«Sieht super aus, das Hösli! Steht mir gut», sagt Gerardo Rosamilia zu Tochter Nina, 18. Die sitzt am Stubentisch der Rosamilias in Hunzenschwil AG und näht die Outfits – für den grossen Auftritt der sechsköpfigen Familie an der Zürcher Street Parade. «Doch mach mir bitte noch einen Hosenträger dazu, ebenfalls in Pink! Dann hält das Ganze besser.»
Nina verdreht die Augen. Mama Caroline, 49, zwinkert Gerardo zu, schaut kurz auf sein Bäuchlein. Der 54-Jährige nickt: Eigentlich wollte er die fünf Kilo, die er in den Italien-Ferien zugelegt hatte, vor der weltweit grössten Technoparty am zweiten August-Samstag noch loswerden. Gerardo schmunzelt: «Was solls, ich werde ja meine vier hübschen Ladys dabeihaben. Die stehlen mir sowieso die Show.»
Zwei Jahre hatte die Street Parade in Zürich wegen Corona Zwangspause. «Endlich hat das Warten ein Ende, wir freuen uns schon seit Monaten darauf! Wir sind beide totale Tanzfüdli», sagt Caroline Rosamilia. Sie ist Aerobic-Instruktorin, ihr Mann IT-Spezialist. Seit der ersten Austragung 1992 sind die beiden an jeder Street Parade in der Limmatstadt dabei gewesen – heuer das 29. Mal. Caroline: «Das erste Mal wars Gerry zu Beginn peinlich so farbig und halb nackt, doch dann haben wir die Nacht durchgetanzt.» 2003 kam das Ehepaar erstmals nicht mehr nur zu zweit, sondern mit der damals sechs Monate alten Tochter Valentina, heute 19. Im Jahr darauf war auch Nina mit dabei. Und 2008 reiste die Familie erstmals zu sechst an die Parade – mit Sohn Adriano, heute 15, und Tochter Tiziana, heute 14. «Diese Tradition haben wir beibehalten, bis heute. Street Parade ist Familiensache.» Technomusik hören die Eltern nur noch bei der Gelegenheit. «Sonst ist bei Caroline und mir Trumpf, was im Radio kommt.»
Auf etwas ist Gerardo, gebürtiger Neapolitaner und Creative Director der Rosamilias, besonders stolz: «Bei jeder Parade sind wir mit einem anderen selbst gefertigten Outfit aufgekreuzt.» Nina zeichnet die Muster, näht mithilfe der Mutter die Kleider. Caroline: «Sie hat die flinksten Hände von uns.» Stoff für Kleider, Accessoires und Schminke lässt sich die Familie 600 Franken kosten. Think! heisst das Motto der diesjährigen Street Parade: «Think pink! Denk farbig!», sagt Gerardo. «Pink ist eine offene Farbe.» Caroline: «Wir sind vier Frauen in unserer Familie. Und wir alle lieben Pink.»
«An der Street Parade dabei sein gehört zur Story unserer Familie»
Vater Gerardo Rosamilia
Der grosse Tag war bei den Rosami-lias immer militärisch durchgeplant – Gerardo machte früher Waffenläufe, heute Triathlon: Am Morgen rasiert sich der Vater den ganzen Körper – so hält die Farbe auf der Haut. Dann ziehen alle ihr Kostüm an, ein letzter Gang auf die Toilette. In der Garage reiben sich alle mit Babyöl ein, bevor sie sich mit farbiger Theaterschminke bemalen. «Das fühlt sich total schön an», schwärmt Valentina 2013 in der damaligen SI-Reportage. Dann gehts mit dem Auto nach Zürich – die Sitze hat Gerardo mit Tüchern abgedeckt. In einem kleinen Park vor Ort macht die Familie ein Picknick mit Cervelats, Brötli und Wasser, beobachtet die in der Nähe vorbeifahrenden Love-Mobiles. «Ins Getümmel mit den wummernden Bässen stürzten wir uns nie mit unseren Kids, Ohrstöpsel brauchten wir keine.» Wo immer die Familie auftaucht – überall wird sie von fotografierenden Menschentrauben umringt. Gerardo: «Nirgendwo kommt man mit so vie-len Leuten ins Gespräch. Eine Street Parade gibt mir immer mega viel Energie. Sie hat so gute Vibes!»
Viele Zeitungen schrieben über die Rosamilias – die ganz besondere Street-Parade-Familie. Vier Stunden bleibt das Sextett jeweils in der Stadt, nach einer Pizza gehts nach Hause. Dort das grosse Finale, zum Gaudi der Kinder: Sie duschen sich gegenseitig die Farbe ab – um die Flecken an der Wand kümmert sich dann die Mutter.
Dieses Jahr reist Familie Rosamilia nur zu fünft an die Street Parade. Sohn Adriano fehlt. Er spielt in der U17 des Eishockeyklubs HC Lugano und ist mit seinem Team in einem Trainingslager in Leukerbad VS. Alle vier Kinder sind sportlich erfolgreich, ihre 600 Medaillen liegen in einem grossen Topf im mittleren Badezimmer. Tiziana wurde vor ein paar Tagen U16-Schweizer-Meisterin im Triathlon, Valentina holte 2021 die Silbermedaille an der U20-Leichtathletik-WM über 800 Meter, machte vor Kurzem ihre ersten Maturaprüfungen. Nina ist Eishockeytrainerin und Reiterin.
An den vergangenen Street Parades trug Vater Gerardo immer ein Gwändli – wie alle anderen seiner Familie. Diesmal hat er sich für ein Hösli entschieden. «Geschmackssache», sagt Nina. Für die zwei älteren Kids der Rosamilias ist dieses Jahr nicht nach vier Stunden Schluss. Für sie heisst es: weitertanzen! So wie ihre Eltern früher. Tiziana reist mit ihren Eltern allein nach Hause. Sie ist traurig: «Das gemeinsame Farbe-Abduschen kann ich mir abschminken.