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Marco Büchel über das abgesagte Rennen in Zermatt

«Wer gross träumt, verdient Respekt»

Mit der Absage der Weltcupabfahrten in Zermatt/Cervinia sind die Veranstalter beim Versuch gescheitert, Unmögliches möglich zu machen. Von der Öffentlichkeit gibts dafür Häme. Marco «Büxi» Büchel nennt das «ein Schweizer Phänomen».

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The finish line is pictured under the snow during the men's downhill training race on the new ski course "Gran Becca" at the Alpine Skiing FIS Ski World Cup, between Zermatt in Switzerland and Cervinia in Italy, Friday, November 10, 2023. The training was cancelled due to heavy snowfall. (KEYSTONE/Jean-Christophe Bott)

Die Natur hat das letzte Wort: Schneefall und Wind verhindern die grenzüberschreitenden Abfahrten am Fuss des Matterhorns.

keystone-sda.ch

Wieder keine Abfahrtsrennen für die Männer am Matterhorn! Nach den vier Absagen vom vergangenen Jahr kommen die Veranstalter damit auf sechs gecancelte Rennen. Kein einziges konnte bisher durchgeführt werden. Die Veranstaltung hatte bereits im Vorfeld zahlreiche Negativschlagzeilen generiert. Das Wetter, das dann nicht mitspielte, ist nur das letzte Kapitel einer langen Geschichte. Wie oft habe ich mich auf diesem Gletscher auf die Weltcuprennen vorbereitet. Zählt man all die Zeit in den Sommermonaten bis in den September hinein zusammen, kommt man bestimmt auf ein Jahr, das ich dort oben verbracht habe. Ich weiss deshalb aus eigener Erfahrung, wie exponiert die Rennpiste Gran Becca ist und wie häufig es im Bereich des Starts dort windet. Auch an wolkenfreien Tagen.

 

Vergleich mit Mondlandung nicht abwegig
Hier oben sind die Windströmungen wesentlich intensiver als in einem geschützten Tal. Kommen noch ein paar Wolken dazu, hüllt dicker Nebel die Piste ein. Der Fahrer kann nichts mehr sehen. Vor allem im November ist das Wetter unberechenbar. Daher ist der Vergleich mit der Mondlandung, den ein Journalist vergangene Woche gezogen hat, gar nicht so abwegig. Dass nun genau diese Faktoren zu den Absagen der Abfahrten auf dem Gletscher führten, blieb nicht unkommentiert. Wer vor den Augen der Öffentlichkeit versucht, das Unmögliche möglich zu machen, und dabei scheitert, bekommt ein Schweizer Phänomen zu spüren: Die Kommentarspalten der Onlinemedien sind fast ausschliesslich mit Häme und Schadenfreude gefüllt.

Es gibt nur diesen November-Termin
Warum gehen die Veranstalter wissend ein solches Risiko ein? Ganz einfach: Der Rennkalender der FIS und die Lage auf dem Werbemarkt lassen einen anderen Termin praktisch nicht zu. Der Skiweltcup ist auch eine grosse Werbeveranstaltung für den Wintersport. Ferienregionen, Skigebiete und Ausrüster wollen besonders in den Wochen und Monaten vor Weihnachten Gäste anlocken. Diese Möglichkeit verpufft, sobald sich die Wintersaison dem Ende zuneigt. Die bisherigen Saisonstart-Speedrennen im kanadischen Lake Louise sind aufgrund finanzieller Probleme aus dem Kalender gefallen. Somit hatte Zermatt quasi freie Bahn. Für die Athleten wären diese Rennen der ideale Einstieg in die Speedsaison. Die Piste ist lang, aber von den technischen Ansprüchen her überschaubar. Sie ist nicht sehr herausfordernd, aber es ist schwierig, darauf schnell zu sein. So jedenfalls die Aussage von Marco Odermatt nach dem ersten und einzigen offiziellen Training auf der Gran Becca.

Die Rennen sind eine Gratwanderung
Ein Ziel ist es natürlich, Werbung für die Skiregionen Zermatt und Cervinia sowie für die neue Verbindungsbahn zu machen. In der Summe – mit den Fotos der Bagger auf dem Gletscher, der Diskussion um die Nachhaltigkeit sowie den Wetterkapriolen - dürfte das Image jedoch eher gelitten haben. Ich denke, die Organisatoren sind sich bewusst, auf welch schmalem Grat sie sich bewegen. Auch ich habe mich als Skirennfahrer auf dünnem Eis bewegt. Um vorwärtszukommen, in neue Sphären vorzustossen, an der Weltspitze zu bleiben, musste ich mich stets am Limit bewegen – so nahe wie möglich an 100 Prozent. Hätte ich diese Grenze noch konsequenter gesucht, hätte ich möglicherweise mehr Siege einfahren können. Jedoch: Hätte ich dieses Limit überschritten, wäre die Möglichkeit eines Sturzes, eines Fehlers, einer Niederlage viel grösser gewesen. Vielleicht hat Zermatt die Limite überschritten. Und dennoch: Wenn niemand mehr den Mut aufbringt, etwas Neues zu probieren, dann kommen wir nicht weiter. Gross zu denken, Neues zu wagen, sich für eine Idee einzusetzen – das verdient meinen Respekt. Nicht zu vergessen, dass das «Sportstadion» auf dem grenzüberschreitenden Gletscher nicht nur für zwei Rennwochenenden, sondern für alle – also auch für Hobby-Skifahrerinnen und -Skifahrer – konstruiert wird. Ich stelle mir die Frage, wie es mit den Skirennen in Zermatt wohl weitergeht, sollten weitere Absagen hinzukommen. Ich drücke auf jeden Fall die Daumen, dass es in Zukunft klappt mit spannenden Rennen am «Horu».

Marco Büxi Büchel Sportkommentator

Marco «Büxi» Büchel.

ZVG
Büxis Ideallinie

Der ehemalige Liechtensteiner Skirennfahrer Marco «Büxi» Büchel, 52, wird im Skiwinter 2023/2024 Artikel, Hintergrundberichte und Kolumnen für die Schweizer Illustrierte schreiben. «Ich freue mich darauf, mein Fachwissen einzubringen.» Büchel fuhr bis 2010 selbst aktiv Rennen, gewann vier Weltcupevents und stand viele Male auf dem Podest. Bei der WM 1999 in Vail/Beaver Creak holte er Silber im Riesenslalom. «Büxi» ist verheiratet und lebt in Triesenberg (FL).

am 18. November 2023 - 18:00 Uhr