Am Freitag, 16. Juni, kurz vor 12 Uhr, stand die Zeit still. Es war der Moment, als mir Meret, die Freundin von Gino, am Telefon die schreckliche Nachricht überbrachte. Ich war in Lausanne, wo ich studiere und am Abend davor mit Kollegen den Abschluss des Semesters gefeiert hatte. Just in diesem Moment hörte ich vom Sturz von Gino in der Albula-Abfahrt – und realisierte schnell, wie ernst es war. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Dass dann die schlimmsten Befürchtungen eintrafen, macht mich noch immer fassungslos.
Ich lernte Gino vor rund 14 Jahren kennen, als wir auf U13-Stufe unter Trainer Pierino Rossi zusammen mit Marc Hirschi trainierten. Sein Talent war offensichtlich – und seine technischen Fähigkeiten ebenfalls. Diese spielte er auch auf der Bahn aus. 2015 gewannen wir zusammen mit Reto Müller, Stefan Bissegger und Robin Froidevaux an der U19-WM in Kasachstan mit dem Bahn-Vierer die WM-Silbermedaille. Der Teamgeist damals war so gross, dass wir uns vor der Abreise gegenseitig die Haare schnitten.
Dies sind Erlebnisse, die zusammenschweissen – und die aus Gino und mir enge Freunde gemacht haben. Später waren wir bei der Sportgruppe IAM Excelsior Teamkollegen – und fuhren auf der ganzen Welt. 2018, als Marc Hirschi an der WM in Innsbruck sensationell den U23-Titel gewann, reisten wir im Herbst nach Mallorca, um die letzte Rundfahrt des Jahres vorzubereiten: die Tour of Hainan in China. Gino wurde damals Zweiter – und deutete sein Potenzial als Rundfahrtenspezialist an.
Als Teamkollegen im Radsport verbringt man fast die ganze Zeit zusammen – und vertraut sich im Idealfall blind. Bei Gino und mir war dies definitiv so. Wir teilten das Zimmer und wussten praktisch alles voneinander. Sogar den Valentinstag verbrachten wir zusammen. Ich glaube, damals war Ginos Freundin fast eifersüchtig. Gino hatte zwei Seiten. Er war ein ausgesprochen lustiger Mensch, der über banale Dinge lachen konnte. Gleichzeitig war er sehr emotional und tiefgründig. Er engagierte sich immer wieder karitativ: zugunsten eines Afrika-Hilfswerks oder für die Schweizer Gletscher. Und seinen geliebten Hund Bello hatte er vom Tierschutzverein.
Dass der Radsport eine hochriskante Sportart sein kann, war Gino stets bewusst. Wir unterhielten uns auch darüber. Doch letztlich verdrängt man diese Gedanken – sonst könnte man diesen Sport nicht mehr ausüben. Gleichzeitig hatte ich aber nie das Gefühl, dass Gino das Risiko überstrapazierte. Er war ein starker Abfahrer – und konnte die Gefahr sehr gut einschätzen. Auch deshalb lässt mich sein Sturz ratlos zurück.
Als ich mich vor anderthalb Jahren entschied, einen Schlusspunkt hinter meine Karriere zu setzen, war Gino mein wichtigster Ansprechpartner. So blieben wir uns auch danach eng verbunden. Zwar lebten wir in eigenen Welten – aber wir tauschten uns immer wieder aus. Ich wusste: Mit Gino ist jemand da, auf den ich mich stets verlassen kann. Wenn ich daran zurückdenke, kämpfe ich gegen die Tränen. Mit Gino fehlt eine der wichtigsten Personen in meinem Leben. Und trotzdem ist er irgendwie noch da: ein solch wunderbarer Mensch und guter Freund wird immer präsent bleiben.