1. Home
  2. People
  3. Swiss Stars
  4. Daheim bei der Juso-Präsidentin 
Sie lässt Millionäre zittern

Zu Besuch bei Juso-Chefin Mirjam Hostetmann

Im konservativen Obwalden aufgewachsen, im linken Bern zu Hause. Mit der Erbschaftsinitiative sorgt Juso-Präsidentin Mirjam Hostetmann für rote Köpfe. Wie ihre Mutter sie unterstützt und was sie zu den Ausschreitungen bei der Palästina-Demo sagt.

Artikel teilen

<p>Inniges Verhältnis: Auf dem Schiffsteg beim Lido Sarnen geniessen Mirjam Hostetmann und <br /> ihre Mutter Andrea Gretener Hostetmann eine Auszeit.</p>

Inniges Verhältnis: Auf dem Schiffsteg beim Lido Sarnen geniessen Mirjam Hostetmann und ihre Mutter Andrea Gretener Hostetmann eine Auszeit.

Joseph Khakshouri

Der Wind trägt das Bimmeln der Kuhglocken über den See zum Lido Sarnen. Mirjam Hostetmann, lila-roter Frauenstreik-Schal um den Hals, sitzt mit ihrer Mutter auf dem Schiffssteg und geniesst die herbstliche Stimmung. «Ich bin gern zu Besuch in meiner Heimat. Hier am See tanke ich Kraft», sagt die 25-jährige Obwaldnerin. «Im Sommer hat Mirjam jeweils an der Réception des Campingplatzes gearbeitet. Es gab immer so viele Franken Lohn, wie alt sie war», erinnert sich Andrea Gretener Hostetmann (60) schmunzelnd. Das Mami sei eine ihrer grössten Unterstützerinnen, sagt Mirjam Hostetmann. Ob bei öffentlichen Auftritten wie beim Klimastreik oder bei der Wahl zur Juso-Präsidentin im Juli 2024 – so oft wie möglich versucht ihre Mutter, live dabei zu sein. «Bei der Wahl habe ich mich so mit Mirjam gefreut. Was danach passierte, damit haben wir nicht gerechnet.»

Kaum im Amt, beherrschte die damals 24-Jährige die Schlagzeilen. Bahnunternehmer und Ex-SVP-Nationalrat Peter Spuhler warnte in einem Interview vor der Erbschaftssteuer der Juso und drohte mit dem Wegzug – worauf Hostetmann ihm vorwarf, «Profit über Moral» zu stellen. Sogar das führende US-Wirtschaftsmedium Bloomberg berichtete über die Initiative, die verlangt, dass Erbschaften von mehr als 50 Millionen Franken zur Hälfte an den Staat abgegeben werden sollen. Mit dem Geld soll der Bund nachhaltige Projekte in den Bereichen Wohnen, Arbeiten und Service public realisieren. «Ich war schon darauf vorbereitet, dass Reaktionen kommen. Aber nicht darauf, dass so viele negativ sind», sagt Mirjam Hostetmann. Ihre Mutter schüttelt den Kopf. «Das zeigt, dass ihr mit dem Thema einen wunden Punkt getroffen habt», sagt die Heilpädagogin, die aus dem Aargauer Freiamt stammt.

<p>Abschied: Die nächsten Wochen wird Hostetmann keine Zeit für Besuche in der Heimat haben. «Ich wünsche dir viel Kraft», sagt die Mutter.</p>

Abschied: Die nächsten Wochen wird Hostetmann keine Zeit für Besuche in der Heimat haben. «Ich wünsche dir viel Kraft», sagt die Mutter.

Joseph Khakshouri

Anonyme Drohbriefe

Doch nicht nur Hostetmann bekam wütende Mails. Ihre Eltern – der Vater arbeitet bei einer Gemeinde im Kanton – erhielten anonyme Drohbriefe. «Dort standen Dinge wie: ‹Wir wissen, wo ihr arbeitet.› Das ist belastend», sagt Andrea Gretener Hostetmann.

Es ist selten, dass eine Initiative eineinhalb Jahre bevor sie an die Urne kommt, für so viel Aufsehen sorgt. Auch jetzt, rund einen Monat vor der Abstimmung, sind die Zeitungen voll mit Artikeln zum Thema. Obwohl Umfragen eine klare Ablehnung prognostizieren, berichten Vermögensberatungen, dass Reiche vermehrt ihr Erbe schon zu Lebzeiten ihren Kindern schenken. «Damit geben die Reichsten zu, dass sie auch nach dem Tod nicht bereit sind, einen gerechten Beitrag an die Gesellschaft zu leisten», sagt Hostetmann und nippt an ihrem Mate-Tee.

