Es war einmal ein Sohn eines Burgdorfer Bahn-Rangiermeisters namens Wilhelm «Willy» Michel. Dieser machte eine Lehre als Chemielaborant bei Ciba-Geigy in Basel. Ein paar Jahrzehnte später ist der heute 78-Jährige mehrfacher Milliardär, wohnt mit seiner zweiten Frau Katja (48) im spätbarocken Schloss Gümligen vor den Toren Berns, reist mit seiner Luxusjacht «Vive la vie» über die Weltmeere oder jettet mit seinem Privatflieger zum nächsten Business-Termin. Ein filmreifes Hollywood-Märchen.

Im Aufgang: die Michels, umgeben von zwei Werken des Künstlers Chuck Close. Das Selbstporträt und jenes seiner Frau hat er per Fingerprint gemacht.
Kurt ReichenbachDoch Willy Michel hat nicht etwa auf die richtigen Zahlen im Lotto gesetzt – er hat das Näschen und das Know-how für innovative Medtech-Produkte. Erst gerade vor drei Monaten hat der Daniel Düsentrieb aus dem Emmental seinen neuesten Coup gelandet. «Ich habe immer mehr Freude daran gehabt, etwas aufzubauen, statt nichts zu machen. Das Unternehmertum liegt mir im Blut», sagt er in seinem Wohnzimmer im Schloss Gümligen. Frau Katja meint: «Er ist wie ein Duracell-Männchen, seine Energie ist schier unerschöpflich!»
Leben von Millionen verbessert
Doch der Reihe nach: «Nach der Lehre wechselte ich in die Medizinaltechnik», schildert Michel seinen Werdegang. Aus nächster Nähe erkannte er, wie fehlerhaft damals Anfang der 80er-Jahre die Insulintherapie war. Das wollte er ändern. «Mit meinem Bruder Peter gründete ich 1984 die Disetronic», erinnert er sich.
«Unser Ziel war, die kleinste, zuverlässigste Insulinpumpe der Welt zu bauen.» Das gelang. Die Firma startete durch. «Vor allem auch deshalb, weil die deutsche Hoechst mit uns einen Exklusivvertrag abschloss.» Das war 1986 – nur zehn Jahre später gelingt der spektakuläre Börsengang. Der Kurs schiesst in die Höhe. «Die Disetronic wurde zum Synonym für Mikro-Insulinpumpen und verbesserte das Leben von Millionen von Diabetikern weltweit.»
Prix Suisse
Wer Grossartiges leistet, hat eine Ehrung verdient: Dieses Ziel verfolgt der Prix Suisse, der jedes Jahr eine Person für Mut, Kreativität, Innovation, harte Arbeit und Durchhaltewillen auszeichnet. Durchgeführt und finanziert wird der Preis von der Initiative Schweiz der F. G. Pfister Holding AG.
Schon 2003 folgt der nächste Coup: Willy Michel, sein Bruder ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr im Unternehmen, verkauft das Insulinpumpengeschäft an den Pharmariesen Roche für 1,6 Milliarden Franken. Den industriellen Kern behält er. «Daraus wird Ypsomed», sagt er. Von 2004 an macht er diese Unternehmung zur führenden Entwicklerin und Herstellerin von Systemen, mit denen Patientinnen und Patienten sich selbst flüssige Medikamente verabreichen können.
Kein Wegwerfprodukt
Seit dem Start bis 2022 war Willy Michel Verwaltungsratspräsident des Unternehmens, zwischenzeitlich auch CEO. Diese Position übt seit 2014 sein Sohn Simon aus, der auch als FDP- Nationalrat politisiert. Die Firma ist fest im Familienbesitz: Vater Willy und die Kinder Simon, Serge und Lavinia besitzen 71,5 Prozent der Aktien.
Weil sich Ypsomed dazu entschied, gross in das vor allem wegen der Abmagerungsspritze boomende Geschäft der Pen-Spritzen zu investieren, ging Willy Michel «back to the roots»: Er kaufte im August dieses Jahres Ypsomed das ganze Geschäft mit den Insulinpumpen für 420 Millionen Franken ab und integrierte es in die neu von ihm gegründete TecMed. «Das war ein heikler Kauf, quasi aus dem eigenen Unternehmen heraus.» Doch der Preis sei fair gewesen, sie hätten ihn von drei unabhängigen Institutionen überprüfen lassen. Das grosse Ziel: «Wir wollen die weltweit kleinste, nur 25 Gramm leichte, auf die Haut klebbare Patch-Insulinpumpe auf den Markt bringen.»

