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Zu Besuch bei Eiskunstlauf-Star Lukas Britschgi

«Viel Zeit habe ich nicht mehr»

Erst Überraschungs-Europameister, dann Verletzungspech. Das Leben von Eiskunstlauf-Star Lukas Britschgi war in den letzten Monaten eine Berg-und-­­Tal-Fahrt. Das Knie hält, jetzt freut sich Britschgi auf die Olympia-Saison.

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<p>Eiskunstläufer Lukas Britschgi in seiner Trainingshalle im deutschen Bundesleistungszentrum in Obers­t­dorf im Allgäu.</p>

Eiskunstläufer Lukas Britschgi in seiner Trainingshalle im deutschen Bundesleistungszentrum in Oberstdorf im Allgäu.

Nicolas Righetti

Lukas Britschgi erscheint über eine Stunde zu spät zum Interviewtermin. Böse kann man ihm nicht sein – er hat eine kleinere Odyssee hinter sich, ist ihm doch ausgerechnet am Vorabend sein rechter Schlittschuh gebrochen. Will er für die Schweizer Illustrierte auf dem Eis posieren, braucht er neue Schuhe. Also fährt der 27-Jährige Eiskunstlauf-Europameister kurzerhand von Oberstdorf im Allgäu, wo er lebt, in die Schweiz und wieder zurück. «Gestern Abend habe ich mich darüber aufgeregt», sagt er, endlich angekommen. «Heute habe ich die Sache akzeptiert.»

Nach vier Stunden im Auto und einer kurzen Fotosession in der Eishalle kann Britschgi schliesslich etwas essen. In seinem Lieblingsrestaurant gleich gegenüber von seinem Wohnhaus bestellt er einen Flammkuchen mit Speck und Käse.

<p>Lukas Britschgi in der WG-Küche. Der 27-Jährige hat gerade sein Masterstudium in Wirtschaft angefangen.</p>

Lukas Britschgi in der WG-Küche. Der 27-Jährige hat gerade sein Masterstudium in Wirtschaft angefangen.

Nicolas Righetti

Rückblick: Im Februar gewann der gebürtige Schaffhauser in Tallinn (Estland) sensationell den Europameister-Titel – nach dem Kurzprogramm lag er noch auf Rang 8. Die Kür seines Lebens und eine beispiellose Aufholjagd bescherten ihm letztlich Gold. Wahnsinn! Und eine riesige Überraschung – vor allem für Britschgi selbst. «Ich sehe mich auch heute nicht als Europameister, vielleicht werde ich das auch nie.» Es sei aber cool, den Titel zu haben, meint er. Eine gute Stunde musste er abwarten, bis der letzte Läufer seine Kür absolviert hatte – erst dann stand sein Sieg fest. «Ich war überfordert und überwältigt. Ich habe davon profitiert, dass ich die Kür meines Lebens laufen konnte, während andere Fehler gemacht haben.»

Mehr Medientermine habe er seither, mehr Anfragen und Einladungen. Viele davon habe er auch absagen müssen – gerade jetzt, in der Vorbereitung auf die Olympia-Saison. Vor rund vier Jahren ist er von Schaffhausen nach Oberstdorf gezogen, lebt in einer WG mit einem befreundeten Paar. Die Trainingsbedingungen seien hier besser, erzählt Britschgi, bevor er in ein grosses Stück seines Flammkuchens beisst. Im hiesigen Bundesleistungszentrum gibt es drei Eishallen. Die Einteilung ermöglicht es ihm, mit den besten nationalen und internationalen Cracks zu trainieren. Dreimal pro Tag steht Lukas Britschgi aktuell auf dem Eis. Dazu kommen zwei Athletiktrainings pro Woche und zwei bis drei Einheiten im Kraftraum.

<p>Nach dem Training bespricht sich Lukas Britschgi mit seinem Trainer Michael Huth (l.) und seinem polnischen Kontrahenten und Freund Kornel Witkowski (r.).</p>

Nach dem Training bespricht sich Lukas Britschgi mit seinem Trainer Michael Huth (l.) und seinem polnischen Kontrahenten und Freund Kornel Witkowski (r.).