Mirjam Hostetmann ist mit ihren Eltern und der drei Jahre jüngeren Schwester in einem Reihenhaus in Sarnen OW aufgewachsen. In der zweiten Klasse begann sie, Zeitungen zu lesen. «Ich erinnere mich, als Mirjam plötzlich mit ihrer Süssigkeitensammlung vor mir stand und sagte, sie wolle diese nicht mehr. Wegen der E-Stoffe. Sie habe darüber gelesen», erzählt ihre Mutter lachend. Das Interesse für die Politik ist geweckt: «Als andere in der fünften Klasse ‹Die drei ???› lasen, vertiefte ich mich in den Jugoslawienkonflikt», sagt Hostetmann.

«Man unterstellte uns, etwas falsch gemacht zu haben»

Mit 18 kandidierte sie für den Obwaldner Kantonsrat – allerdings noch für die Christlich-soziale Partei CSP. «Ich konnte meine politischen Positionen damals noch nicht richtig einordnen.» Jeder in der Familie habe schon für die CSP kandidiert, ergänzt ihre Mutter. Der Vater war lange Kassier der Partei gewesen. 2019 wechselte Mirjam Hostetmann zur Juso, baute die Jungpartei in Obwalden auf und kandidierte für den Nationalrat. Dies war vielen Einheimischen ein Dorn im Auge. «Man unterstellte uns indirekt, in der Erziehung etwas falsch gemacht zu haben, dass unsere Tochter bei der Juso landete.»

<p>Pendeln gehört zum Alltag der Juso-Chefin. In ihrem Amt verdient sie 3100 Franken – im Studium musste sie dafür aussetzen.</p>

Pendeln gehört zum Alltag der Juso-Chefin. In ihrem Amt verdient sie 3100 Franken – im Studium musste sie dafür aussetzen.

Joseph Khakshouri

Andrea Gretener Hostetmann steht voll hinter den Anliegen ihrer Tochter. Ganz anders als ihre erweiterte Verwandtschaft, die häufig SVP wählt. «Auch wenn sie mit der Initiative nicht einverstanden sind, von Mirjam als Person sind sie begeistert. Und sehen sie schon als Bundesrätin», sagt sie und drückt ihre Tochter zum Abschied kräftig.

Kritik nach Palästina-Demo

Im Zug nach Bern ist Hostetmann immer wieder am Telefon, bespricht mit ihrem Team die nächsten Schritte im Abstimmungskampf. Nach der eskalierten Palästina-Demo in Bern steht die Juso in der Kritik – immerhin rief die Partei dazu auf, an der unbewilligten Demo teilzunehmen. An der Organisation der Demonstration sei die Juso nicht beteiligt gewesen, wehrt sich Hostetmann. «Grundsätzlich befürworte ich Proteste gegen den Genozid, verurteile jedoch die Gewalt eines Teils der Demonstrierenden und der Polizei entschieden», sagt sie und klappt ihren Laptop zu, auf dem ein Kleber mit Aufschrift «I MAGA nümm» ins Auge fällt. Eine ironische Anspielung auf die «Make America Great Again»- Bewegung. «In den USA sieht man, was Superreiche an der Macht anrichten können.»

Auch in der Schweiz hätten Milliardäre wie Christoph Blocher grosse politische Macht. Klar gebe es auch jene Superreichen wie Hansjörg Wyss, die Gutes tun. «Die Mehrheit sind aber keine gütigen Patrons, sondern investieren sehr viel Geld in klimaschädliche Bereiche wie in den Rohstoffhandel.» Hostetmann hat auf alle Einwände eine Antwort parat oder kontert mit Zahlen aus Studien: «Ein einzelner Flug mit dem Privatjet verursacht im Schnitt 4,6 Tonnen CO2!» Obwohl ihre Forderungen laut sind – privat ist die 1,52 Meter grosse Jungpolitikerin mit ihrer eher ruhigen Stimme keine Polterin.