Die Leseratte: Immer zwei Bücher auf dem Nachttisch. Ein Krimi – und etwas Anspruchsvolles. Zuletzt ein Werk über den Ex-US-Präsidenten Biden: «Man darf nicht immer nur über Trump fluchen, man muss auch sehen, was die Demokraten schlecht gemacht haben.»
Kurt ReichenbachSeine Augen leuchten: «Da ist eine super Software drin!» Ein Sensor unter der Haut misst den Blutzuckerwert. Je nach Daten und Geschichte des Patienten entscheidet sie mithilfe von KI, wann die Pumpe wie viel Insulin ausschütten muss. Anders als bei Konkurrenten handelt es sich nicht um ein Wegwerfprodukt.
Wegzug bei Abstimmungs-Ja
Neben dem Geschäft treibt den Unternehmer zurzeit die Abstimmung über eine Erbschaftssteuer um. «Wenn diese angenommen wird, bin ich weg», prophezeit er. «Dann gehts nach Italien. Ich habe mit meinem Anwalt in Milano schon alles geklärt. Dort zahlen Vermögende jährlich eine Pauschale von 200'000 Euro auf Einkommen und Vermögen.»
Gleich nach Bekanntwerden der Initiative habe er ein konkretes Angebot aus Österreich erhalten: «Kitzbühel trat mit einer lukrativen Offerte samt Chalet an mich heran.» Er sei nicht a priori gegen eine Erbschaftssteuer. Aber nicht in der Höhe der Juso-Initiative. «In vernünftigem Rahmen, als Ausgleich etwa zur sehr hohen Vermögenssteuer», sagt er.

Im Guisan-Zimmer: Willy Michel mit seinem Kater Satchmo, 16 («Ich nenne ihn wegen seines Gewichts liebevoll Fatmo»). Von diesem Raum aus leitete Guisan Anfang des 2. Weltkrieges die Geschicke der Schweiz.
Kurt ReichenbachEr zahle jedes Jahr ein paar Millionen Franken. Lieber gibt er sein Geld fürs Gemeinwohl aus: 50 Millionen Franken hat er ins Diabetes Center Bern gesteckt. «Das läuft ohne öffentliche Gelder. Wir haben im achten Jahr seit dem Start bereits die vierte Professur», so Michel. Es sei in dieser kurzen Zeit bereits zum fünftbesten Forschungszentrum weltweit im Diabetes-Bereich erkoren worden. Im Fokus sind gemäss Michel derzeit zwei Projekte: Eines fokussiert auf die Glukosemessung im Körper, nicht wie jetzt noch unter der Haut. Das andere zielt auf die Entwicklung eines Kaugummis zum Abnehmen.
Etwa den gleichen Betrag hat Michel in das Museum seines verstorbenen Maler-Freundes Franz Gertsch in Burgdorf gesteckt – seine Frau ist Vizepräsidentin der Stiftung. In allen Firmen von Michel hängen Werke der unterschiedlichsten Künstler. «Mir liegt viel daran, dass möglichst viele Menschen die Werke aus meiner Sammlung betrachten können.»
Golf, Skifahren und Blues
Mit Frau Katja, einer Juristin, spezialisiert auf Kunstrecht, sowie Hobby-Katzenzüchterin (schlosskatzen.ch), ist er oft in Mallorca, im Piemont oder in Lauenen im Berner Oberland.

Registrierte Katzenzüchterin: Katja Michel mit Britisch-Kurzhaar Katzen aus dem A-Wurf Achilles und Aragon vom Schlossgut. Der erste Wurf ist am 16. Oktober zur Welt gekommen.
Kurt ReichenbachSie spielen beide Golf, er mit Handicap 24, sie mit 34,5. Im Winter ist das Skifahren ihr grosses Hobby. «Wir sind oft mit unserem Schiff unterwegs. Im Winter ist Lauenen ein perfekter Ruhe- und Kraftort», sagt Katja Michel. Der Wunsch der beiden Musikliebhaber: Eine Reise mit der Harley zu legendären Blues-Kellern.
Obwohl er selber kein Diabetiker ist, hat diese Krankheit Willy Michel geprägt. Er hat das Leben von Millionen Patienten verbessert – und sie hat ihm eine Tellerwäscherkarriere wie in einem Hollywood-Märchen ermöglicht.
