So tönt eine Sportlerin im Erfolgshoch! Mit munterer Stimme erzählt Chiara Tamburlini am Telefon von ihrem jüngsten Erfolg mit Platz 3 bei einem Turnier in China. Sie ist definitiv in der Spitze angekommen. Einige Wochen zuvor beim Besuch in der Ostschweiz: Chiara Tamburlini öffnet die Tür. Lange blonde Haare, breites Lächeln und Feuer in den Augen: «Chömed ine!», ruft sie in breitem Sankt Galler Dialekt.
Die 24-Jährige lebt mit ihren zwei Schwestern und ihren Eltern zusammen in St. Gallen in einem Einfamilienhaus. Wobei die Golferin meistens nur für wenige Tage im Monat zu Hause ist. Es ist nie der Plan, dass Tamburlini Golfprofi wird. Und schon gar nicht, dass sie in der ganzen Welt dafür herumreist. Eigentlich will sie Skirennfahrerin werden. Doch immer in die Berge zu fahren, dazu sind ihre Eltern nicht bereit. Die beiden Hobbygolfenden nehmen die kleine Chiara lieber mit auf Fairways und Greens.
Mit fünf Jahren spielt sie sonntags im Golf-Kindergarten in Niederbüren SG. Mit acht besucht sie erste Trainings. Mit zwölf überholt sie ihre Eltern beim Handicap. «Es ist erstaunlich, dass Chiara so gut Golf spielt. Von mir hat sie dieses Talent nicht!», sagt Papa Marco Tamburlini (63)und lacht. Er, einst Präsident des Golfclubs Niederbüren, könnte stolzer nicht sein.«Wir haben diesen Erfolg nicht erwartet. Aber ich sehe, dass es ihre Leidenschaft ist, und deshalb könnte ich mir nichts Besseres für sie vorstellen.»
Schwere Entscheidungen
Chiara verlässt das Elternhaus mit 14 Jahren, wechselt ins Sportgymnasium Tenero – ohne ein Wort Italienisch zu sprechen. Mit 18 Jahren steht Tamburlini vor einem Dilemma: Sie möchte an der Universität St. Gallen (HSG) studieren, das Golfen aber auch nicht aufgeben. Gleichzeitig wecken ihre guten Leistungen bei U18-Turnieren das Interesse von amerikanischen Colleges. Die junge Frau entscheidet sich schliesslich für die University of Mississippi und zieht allein in die USA. Heimweh hat sie nie. Im Hochschulgolf gewinnt Tamburlini mit ihrem Team die National Championships NCAA 2021 – die US- Meisterschaft, die in Amerika einen riesigen Stellenwert hat. «Da habe ich erstmals realisiert, dass ich wohl doch nicht so schlecht bin. Und dass es vielleicht für eine Profikarriere reicht.»
«Ich dachte mir: Ich wäre echt blöd, es nicht mit Golf zu probieren»
Chiara Tamburlini
Sie beendet das College und studiert Finanzwissenschaften, schliesst mit Bestnoten ab. Dann muss sie sich wieder entscheiden. Und wählt erneut Golf. «Ich dachte mir: Jetzt wäre ich echt blöd, es nicht als Profi zu probieren.» Tamburlini gibt im August 2023 ihr Profidebüt und steigt Ende der Saison in die Ladies European Tour (LET) auf, die höchste Frauenliga in Europa. Höher bewertet ist nur noch die Ladies Professional Golf Association (LPGA) in Amerika.
Tamburlini erreicht auf der LET schnell Top-Platzierungen – und gewinnt in Johannesburg sensationell ihr erstes Turnier. Bei ihrem erst achten Start bei den «Grossen»! In Frankreich doppelt sie Ende September nach und steht mittlerweile auf Platz 1 in der Saisonwertung der LET. Der Sieg in der Jahreswertung ist zum Greifen nah. «Es ist verrückt. Ich habe all meine Ziele bisher komplett übertroffen.»
Für diese Erfolge arbeitet die Ostschweizerin hart. Nebst Golftechnik und Fitness kümmert sie sich selbst um alle Termine und Reisen. Da kommt sie schon mal auf 70-Stunden-Wochen. «Was ist eigentlich ‹Wochenende›?», fragt sie scherzhaft. Zwischen vier und neun Stunden pro Tag steht Tamburlini auf dem Golfplatz. Ablenkung findet die Golferin bei ihrer besten Freundin Michelle Hofmann (24).
Die beiden sind seit dem Sandkasten ein Herz und eine Seele. «Ich verstehe nichts vom Golfen», erzählt Michelle und lacht. «Wenn ich Chiara begleite, muss ich an ihrem Gesichtsausdruck abschätzen, wie gut ihr Schlag war.» Tamburlini umarmt ihre Freundin innig und sagt: «Sie ist der Mensch in meinem Leben, bei dem ich einfach Chiara sein kann. Ohne Golf.»
Grosse Träume
Wo es im Sport hingehen soll, weiss Tamburlini genau. Sie träumt gross – von einem Sieg bei einem Major-Turnier und dem Solheim Cup. Und vielleicht auch mal vom Übertritt in die LPGA. «Ob ich es probieren soll, weiss ich noch nicht. Nur schon der Weg dahin ist ein Geschenk.»
Für Olympia in Paris reichte es knapp noch nicht, doch die Spiele 2028 hat sie fest im Auge. Ihre grossen Ambitionen unterstreicht sie anhand ihres Vorbilds Roger Federer. «Als Schweizer Sportlerin muss das doch automatisch die Messlatte sein. Er ist einfach der Grösste.» Wie bei ihm lautet ihr Credo: Feuer im Bauch und Eis in den Venen. Am Feuer in den Augen fehlt es auf jeden Fall nicht.