Nicolas Righetti

Mehr erreicht als je erträumt

Mit 27 Jahren gehört Britschgi in seinem Sport zum alten Eisen. Dessen ist er sich bewusst. Die Olympischen Spiele im kommenden Februar will er unbedingt noch mitnehmen, ebenso die Heim-EM, die im Januar 2027 in Lausanne stattfindet. Er will die besondere Luft des Spitzensports noch etwas in sich aufsaugen, auch wenn er, wie er sagt, «mehr erreicht hat, als ich mir je erträumt hätte». An Olympia ist er der Aussenseiter, in Lauerstellung.

Britschgi nennt als Ziel ein olympisches Diplom. Dieses hatte er bei der letzten Teilnahme in Peking vier Jahre zuvor verpasst. Frustriert darüber ist er nicht: «Ich habe mit Eislaufen angefangen und wusste, es wird fast unmöglich, an der Weltspitze mitzumischen. Nur schon von den Rahmenbedingungen her.» An der WM 2024 beispielsweise gelangen beide Programme fast perfekt – das reichte für Rang 6. «Die Topfavoriten müssen gröbere Fehler machen, damit ich eine Chance habe. Normalerweise laufen die auf einem anderen Level.» Er weiss aber auch: «Im Eiskunstlauf kann viel passieren.»

<p>Nach dem Zmittag gibt es für den Europameister noch ein Gelato. Er mag am liebsten Stracciatella.</p>

Nach dem Zmittag gibt es für den Europameister noch ein Gelato. Er mag am liebsten Stracciatella.

Nicolas Righetti

Nach dem Essen gehts aufs Velo. In seiner zweiten Heimat ist Lukas Britschgi auf zwei Rädern unterwegs. Er fährt zu seiner Lieblingsgelateria in Oberstdorf Downtown. Lukas entscheidet sich für Stracciatella. Vor wenigen Tagen hat er mit seinem Masterstudium in Wirtschaft begonnen. Den Bachelor hat er bestanden – seine Abschlussarbeit musste er von einem Hotel in Belgien aus verteidigen. Er probte dort für seine neue Choreografie. Dass es irgendwann ohne den Spitzensport weitergehen muss, weiss Lukas Britschgi. Er fürchtet sich vor allem vor dem Loch, in das er fallen könnte.

«Ich mache mir sehr viele Gedanken dazu. Schon der Schritt vom Studenten- ins Arbeitsleben, wie ich es bei vielen meiner Freunde beobachte, ist gross. Lange habe ich mich davor gedrückt, aber jetzt lasse ich diese Gedanken zu. Der Eiskunstlauf macht einen grossen Teil meines Lebens und meiner Persönlichkeit aus», sagt Britschgi. Sein Leben sei eine Bubble, fernab der Realität. «Ich versuche, das auch achtsam wertzuschätzen. Es ist ein mega Privileg, dass ich mein Hobby zum Beruf machen konnte – und davon leben kann.»

<p>Lukas Britschgi wird Ende Februar 2026 auch wieder bei «Art on Ice» auf dem Eis stehen und zu Livemusik performen.</p>

Lukas Britschgi wird Ende Februar 2026 auch wieder bei «Art on Ice» auf dem Eis stehen und zu Livemusik performen.

Franziska Frutiger

Bis zu 40'000 Franken kostet eine Saison – mit Eiszeiten, Reisen, Hotels, Trainern oder Kostümen. Die Sporthilfe unterstützt den Sportler, auch über Sponsoren, Gagen für Shows und mit Preisgeldern kann er sich finanzieren – «und ein bisschen sparen». Trainer werden kann sich der Schaffhauser nicht vorstellen. Zumindest nicht Vollzeit. «Irgendwo aushelfen, Kindern etwas beibringen, das ist bestimmt möglich.» Die Olympia-Saison hat Britschgi letzte Woche mit einem 3. Platz an der Nebelhorn Trophy in Oberstdorf lanciert. Seine Patellasehne, die ihm lange Schmerzen bereitet hat, ist unter Kontrolle. «Ich habe auch im Training keine Beschwerden mehr.» Noch im Frühling musste er deswegen zwei Monate pausieren. Dreieinhalb Wochen ist er in dieser Zeit mit seinem besten Freund durch Kolumbien gereist. Mit dem Rucksack.

Jetzt richtet Lukas Britschgi den Fokus auf seinen Karriere-Herbst. Das Herz des Singles schlägt für den Eiskunstlauf. Andere Träume wie eine Familie mit zwei Kindern müssen warten. Doch dann «werde ich einen guten Weg finden. Und glücklich sein.»

Von Nadine Gerber vor 2 Stunden