Professor Siegwart, Sie sind der erfolgreichste Drohnenforscher der Schweiz. Wo sind Drohnen nützlich für uns Menschen?
Schon heute helfen uns Drohnen überall dort, wo wir uns aus der Luft einen Überblick verschaffen wollen. Die Rega sucht in den Bergen einen Vermissten, der Helikopter kann aber wegen Nebel nicht fliegen: Da hilft eine Drohne mit Wärmebildkamera. Ein Bauer muss wissen, wo auf seinen Feldern Unkraut wächst: Das sieht eine Drohne günstig und effizient. Und eines Tages wird die Drohne das Unkraut gleich auch noch gezielt mit Pestizid besprühen.
Wo sehen Sie sonst noch Chancen für die Zukunft?
Wir entwickeln an der ETH Zürich eine Drohne, die etwas berühren kann – eine Weltneuheit. Mit dieser Drohne wird es etwa möglich sein, ein Messinstrument an die Wand zu halten. Und so zu schauen, in welchem Zustand eine Autobahnbrücke ist. Oder: Bei Windturbinen müssen die Rotoren regelmässig kontrolliert werden, damit sie nicht plötzlich brechen. Unsere Drohne erledigt das einfach und günstig.
Was wird diese Drohne sonst noch können?
Unsere Drohnen werden vielleicht neue Farbe auf Hochseetanker spritzen oder mit Hochdruck Wolkenkratzer reinigen. Die Drohne wird überall dort zu einem intelligenten Werkzeug, wo bisher ein teures Gerüst oder ein Kran nötig war. Das Potenzial der Drohne ist riesig. Sie wird unser neuer Freund und Helfer.
Sie forschen auch an Drohnen, die andere Drohnen abfangen.
Dieses Projekt ist mit der Zürcher Polizei entstanden. Heute hat diese keine Möglichkeit, eine mit Sprengstoff beladene Drohne zu bekämpfen – über einer Menschenmenge kann man sie ja nicht einfach abschiessen. Deshalb bauen wir eine Drohne, die andere Drohnen einfangen und an einen bestimmten Ort bringen kann.
Heute Dienstag, 3. September, findet der dritte nationale Digitaltag statt. An zwölf Standorten in der ganzen Schweiz gibt es mehr als 150 Talks, Shows, Ausstellungen und Kurse – mit dem Schwerpunktthema lebenslanges Lernen. Das ganze Programm findet ihr unter www.digitaltag.swiss
Was macht die Schweiz so stark bei der Entwicklung von Drohnen?
Dieser Erfolg kommt nicht von heute auf morgen. Die Schweiz ist traditionell sehr stark in der Präzisionsmechanik – auch dank der Uhrenindustrie. Wenn man das kombiniert mit dem Wissen über komplexe Maschinen an der ETH, entstehen ideale Bedingungen für den Bau von Drohnen …
… während die Firmen im Silicon Valley nur die Software beherrschen.
Genau. Für die Drohnen müssen wir beides kombinieren: Software und Hardware.
Wie gut ist die Schweiz im globalen Vergleich?
Die Schweiz ist bei Profi-Drohnen weltweit führend. Also bei Drohnen, die bei Firmen zum Einsatz kommen. Wir sind die Besten in der Forschung. Und wir haben erfolgreiche Start-ups für den Bau und Verkauf von Profi-Drohnen – mit inzwischen 500 bis 600 Arbeitsplätzen. Die Schweiz ist damit das Drohnenland Nummer 1 der Welt, wenn es um Profi-Drohnen geht.
Die günstigen Drohnen im Laden kommen aber alle aus China.
Stimmt. Doch das ist okay so, weil China in der Massenproduktion viel besser ist als wir. Die Drohnen des weltweit grössten Produzenten beruhen auf Schweizer Technologie – was China auch anerkennt. Wir müssen in der Schweiz aber noch besser werden darin, aus einem Start-up eine richtige Firma mit vielen Arbeitsplätzen zu machen.
Fehlt dafür hierzulande das Risikokapital?
Die Schweiz ist schon besser geworden. Es geht aber auch darum, dass die Gründer ihr Start-up nicht gleich beim ersten Angebot an Google oder Facebook verkaufen. Sondern das Unternehmen selber gross machen. Obwohl sie kurzfristig bei einem Verkauf viel mehr verdienen könnten.
Wann bringen uns Drohnen das Zalando-Päckli nach Hause?