<p>Mit den Mitbewohnerinnen Anna (l.) und Larissa verbindet Hostetmann nicht nur die Juso-Mitgliedschaft. Sie kommen alle aus Obwalden.</p>

Mit den Mitbewohnerinnen Anna (l.) und Larissa verbindet Hostetmann nicht nur die Juso-Mitgliedschaft. Sie kommen alle aus Obwalden.

Joseph Khakshouri

«Einschüchternd schlau»

In Bern angekommen, öffnet Hostetmann eine weitere Dose Mate und dreht sich eine Zigarette. «Bis 30 will ich damit aufhören.» Seit fünf Jahren wohnt sie in der Bundesstadt. Die renovierte 3,5-Zimmer-Altbauwohnung für 1700 Franken Miete pro Monat teilt sie mit Larissa (22) und Anna (22). Beide sind auch in der Juso aktiv, beide kommen aus Obwalden – und alle drei studieren Germanistik und Geschichte. «Ich habe Mirjam das erste Mal gesehen, als sie 2019 als Nationalratskandidatin zu uns in die Kanti kam. Danach schrieb ich mich bei der Juso ein», sagt Anna. Hostetmann sei einschüchternd schlau. «Und sehr herzlich», ergänzt Larissa.

Die drei Frauen sitzen in der Küche und stossen mit einem Bier an. Am Kühlschrank lächelt einem Christoph Blocher entgegen. «Du chrampfsch, sie kassiere», steht auf dem Plakat zur 99-Prozent-Initiative. Weil sie kein Wohnzimmer besitzen, ist die Küche das Herz der Wohnung. «Hier diskutieren wir oder kochen spätabends ein vegetarisches Curry.» Für eine Studenten-WG ist es auffallend ordentlich. «Jede hat ihr Ämtli. Meines wäre, das Bad zu putzen. Wenn ich dann mal zu Hause bin», sagt Hostetmann und hebt entschuldigend ihre Schultern.

<p>Rückzugsort: In ihrem Zimmer in der WG in Bern liest die Geschichtsstudentin Bücher wie «Das Kapital» von Thomas Piketty.</p>

Rückzugsort: In ihrem Zimmer in der WG in Bern liest die Geschichtsstudentin Bücher wie «Das Kapital» von Thomas Piketty.

Joseph Khakshouri

Neben ihren zahlreichen Auftritten ist die Juso-Chefin auch in Luzern anzutreffen. Dort lebt ihr Freund, der bei den Grünen politisiert. Seinen Namen möchte sie aufgrund der jüngsten Ereignisse nicht öffentlich nennen. Die beiden sind seit sechs Jahren ein Paar. «Natürlich hilft es, dass er politisch aktiv ist. Er versteht meine Welt.»

 

<p>«Meine ländliche Herkunft ist ein Vorteil. Ich kenne auch die konservativen Weltbilder», sagt Hostetmann am Seeufer von Sarnen.</p>

«Meine ländliche Herkunft ist ein Vorteil. Ich kenne auch die konservativen Weltbilder», sagt Hostetmann am Seeufer von Sarnen.

Joseph Khakshouri

Fussball und Schweizer Rap

Wenn sie mal nicht Politik macht, geht Hostetmann an Fussballspiele des FC Luzern, an Mundart-Rap-Konzerte oder zieht sich mit einem Buch in ihr Zimmer zurück. Dort hängen eingerahmte Bilder von gemalten Rosen neben einem Plakat eines sinkenden Tankers mit dem Titel «sink the rich». Im Regal stehen Süssigkeiten («da habe ich meine Meinung etwas geändert»), über dem Schreibtisch ist ein Artikel über ADHS angepinnt. «Die Diagnose war eine Erleichterung. Endlich wusste ich, warum ich in gewissen Bereichen anders reagiere. Etwa, warum ich teilweise Mühe hatte mit der Organisation von alltäglichen Dingen, oder Sachen tausendmal überdenke.» Um nicht ins Grübeln zu kommen, mache sie vieles auf den letzten Drücker. «Dann sitze ich nachts in meinem Bett und arbeite.»

Nach Sarnen wird sie es bis zur Abstimmung am 30. November nicht mehr schaffen. Dafür werden voraussichtlich ihre Eltern nach Bern reisen, um ihr vor Ort die Daumen zu drücken.

Jessica Pfister
Jessica PfisterMehr erfahren
Text: Jessica Pfister vor 12 Stunden