königliche Bezeichnung «la reine de Bienne» – sie sei einfach Stéphanie aus Biel.
Der Präsidentin gefallen im Eishockey das Tempo und die Dynamik. «Ich habe zwar drei Jahre bei der Europäischen Fussball-Union Uefa in Nyon VD gearbeitet und einige gute Fussballspiele gesehen», so Mérillat, «aber Fussball hat mich nie so gepackt wie Hockey.» Wobei sie zugeben muss: «Schlittschuh laufen kann ich nicht.» Dagegen taucht sie fürs Leben gern. Beispielsweise auf Mauritius. Oder auch in Südfrankreich, wo die Familie jahrelang die Sommertage in Saint-Raphaël genossen hat. «Die nächsten Ferien, nach der Saison, gehen nach Sizilien» verrät sie. Sie besitzt das Brevet als Tauchlehrerin. «Und als Skilehrerin», ergänzt sie. «Mit den Eltern verbrachten mein Bruder und ich die Winterferien immer im familieneigenen Haus in Wengen im Berner Oberland.»
Stéphanie Mérillat hat einen Abschluss in Betriebswirtschaft der Uni Lausanne. In den USA macht sie einen Master. Nebst der Uefa ist sie für die Swatch Group als Produktmanagerin für die Swatch-Irony-Uhr und als Marketingmanagerin für das Paléo-Festival in Nyon tätig.
«Einige waren skeptisch: Was will diese Frau? Will sie sich einfach präsentieren?»
Stéphanie Mérillat
Als ihr Vater erkrankt, entschliessen sich ihr Bruder und sie Mitte der 2000er-Jahre zur Übernahme des väterlichen Immobilienunternehmens. Weil die Firma den EHC Biel finanziell unterstützt, wollen die beiden als grosse Anhänger des Klubs dieses Engagement unbedingt weiterführen. Doch anders als ihr Vater nicht still und leise im Hintergrund: Stéphanie will sich finanziell beteiligen, aber auch mitarbeiten und mitbestimmen.
Neben Mantegazza die einzige Frau an der Spitze
«Nach dem Aufstieg 2008, nach 13 Saisons in der NLB, monierte ich, dass im Klub in einer zweisprachigen Stadt wie Biel das welsche Element, der Bezug zum Berner Jura, zu kurz kommt.» Die Kritik wird gehört: Stéphanie steigt zuerst bei der Donatorenvereinigung ein, wird dann Verwaltungsrätin des Vereins und schnell Vizepräsidentin. «Einige waren damals skeptisch: Was will diese Frau? Will sie sich einfach präsentieren? Ich musste zeigen, dass ich für den Klub da bin.» Seit 2019 teilt sie sich mit Patrick Stalder das Präsidium. Er kümmert sich um die Finanzen, sie um Marketing und PR. Neben Vicky Mantegazza in Lugano ist sie die einzige Frau an der Spitze eines Klubs der National League.
Wenn es um Managementpositionen gehe, hätten Frauen oft Angst davor, am falschen Platz zu sein, nicht zu genügen. «Frauen wollen zuerst alles rundherum mit Kindern, Krippe, Ehemann, Freunden, Essen und Haushalt organisieren, bis sie Ja zu einem Führungsjob sagen.» Von Frauen höre sie auch, dass Firmen nicht flexibel seien, um neue und andere Abläufe zu wählen. «Ich habe beispielsweise gesagt, dass ich aus Rücksicht auf meine Familie keine VR-Sitzungen am Abend möchte – jetzt machen wir sie über Mittag.»
Genügend Zeit für die elfjährige Tochter
30 Prozent ihrer Zeit gehen für den Verein drauf. «In meinem Job in der Immobilienverwaltung kann ich auf meinen Bruder zählen, im Verein auf meine VR-Kollegen und zu Hause auf meinen Mann Cédric.» Dieser ist als Störkoch unterwegs, kocht viel an Events und ist äusserst flexibel. «So haben wir auch genügend Zeit für uns und unsere bald elfjährige Tochter Elsa sowie viele andere Dinge. Mir wird schnell langweilig, ich brauche stets frischen Schwung und Neues.» Als hätte sie nicht schon genug zu tun, führt sie auch noch die Serge-Mérillat-Stiftung, die Talente aus Sport und Kultur fördert.
Cédric und Elsa sind ebenfalls grosse Anhänger des EHC Biel. «Cédric ist der noch grössere Fan als ich», sagt sie. «Hardcore! Er verfolgt die Spiele im Stehplatzbereich.» Ihr Mann sammelt Trikots von Hockeyklubs und Fussballvereinen aus der ganzen Welt. «Wir haben etwa 200 Shirts zu Hause – damit haben wir unser ganzes Treppenhaus tapeziert.» Wen wunderts, haben sich die beiden im Hockey-Stadion kennen- und lieben gelernt?
5000 Zuschauer in den Playoffs
Ist die quirlige 54-Jährige wie jetzt in den Playoffs extrem gefordert, tobt sie sich zum Ausgleich im Fitnesscenter aus: «Beim Boxen schlage ich all meine Emotionen raus.» Als Präsidentin eines Hockeyklubs ist sie in guten wie in schwierigen Zeiten für viele Leute Seelentrösterin und Blitzableiterin. «Wir haben 5000 Zuschauer, und jeder einzelne ist Trainer und Präsident, alle wissen, wie man spielen und einen Klub führen muss. Doch das ist ja auch das Schöne im Sport. Die Menschen leben das am Match aus.»
«Die Krebsdiagnose von Antti war ein Schock. Ich bewundere seine Kraft!»
Stéphanie Mérillat
Solange es ihr Spass mache, übe sie dieses Amt aus. «Patrick Stalder und ich haben uns mal zehn Jahre gegeben und gesagt, dass es natürlich schön wäre, in dieser Zeit auch einmal einen Pokal in die Höhe zu stemmen.» Schritt für Schritt begehen Mérillat und ihre Kollegen den Weg zur Spitze. «Nun sind wir in Phase drei, wo wir uns in der oberen Zone im Klassement etablieren wollen und Richtung Titel schielen.» Und das bei einem Budget von 17 Millionen Franken, was im Vergleich zu den anderen Teams eher im unteren Bereich sei. «Deshalb müssen wir in den nächsten zwei, drei Jahren noch zwei, drei weitere Millionen hereinholen und unsere Mannschaft ausbauen.»
«Ich bewundere Anttis Kraft»
Stéphanie Mérillat lässt sich von Rückschlägen nicht beirren. Auch nicht vom jüngsten: Zum zweiten Mal wurde bei Trainer Antti Törmänen Krebs diagnostiziert. «Ein riesiger Schock! Ich bewundere seine Kraft! Jetzt konzentrieren wir uns auf die Playoff-Finals, dann schauen wir gemeinsam weiter, was für Antti, für die Mannschaft und für den Klub das Beste ist.» Fürs Erste sicher mal ein Titel.