Ich hoffe, dass Drohnen schon bald in einem Notfall das dringend benötigte Medikament in eine Berghütte liefern können. Drohnen werden aber nie in den Städten Hunderte von Paketen verteilen. Das brächte zu viel Lärm. Und das Risiko eines Absturzes wäre zu gross.
Macht das bald ein Lieferroboter, der alleine auf dem Trottoir fährt?
Das wird noch eine Weile dauern. Auf einem klar umgrenzten Firmengelände ist das schon heute möglich. Aber sobald der Pöstler-Roboter die Treppe hochsteigen und eine Tür aufmachen muss, scheitert er noch.
Dinge, die für uns Menschen sehr einfach sind.
Roboter können gerade das schlecht, was uns leichtfällt: zum Beispiel nach einem Fest den Tisch abräumen. Der Roboter scheitert dabei, weil er die Situation nicht beurteilen und die Dinge nicht richtig anfassen kann.
Was kann der Roboter besser als wir Menschen?
Roboter bewegen sich sehr präzise: Sie schrauben und schweissen millimetergenau – ohne müde zu werden. Ich finde es schön, dass sich Menschen und Roboter perfekt ergänzen und deshalb gut zusammenarbeiten. Der Roboter macht die anstrengenden, wiederholenden Arbeiten. Der Mensch macht die kreativen Arbeiten, die eine Interaktion mit anderen Menschen verlangen.
Wo sehen Sie die Zusammenarbeit von Mensch und Roboter?
Nehmen Sie das Reinigen der grossen Bodenflächen eines Flughafens. Heute braucht es pro Putzmaschine einen Menschen. In Zukunft wird es so sein, dass ein Mensch zwanzig relativ autonome Putzmaschinen betreut. Wir haben in der Schweiz ein Start-up der ETH, das nächstes Jahr genau diese Anwendung auf den Markt bringen will.
Wie soll das funktionieren?
Der Mensch fährt mit der Maschine ein erstes Mal die Strecke ab, die diese putzen soll. Danach fährt die Putzmaschine jeweils selbstständig die gleiche Strecke. Dabei kann sie ausweichen, wenn es irgendwo ein neues Hindernis gibt. Taucht ein Problem auf, das die Maschine nicht lösen kann, benachrichtigt sie den Menschen, der vor Ort zum Rechten sieht.
Statt 20 Arbeitern braucht es nur noch einen. Also gehen 19 Arbeitsplätze verloren.
Es gibt eine Umlagerung: Neue Arbeitsplätze entstehen, andere verschwinden. Das Gute ist, dass sich Robotertechnologie nur langsam durchsetzt. Wir haben also Zeit, uns anzupassen. Für die Schweiz sehe ich sowieso nur Vorteile: Wir sind ein Land, das solche Systeme entwickeln kann. Kommt dazu, dass wir hierzulande kaum Menschen finden, die zum Beispiel Reinigungsjobs machen wollen. Auch die Bauern möchten Roboter einsetzen, weil sie keine Mitarbeiter mehr finden.
Viele Menschen in der Schweiz haben jedoch Angst, dass sie wegen der Digitalisierung bald keine Arbeit mehr haben. Zum Beispiel Chauffeure und Kassiererinnen.
Es stimmt: Manche Menschen werden ihren Job verlieren. Das ist für die Betroffenen hart. Das war schon vor hundert Jahren während der Industrialisierung so. Aber die Fortschritte für die Menschheit sind enorm: Vor hundert Jahren arbeiteten die Schweizer zwölf Stunden pro Tag auf einem Bauernhof, hatten keine Ferien und starben mit sechzig. Vergleichen Sie das mit unserem heutigen Leben!
Am gefährdetsten ist die mittlere Generation zwischen 40 und 55 Jahren, die noch analog aufgewachsen ist. Was raten Sie ihr?
Wir alle müssen offen sein, immer und überall zu experimentieren. Das Schlimmste ist, Angst vor Veränderungen zu haben. Denn Menschen sind eigentlich unheimlich gut darin, Neues zu lernen. Das kann man auch mit 55 noch – obwohl es vielleicht etwas langsamer geht.
Ist das die Botschaft des Digitaltags vom 3. September, bei dem Sie sich engagieren?
Absolut. Rund um die Digitalisierung werden viele Ängste geschürt. Dagegen hilft, wenn die Menschen mehr über die digitalen Chancen und Gefahren wissen. Dafür ist dieser Tag perfekt. Bisher findet die Diskussion über die Zukunft zwar in den Unternehmen statt, aber noch zu wenig in der Gesellschaft. Das wollen wir ändern.